Schuldlose Autofahrer müssen blechen
Ein Velofahrer missachtet ein Vortrittssignal und fährt in ein stehendes Auto. Trotzdem übernimmt seine Versicherung nur einen Teil der Reparaturkosten des Wagens. Das Gesetz will es so.
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K-Tipp 1/2005
12.01.2005
Thomas Müller - tmueller@ktipp.ch
Brigitte Hotz stand mit ihrem Toyota RAV 4 an der Kreuzung und wartete darauf, in die Hauptstrasse Villmergen-Sarmenstorf einbiegen zu können. «Aus dem Augenwinkel sah ich plötzlich einen dunklen Schatten durch das Fenster der Beifahrertür», erinnert sie sich. Dann knallte es.
Der Velofahrer L.B., der auf dem parallel zur Hauptstrasse verlaufenden Radweg unterwegs war, prallte in die rechte Seite ihres Autos. Er hatte das Signal «Kein Vortritt» übersehen. Mit teuren Folgen...
Brigitte Hotz stand mit ihrem Toyota RAV 4 an der Kreuzung und wartete darauf, in die Hauptstrasse Villmergen-Sarmenstorf einbiegen zu können. «Aus dem Augenwinkel sah ich plötzlich einen dunklen Schatten durch das Fenster der Beifahrertür», erinnert sie sich. Dann knallte es.
Der Velofahrer L.B., der auf dem parallel zur Hauptstrasse verlaufenden Radweg unterwegs war, prallte in die rechte Seite ihres Autos. Er hatte das Signal «Kein Vortritt» übersehen. Mit teuren Folgen: Die Reparatur der eingedrückten Beifahrertür kostete 2600 Franken. Doch darüber machte sich die Frau aus Hilfikon AG keine Sorgen: «Ich war ja unschuldig, und Herr B. hatte eine Vignette, also eine Haftpflicht-Versicherung.»
Umso mehr staunte sie, als ihr die Generali mitteilte, sie übernehme über die Vignette nur zwei Drittel des Schadens. Einen Drittel oder 870 Franken müsse sie selber tragen. Die Begründung der Versicherung: Ein Auto sei ein gefahrenträchtiges Fortbewegungsmittel und diese «Betriebsgefahr» müsse sie sich anrechnen lassen.
«Abzug ist zu hoch gegriffen»
In der Tat: Nach einem Zusammenstoss mit einem Velo, Mofa oder Fussgänger erhält der Automobilist meist nicht den ganzen Schaden ersetzt - auch wenn er am Unfall völlig unschuldig war. Gerichte ziehen für die Betriebsgefahr des Autos in der Regel rund einen Drittel ab. Umgekehrt muss der schuldlose Autofahrer respektive seine Versicherung einen Drittel des Schadens des Unfallverursachers übernehmen. (Stossen zwei Autos zusammen, neutralisieren sich die Betriebsgefahren, und die Haftung wird nach dem Verschulden aufgeteilt.)
Nur in einem Fall haben unschuldige Autolenker wie Brigitte Hotz Anspruch auf vollen Schadenersatz gegenüber einem Fussgänger, Velo- oder Mofafahrer: Wenn dieser grobfahrlässig gehandelt hat. Doch Generali besteht darauf, «dass nicht von einer grobfahrlässigen Handlungsweise unseres Versicherten gesprochen werden kann».
Diese Ansicht ist für den Basler Rechtsprofessor Ernst Kramer vertretbar. «Zu hoch gegriffen» sei aber der Abzug von einem Drittel. Hotz nützt das nicht viel, denn wegen ein paar Hundert Franken lohnt sich ein Gang vor Gericht ohnehin nicht. «Es ist doch unfair, dass ich nach all den Umtrieben auch noch zahlen soll, obwohl ich im Zeitpunkt des Zusammenstosses nicht einmal gefahren bin», ärgert sie sich.
Auch stehende Autos sind «in Betrieb»
Auch ein stehendes Auto mit laufendem Motor sei gemäss Gerichtspraxis in Betrieb und unterliege der strengen Haftung des Strassenverkehrsgesetzes, entgegnet darauf Generali-Geschäftsleitungsmitglied Roman Clavadetscher. «Ich kann zwar verstehen, dass diese Regelung von Frau Hotz nicht als gerecht empfunden wird. Im vorliegenden Fall wurde sie aber korrekt angewendet. Eine weitergehende Entschädigung ist daher leider nicht möglich.»
Darüber wundert sich auch die Ehefrau des Radfahrers B., der bisher nichts von Generali gehört hat: «Mein Mann und ich sind sehr erstaunt und es tut uns Leid für Frau Hotz.»