Harry Potter - Goldesel für einen Konzern
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saldo 1/2002
16.01.2002
Wo Harry Potter mitspielt, darfs ein wenig mehr kosten. Das füllt vor allem die Kassen des amerikanischen Mediengiganten AOL Time Warner.
Einsam sitzen die gelben Plüschtiere auf den Tablaren im Franz Carl Weber (FCW) an der Zürcher Bahnhofstrasse. Obschon sie nur noch ein Drittel des ursprünglichen Preises kosten, interessiert sich im Weihnachtsrummel keiner für die Pokémon-Restbestände. Das grösste Spielwarengeschäft aller Zeiten hat abgedankt.
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Wo Harry Potter mitspielt, darfs ein wenig mehr kosten. Das füllt vor allem die Kassen des amerikanischen Mediengiganten AOL Time Warner.
Einsam sitzen die gelben Plüschtiere auf den Tablaren im Franz Carl Weber (FCW) an der Zürcher Bahnhofstrasse. Obschon sie nur noch ein Drittel des ursprünglichen Preises kosten, interessiert sich im Weihnachtsrummel keiner für die Pokémon-Restbestände. Das grösste Spielwarengeschäft aller Zeiten hat abgedankt.
Sehr gefragt sind Lego-Sets oder Spiele
Ganz anders gehts zu und her beim Eingang des Spielwarenladens. Hier sorgt Harry Potter für Umsatz auf allen Ebenen. Vor allem als Lego-Sets oder Spiele. Auch Baseballmützen und Schlüsselanhänger werben mit dem Antlitz des Zauberschülers.
An den Kinokassen stehen Kinder, Erwachsene und Grosseltern Schlange. «Potter spricht alle Altersgruppen an, ein seltener Glücksfall», freut sich Philippe Täschler, Direktor des Kinobetreibers Kitag. Allein am ersten Wochenende hat die Verfilmung von «Harry Potter und der Stein der Weisen» 136 000 Zuschauer in die Säle der deutschen Schweiz gelockt. «Es war der grösste Filmstart aller Zeiten», schwärmt Leo Baumgartner, Geschäftsführer von Time Warner Schweiz, die den Streifen verleiht.
Und der Erfolg reisst nicht ab: Seit dem Filmstart am 22. November sahen 850 000 Kinogänger den Film. Schon nach dem ersten Wochenende waren die Werbekosten von einer knappen Million Franken längst wieder eingespielt.
Der Erfolg des Films schürt die Nachfrage nach den Büchern. Joanne K. Rowlings Bestseller - bisher vier Bände - wurde in 47 Sprachen übersetzt und gegen 120 Millionen Mal verkauft.
Auch in der Schweiz finden die Potter-Romane reissenden Absatz. In der Buchhandlung Orell Füssli in Zürich gingen im Dezember täglich 150 Exemplare über den Ladentisch. Abteilungsleiterin Barbara Camenisch: «Bücher, Hörkassetten und CDs laufen sehr gut, obschon kein neuer Band herausgekommen ist.» Buben und Mädchen fühlen sich vom Zauberlehrling gleichermassen angesprochen, und für die erwachsenen Potter-Fans bietet Carlsen eine 10 Franken teurere Belletristik-Ausgabe.
100 000 Bücher in zwei Monaten abgesetzt
Der nicht abreissende Buchabsatz hat die junge britische Autorin über Nacht zu einer reichen Frau gemacht. Ihr Vermögen wuchs im Jahr 2000 um 60 Millionen Franken. Der Carlsen-Verlag hat im November/Dezember 2001 fast 100 000 Potter-Bücher in der Schweiz abgesetzt. Dem Buchhandel mit einer Marge von 30 Prozent hat Potter allein in diesem Zeitraum einen Erlös von rund einer Million Franken in die Kassen gezaubert. Hinzu kommt der Umsatz mit über hundert weiteren Artikeln wie Kalendern, Freundschaftsbüchern und Bleistiften.
Doch das sind die kleinen Fische. Wie eine fette Spinne hockt der Medienkonzern AOL Time Warner im Netz der Potterschen Geldströme. Das Multimedia-Unternehmen ging im Jahr 2000 aus der Fusion von AOL (Internetprovider America Online) und Time Warner (Filmproduktion und -verleih, Videos, Musik, Fernsehstationen, Kabelnetze, Zeitschriften) hervor. Es hat die Rechte sowohl am Film wie auch am ganzen damit zusammenhängenden Warenhandel (Merchandising) erworben. Und dies für lumpige 1,2 Millionen Franken, erzählt man sich in der Branche.
Spielzeughersteller stürzen sich auf die Lizenzen
Der Konzern rechnet dank dem Potter-Geschäft mit mehreren Milliarden Dollar Einkünften in den nächsten Jahren. Nebst Coca-Cola haben auch der Spielproduzent Electronic Arts sowie die drei weltgrössten Spielzeughersteller Mattel, Hasbro und Lego Lizenzen erworben. Wie hoch die Lizenzgebühren sind, gibt freilich niemand preis. Eine Branchenkennerin rechnet mit etwa 7 Prozent des Endverkaufspreises.
Weihnachtsgeschäft um rund 15 Prozent gesteigert
Ein Blick in den Katalog von FCW zeigt zumindest, wie sich Warners Lizenz zum Gelddrucken auf den Geldbeutel der Konsumenten auswirkt: Während die Königsburg von Lego 149 Franken kostet, ist das vergleichbare Potter-Schloss Hogwarts mit 179 Franken angeschrieben. Trotzdem war das teure Stück vor den Festtagen zeitweise ausverkauft. «Wir waren selber überrascht vom Verkaufsvolumen», sagt Lego-Sprecher Urs Bachmann. Er schätzt, dass das Weihnachtsgeschäft bis zu 15 Prozent besser lief als im Vorjahr.
Und für Nachschub ist gesorgt; der zweite Potter-Film ist in Produktion und kommt im November dieses Jahres ins Kino - rechtzeitig aufs nächste Weihnachtsgeschäft.
Mike Weibel