Schläflistrasse in Bern: Am Strassenrand steht ein alter, metallener Briefkasten. Darauf ein Kleber: «Ich beziehe einen neuen Standort.» Und von Hand geschrieben die Adresse (siehe Bild im pdf-Artikel). Nur: Am neuen Standort hat es seit eh und je einen Briefkasten. Der Kasten an der Schläflistrasse wird also nicht gezügelt, sondern entfernt – und zwar ersatzlos. Post-Sprecher Oliver Flüeler erklärt dazu: «Wir haben die Kommunikation mit dem Kunden personalisiert. Der Kleber ist formuliert, als ob der Briefkasten mit dem Kunden spräche. So kann er sich freundlich verabschieden.»
Ungenügende Infos für Ortsfremde
Die meisten Konsumenten wünschten sich wohl weniger eine «freundliche Verabschiedung» als vielmehr eine offene Information. Ehrlicher wäre demnach, wenn auf dem Briefkasten stünde: «Ich verschwinde von hier.» «Ich werde entsorgt.» Oder: «Ich komme ins Altmetall.» Und als Zusatz-Information: «Ein Kollege von mir steht bei der Post Spitalacker. Diese befindet sich übrigens am Viktoriaplatz 1.» Dann hätten auch Ortsunkundige eine Chance, den Briefkasten zu finden.
Seit 2007 ist die Post daran, ihre 13 verschiedenen Arten von metallenen Briefkästen in der ganzen Schweiz zu ersetzen. Und zwar durch ein einheitliches Modell, das es Dieben erschweren soll, Briefe herauszufischen. Gleichzeitig überprüft die Post die bisherigen Standorte. Abgeschlossen ist die Aktion erst 2011. In Bern sind die Auswirkungen aber schon heute klar. Von den 304 Kästen werden 244 übrig bleiben – 60 verschwinden also. Das sind 20 Prozent. Gesamtschweizerisch dürfte die Zahl der Briefkästen von 20’000 auf 17’000 sinken (minus 15 Prozent), wie die Post bestätigt.
Das kümmert die Post wenig. Sie lobt sich dafür selber für die rasche Beförderung der Briefe: «Dank der neuen Briefzentren», schrieb sie Ende August, kämen 97,8 Prozent der A-Post und 98,1 Prozent der B-Post wieder pünktlich an. Was sie verschweigt: Das Resultat dürfte unter anderem auch eine Folge der massiv vorverlegten Leerungszeiten bei den Briefkästen sein. Selbst in grossen Städten gibt es mittler- weile Briefkästen, die unter der Woche um 8 Uhr morgens zum letzten Mal geleert werden, samstags bereits um 7 Uhr früh und sonntags überhaupt nicht mehr.
Und schon plant die Post die nächste Verschlechterung: Heute verteilen die Briefträger die Post in der Regel bis zum Mittag. Doch seit einem Jahr erhalten fast 18 000 Private in den Waadtländer Gemeinden Epalinges, Montreux und Lausanne die Post versuchsweise zwischen 10 und 16 Uhr.
Briefeinwurf nur bis morgens um 8 Uhr
Unangenehm für die Kunden: Wenn sie im Laufe des Morgens einen A-Post-Brief in einen Kasten werfen, der bereits um 8 Uhr geleert wurde, benötigt der Brief zweieinhalb Tage, bis er in Lausanne ist. Post-Sprecher Flüeler: «Wer will, dass sein A-Post-Brief am nächsten Tag eintrifft, muss die Leerungszeiten auf dem Briefkasten beachten und allenfalls zu einem Briefkasten mit späterer Leerung gehen. Wo sich dieser befindet, steht auf dem Briefkasten.»
Leichter gesagt als getan auch hier: Ein Leser aus der Lenk BE beklagte sich beim K-Tipp darüber, dass es im ganzen Kurort kei-nen Briefkasten mehr gebe, in den er auch sonntags einen Brief werfen könne, mit der Gewissheit, dass dieser montags ankomme. Dafür müsse er, so die Auskunft der Post, nach Spiez BE. Nur: Das heisst, der Kunde muss dafür 50 Kilometer weit fahren!
Briefkasten-Leerung: Post setzt auf Private
Kein Wunder also, dass die Post laut eigenen Angaben bei den Briefen einen Mengenrückgang von beinahe 5 Prozent gegenüber dem Vorjahr feststellt. Vorher hatte der Rückgang nur etwa 1,5 Prozent pro Jahr betragen. Ob das wirklich nur eine «konjunkturbedingte Verstärkung des Rückgangs» ist, wie die Post behauptet? Wenig vertrauenerweckend ist zudem, dass die Post eine so sensible Arbeit wie das Leeren der Briefkästen auslagert. In Bern sind Zeitungsverträger der Firma Bevo im Auftrag der Post unterwegs. In Privatwagen mit magnetischen Postschildern fahren die Hilfspöstler durch die Quartiere. Und über der normalen Kleidung tragen sie eine Leuchtweste der Post.
Kein Wunder, dass sich Passanten fragen: Arbeiten diese Leute im Auftrag der Post? Oder handelt es sich um Betrüger, die versuchen, an Zahlungsaufträge zu kommen, die sie dann manipulieren können? Post-Sprecher Oliver Flüeler teilt die Bedenken von Postkunden nicht. «Die Bevo ist eine professionelle Zustellorganisation. In einzelnen Fällen arbeiten auch Taxifahrer und Kuriere für uns.
«Alle unterstehen selbstverständlich dem Postgeheimnis.»
Der Vorteil: Die Privaten können laut Flüeler Briefkästen auch dann noch leeren, wenn die Briefträger nicht mehr im Einsatz sind. Und sollte sich jemand nicht ans Postgeheimnis halten, «wird dies von der Post nicht toleriert». Neben der erhöhten Flexibilität bei den Briefkasten-Leerungen geht es bei der Auslagerung an die Bevo laut Post «letztlich auch um die Kosten». Will heissen: Die Post, die keine genauen Zahlen nennt, kann so die Personalkosten tiefer halten.