Elektrosmog - Senkung der Grenzwerte gefordert
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saldo 9/2002
08.05.2002
In der Schweiz stehen bereits über 7200 Mobilfunkantennen. Die Folgen für die Gesundheit sind unklar. Ob die Strahlenbelastung weiter ansteigt, entscheiden demnächst die Behörden in Bern.
Wenn Erhard Schenker aufwacht, spürt er einen unangenehmen Druck auf der Stirn. Manchmal plagen ihn Schwindel, er schwankt beim Gehen, sein Herz kommt aus dem Rhythmus. «Wenn ich in den Ferien bin, verschwinden die Beschwerden sofort», erzählt der pensionierte Chemiker, der im Riehener Ni...
In der Schweiz stehen bereits über 7200 Mobilfunkantennen. Die Folgen für die Gesundheit sind unklar. Ob die Strahlenbelastung weiter ansteigt, entscheiden demnächst die Behörden in Bern.
Wenn Erhard Schenker aufwacht, spürt er einen unangenehmen Druck auf der Stirn. Manchmal plagen ihn Schwindel, er schwankt beim Gehen, sein Herz kommt aus dem Rhythmus. «Wenn ich in den Ferien bin, verschwinden die Beschwerden sofort», erzählt der pensionierte Chemiker, der im Riehener Niederholquartier (BS) lebt. Wenn Schenker aus dem Küchenfenster blickt, sieht er in einer Distanz von etwa 35 Metern eine Mobilfunkantenne. Verschiedene Ärzte konnten keine Erklärung für seine gesundheitlichen Beschwerden liefern. Deshalb liess Schenker die elektrischen Felder seiner Wohnung ausmessen. Resultat: 13,8 Volt pro Meter. Das ist viermal so viel, wie eine Handy-Antenne eigentlich strahlen dürfte.
2 bis 5 Prozent der Bevölkerung sind elektrosensibel
Ähnlich wie Erhard Schenker geht es anderen Anwohnern von Mobilfunkantennen. Eine Studie der ETH Zürich kam zum Schluss, dass 2 bis 5 Prozent der Bevölkerung empfindlich auf elektromagnetische Strahlung reagieren. Das Krankheitsbild wird langsam klar: «Eine noch unveröffentlichte österreichische Studie weist einen Zusammenhang zwischen dem Abstand der Antennen und den Symptomen Schwindel, Kopfweh, Ohrenrauschen und Herzproblemen nach», sagt Bernhard Aufdereggen, Präsident der Schweizer Ärzte für Umweltschutz.
Spanien: Antennen in der Nähe einer Schule stillgelegt
Über Forschungsresultate verfügt auch die Mobiltelefonbranche. Nur hat sie je nach Ergebnis nicht unbedingt ein Interesse an einer Veröffentlichung. So hielt die deutsche Telekomfirma T-Mobil eine von ihr bezahlte Studie fast zwei Jahre unter Verschluss. Erst im April dieses Jahres veröffentlichte das Ecolog-Institut in Hannover die Resultate. Fazit: Die Strahlung kann Krebs fördern, das Immunsystem schwächen, Hirnleistungen stören und das Erbgut schädigen.
Solche Befürchtungen hegen auch die Behörden im spanischen Valladolid. Im Dezember erkrankte einmal mehr ein Schüler an Krebs - das vierte Kind in einem Jahr. Die Behörden liessen kurzerhand die Sendemasten stilllegen, die nahe der Schule standen. Inzwischen haben über 500 spanische Gemeinden einen Baustopp für neue Handy-Antennen beschlossen.
Beim Bundesamt für Gesundheit (BAG) anerkennt man die Bedeutung des Problems, weil «die Gesamtbevölkerung davon betroffen ist». Doch die Behörde beschränkt sich darauf, Fragebogen für Elektrosmog-Geschädigte zu verteilen. Danach wolle man eine «gezielte wissenschaftliche Untersuchung» machen, sagt Mirjana Moser, Sektionschefin des BAG. «Wir haben praktisch kein Geld für Forschung», klagt sie und kritisiert, dass in Sachen Mobilfunk zu wenig unabhängige Studien durchgeführt würden.
