Die Forderung der SBB war unverschämt: Im Rahmen der Preiserhöhungen von 2007 wollten sie die Strecke Bern–Zürich auf 172 km «verlängern».
Dazu muss man wissen: Die Strecke misst eigentlich nur 130 km. Aber die SBB rechnen schon lange mit 164 km. Deshalb ist das Retourbillett, 2. Klasse, für zurzeit Fr. 94.– eigentlich schon viel zu teuer. Würden die SBB richtig rechnen, müsste man nur Fr. 76.– zahlen.
Deshalb pfiff der damalige Preisüberwacher Rudolf Strahm die SBB zurück. Und so blieb es bei 164 km. Strahm verlangte, die Distanzzuschläge seien «entweder abzuschaffen oder nach objektiven Gesichtspunkten zu gestalten». Weil nichts passierte, verlangte der jetzige Preisüberwacher vom Verband Öffentlicher Verkehr (VÖV) abermals Auskunft.
Jetzt liegt diese vor. In seinem Bericht fordert der VÖV nicht mehr die «Verlängerung» der Strecke Bern–Zürich, sondern sagt kleinlaut: «Aus heutiger Sicht besteht kein Handlungsbedarf.»
Der Preisüberwacher seinerseits wird sich erst in einigen Wochen zum Bericht äussern.
Kurzstrecke: Teurer wegen Billettverkauf
Der K-Tipp hat den Bericht studiert und sagt schon jetzt: Historisch und politisch lässt sich das Tarifchaos vielleicht erklären (siehe unten), sachlich lässt es sich nicht begründen auch nicht mit einem 66-seitigen Bericht. Denn die Rechtfertigungsversuche sind zum Teil haarsträubend:
- Kurzstrecke: Hier begründet der VÖV den Distanzzuschlag mit überproportionalen Fixkosten. Zum Beispiel für den Billettverkauf. K-Tipp-Einwand: Der normale Tarif berücksichtigt das bereits. Die ersten Kilometer sind nämlich die teuersten (danach gibts Mengenrabatt)-
- Reisezeit: Je kürzer die Bahnfahrt im Vergleich zur Autofahrt, desto höher dürfe der Distanzzuschlag sein, so der VÖV. K-Tipp-Einwand: Der Bericht vergleicht nur die Reisezeit von Zentrum zu Zentrum. Logisch, dass die Bahn da besser abschneidet. Von Bauerndorf zu Vorortsgemeinde sähe es anders aus.
- Takt: Je dichter der Fahrplan, desto höher der Distanzzuschlag, so der VÖV. K-Tipp-Einwand: Einen dichten Fahrplan gibt es dort, wo es viele Passagiere hat. Entsprechend hoch sind die Einnahmen. Etwa zwischen Bern und Zürich.
- Komfort: Auch Klimaanlage, WC, Niederflur-Einstieg, Bordrestaurant, Minibar, Ruheabteil und Businessabteil rechtfertigen nach Ansicht des VÖV einen Distanzzuschlag. K-Tipp-Einwand: Das WC ist eine Selbstverständlichkeit. Restaurant und Minibar müssten eigentlich selbsttragend sein. Das Ruheabteil haben die SBB in der 2. Klasse längst abgeschafft. Und das Businessabteil gab es da gar nie. Aber 2.-Klass-Passagiere sollen trotzdem dafür zahlen.
- Kapazität: Aus «technischen Gründen» könnten viele Züge tagsüber nicht verkürzt werden. Deshalb fahren sie halbleer. Auch halbleere Züge führen laut VÖV zum Distanzzuschlag. K-Tipp-Einwand: Die Länge der Züge können alleine die Bahnen bestimmen. Dafür sollten nicht die Passagiere aufkommen.
Der VÖV bestreitet, dass bei den Bahnen ein Tarifwirrwarr und bei der Preisgestaltung Willkür herrsche: «Das Tarifkilometersystem ist historisch gewachsen und beruht primär auf Bundesratsbeschlüssen.»
Historische und politische Gründe für Zuschlags-Wirrwarr
«Erfunden» wurde der Distanzzuschlag im vorletzten Jahrhundert für die Gotthardbahn. Die vielen Kunstbauten (Tunnels und Brücken) verursachten höhere Kosten. Deshalb bewilligte der Bundesrat einen Distanzzuschlag von 75 Prozent.
1943 schaffte der Bund die Distanzzuschläge auf dem gesamten SBB-Netz ab, und um 1960 begrenzte er sie für private Transportunternehmen: auf 40 Prozent für Privatbahnen, 50 Prozent für Busbetriebe und 280 Prozent für touristische Bahnen.
Nach 1978 hob der Bund die Begrenzung wieder auf. Folge: ein Wettlauf der Transportunternehmen um die höchsten Distanzzuschläge.
Denn je mehr Tarif-km (Tarif-Kilometer) eine Bahn hat, desto mehr Geld erhält sie aus den Erträgen für den GA- und den Halbtaxabo-Verkauf. Mit absurden Folgen:
- Am Gotthard gibt es keinen Distanzzuschlag.
- Auf der Lötschberg-Bergstrecke, die mit dem Gotthard vergleichbar ist, beträgt er 43 Prozent.
- Wer von Spiez nur bis Visp VS fährt, legt 54 km zurück, zahlt aber die vollen 120 Tarif-km bis Brig. Distanzzuschlag: 122 Prozent.
- Vom Genfer Flughafen nach St. Moritz sind es 503 km. Berechnet werden 609 km – über 100 km zu viel.
Dass die Fahrt in Postautos, Zahnradbahnen oder auf Schiffen teurer ist, leuchtet ein. Aber: Die Strecke Kleine Scheidegg–Jungfraujoch BE misst 10 km. Berechnet werden 256 Tarif-km. Distanzzuschlag: 2460 Prozent.