Die Handyrechnung umfasst 29 Seiten. Die Blätter sind von oben bis unten gefüllt mit der Position «Premium SMS» der Kurznummer 789. Jedes SMS kostet Fr. 2.23. Schlusstotal: 3725 Franken für 1552 SMS.
Empfänger der SMS-Lawine war Marcel Spichiger aus dem Kanton Solothurn. Sämtliche Kurzmitteilungen trudelten bei ihm an nur vier Abenden ein – im Schnitt 30 pro Stunde.
Spichiger hatte auf ein Inserat in der Zeitung «20 Minuten» reagiert. Dort hiess es, er könne mit einer «Nadine» per SMS chatten. Der Kostenhinweis im Kleingedruckten lautete «CHF 2.40/SMS».
Dass damit auch jedes empfangene SMS gemeint war, konnte der junge Mann nicht wissen. Prompt tappte er in die Kostenfalle. Denn «Nadine» meldete sich fast im Minutentakt: Während er noch am Antworten war, erhielt er schon weitere SMS.
Marcel Spichiger selbst sandte höchstens 300 Kurzmitteilungen. Und er ging davon aus, dass er nur für die selber verschickten SMS bezahlen müsse. Darin wurde er vom Betreiber des Dienstes noch bestärkt. Er erhielt Meldungen, in denen jeweils stand, wie hoch seine Ausgaben lagen. Demnach ergibt sich ein Total von 630 Franken.
Rechnung muss nicht bezahlt werden
Spichigers Handy-Abo läuft über Sunrise. Der K-Tipp riet ihm, die Sunrise-Rechnung nicht zu zahlen. Denn die Kostenpflicht ist im Inserat unklar formuliert: Aus dem Hinweis «CHF 2.40/SMS» geht nicht hervor, dass Chatter auch für die erhaltenen SMS zahlen müssen.
Das sieht auch das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) so. Als sich der Vater des jungen Mannes ans Seco wandte, schrieb es ihm: «Wenn man davon ausgeht, dass beide Parteien des SMS-Chats an einer Bekanntschaft interessiert sind, liegt es nicht auf der Hand, dass die eine Partei alle SMS und die andere Partei nichts bezahlen sollte.»
Zudem besteht der Verdacht, dass es «Nadine» gar nicht gibt. Vielmehr ist anzunehmen, dass Angestellte des Betreibers die unzähligen SMS-Meldungen verfassen.
Diesen Verdacht äussert auch das Seco. «Sollte eine andere Person als die im Inserat aufgeführte die SMS verfasst haben, hätte der Kunde von vornherein gar nicht, wie im Inserat angegeben, die Möglichkeit gehabt, Kontakt zu dieser Person aufzunehmen, und er wäre getäuscht worden.»
Sunrise besteht darauf, dass Spichiger die Rechnung bezahlt. Zu Unrecht: Ungerechtfertigte Forderungen muss man nicht begleichen.
An solchen SMS verdient Sunrise gemäss Branchenkennern 35 bis 50 Prozent – hat also ein Interesse daran, dass solche Rechnungen bezahlt werden. Wie hoch der Anteil genau ist, wollte Sunrise dem K-Tipp nicht sagen.
Spichiger wandte sich auch an die Ombudscom, die Schlichtungsstelle der Telekommunikationsbranche. Diese sagt, sie sei «nicht befugt» zu prüfen, ob das Inserat täuschend war. Sie hat Spichiger in ihrem Schlichtungsvorschlag empfohlen, die Sunrise-Rechnung zu zahlen.
Auf den Vorwurf des K-Tipp, der Schlichtungsvorschlag sei unbegreiflich, entgegnet die Ombudsfrau Carol Franklin Engler, ihre Vorschläge würden zu 80 bis 90 Prozent angenommen. «Das zeigt, dass wir den Kunden meistens zu ihrer Zufriedenheit helfen können.»
Inhaberin der Kurznummer 789 ist die Firma Mobiletechnics AG in Biel. Diese hält sich aus allem raus: Sie sei nur für den technischen Ablauf verantwortlich. Der Dienst werde von der Ragunt AG in Pfäffikon SZ angeboten.
Firma geht auf Vorwürfe nicht ein
Die Ragunt AG äussert sich nicht zum Verdacht, dass es «Nadine» gar nicht gibt. Auch geht sie nicht darauf ein, dass die Preisangabe «CHF 2.40/SMS» irreführend sei.
Die Firma will aber prüfen, ob sie Spichiger die Rechnung «aus Kulanzgründen und ohne Anerkennung einer Schuld» erlassen wird. Grund: Spichiger leidet am Psycho-Organischen Syndrom (POS), einer Entwicklungsstörung.
Beatrice Walder