Grenzwertreduktion auf einen Zehntel des heutigen Werts
Solange die Gefahren des Mobilfunks nicht genau erforscht sind, sollten die Behörden die Grenzwerte drastisch senken. So die Forderung verschiedener Wissenschafter und der Schweizer Ärzteorganisation FMH. Sie verlangt eine Reduktion der Schweizer Anlagegrenzwerte auf einen Zehntel des heutigen Wertes: Statt mit 6 Volt pro Meter dürfte eine Antenne nur noch mit 0,6 Volt strahlen.
Für empfindliche Personen ist schon dies eine Überdosis. «In Kombination mit anderen Strahlenquellen können bereits Felder von 0,1 Volt pro Meter Beschwerden auslösen», weiss Josef Peter, Elektrobiologe aus Illnau ZH. Häufig trifft er auf Fälle, wo bereits 0,2 bis 0,4 Volt pro Meter für Kopfschmerzen sorgen.
Der geltende Grenzwert ist in der Verordnung zum Schutz vor nichtionisierender Strahlung festgelegt. Er soll die Strahlung einer Antennenanlage so tief wie möglich halten, besonders da, wo sich Menschen «regelmässig während längerer Zeit aufhalten».
Wie dieser Wert konkret zu ermitteln ist, wird in den nächsten Wochen Moritz Leuenberger festlegen. Denn sein Bundesamt für Umwelt (Buwal) ringt seit bald einem Jahr mit der Handy-Industrie um Vorschriften für neue Antennen. Streitpunkt ist dabei, was als «Anlage» gilt. Die Betreiber Swisscom, Orange, Sunrise und neuerdings Telefonica wollen gute Standorte gemeinsam nutzen, den Grenzwert aber nur je für sich einhalten. «Das steht im Widerspruch zur Verordnung», kritisiert Buwal-Sektionschef Jürg Baumann. Das Bundesamt will zusammen mit den Kantonen durchsetzen, dass die Gesamtstrahlung mehrerer nahe beieinander montierter Antennen weiterhin unter dem Grenzwert liegt.
Düstere Prognosen: Tausende neue Antennen geplant
Auf den 1. Juli soll die Vorschrift erlassen werden. Die praktischen Auswirkungen sind gravierend: Zusätzlich zu den bisherigen Antennen ist zurzeit das neue UMTS-Netz im Bau. Allein Sunrise plant im zweiten Halbjahr 300 bis 500 neue Antennen. Dazu kommen mindestens gleich viele der Konkurrenten Swisscom, Sunrise und Telefonica. Ein vierfacher Aufbau des UMTS-Netzes wird insgesamt noch einmal mindestens 5000 Antennen nach sich ziehen.
Mike Weibel
Strahlenwerte - Salzburg zeigt: Es geht auch anders
Zwar sind in der Schweiz die weltweit strengsten Anlagegrenzwerte verankert, doch die Stadt Salzburg ist deutlich weiter gegangen. Seit 1999 gilt eine freiwillige Vereinbarung mit den vier Betreibern: Die Stadt drückt beim Ortsbildschutz ein Auge zu, wenn die Betreiber dafür einen Grenzwert von 0,6 Volt pro Meter einhalten - einen Zehntel der Schweizer Limite.
Das Bundesamt für Kommunikation (Bakom) hat in Salzburg nachgemessen und befand, dass die dortigen Vorsorgewerte «nicht eingehalten werden». Doch der Salzburger Stadtrat Johann Padutsch kontert: «Es wurde bei Anlagen gemessen, die vor Beginn des Salzburger Modells installiert wurden.» Für Armin Braunwalder von der Schweizerischen Energiestiftung betreibt das Bakom Desinformation: «Mehr als die Häfte der Messpunkte unterschritten die Salzburger Vorsorgewerte.»