Äpfel im Tiefschlaf
Mit einem Gas namens Smartfresh können ab der diesjährigen Ernte Schweizer Äpfel amtlich bewilligt in einen Tiefschlaf versetzt und gelagert werden - angeblich ohne Folgen für Umwelt und Konsumenten.
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K-Tipp 13/2005
24.08.2005
Otto Hostettler - otto.hostettler@ktipp.ch
Das Wundermittel trägt den knackigen Namen Smartfresh, ist chemisch definiert als 1-Methylcyclopropen (1-MCP) und wird vom US-Chemiekonzern Rohm and Haas weltweit über seine Agrochemiefirma Agrofresh vertrieben. Das Ziel: Äpfel sollen auch nach monatelanger Lagerung noch knackig, saftig und frisch zum Konsumenten gelangen. Mit dem Gas 1-MCP - ein Pulver-Wasser-Gemisch - werden die Äpfel im luftdichten Kühlraum «betäubt» und damit der Reifeprozess der Früchte gestoppt.
Exponenten ...
Das Wundermittel trägt den knackigen Namen Smartfresh, ist chemisch definiert als 1-Methylcyclopropen (1-MCP) und wird vom US-Chemiekonzern Rohm and Haas weltweit über seine Agrochemiefirma Agrofresh vertrieben. Das Ziel: Äpfel sollen auch nach monatelanger Lagerung noch knackig, saftig und frisch zum Konsumenten gelangen. Mit dem Gas 1-MCP - ein Pulver-Wasser-Gemisch - werden die Äpfel im luftdichten Kühlraum «betäubt» und damit der Reifeprozess der Früchte gestoppt.
Exponenten der Obstbranche und der Forschungsanstalt Agroscope Wädenswil ZH sind nach Tests des Lobes voll. Die Herstellerfirma spricht gar von einem Durchbruch bei der Lagerung von Obst.
«Keine nachteiligen Nebenwirkungen»
Das Bundesamt für Landwirtschaft hat im Frühling Smartfresh für die Behandlung von Äpfeln zugelassen, wie Hans Dreyer von der Abteilung Forschung und Beratung bestätigt: «Der vorschriftsgemässe Einsatz hat keine unannehmbaren nachteiligen Nebenwirkungen auf Mensch, Tier und Umwelt zur Folge.» Zugelassen ist der Wirkstoff heute schon in Deutschland, Frankreich, Grossbritannien, den Niederlanden und in Österreich. Noch dieses Jahr wird die Zulassung in Belgien und Italien erwartet. Bereits angewendet wird das Gas in Argentinien, Chile, Neuseeland, Südafrika und in den USA.
In der Schweiz läuft der Vertrieb über die Firma Agrosmart in Langenthal BE, die nur gerade vier Tage nach dem Zulassungsentscheid gegründet wurde. Dort bestätigt Verwaltungsratsdelegierte Barbara Leuenberger, dass 1-MCP bei der anstehenden Apfelernte erstmals in der Schweiz verwendet wird.
Konsumentenorganisationen und Ernährungsspezialisten stehen der Apfel-Betäubung ratlos gegenüber. Josianne Walpen von der Stiftung für Konsumentenschutz (SKS) wünscht sich zwar eine Deklaration. Von Gesetzes wegen müssen die mit 1-MCP behandelten Äpfel aber nicht deklariert werden. Eine freiwillige Deklaration lehnen die Grossverteiler Migros und Coop ab. Wer künftig Äpfel essen will, die garantiert nicht mit dem Ethylenblocker behandelt wurden, kann auf Bio-Produkte ausweichen: Bio Suisse lässt 1-MCP nicht zu.
Mehrkosten von 3 Rappen pro Kilo
Der deutsche Autor Hans-Ulrich Grimm, scharfzüngiger Kritiker der Lebensmittelindustrie, vermag nicht in die Euphorie der Obstproduzenten einstimmen: Er befürchtet, dass «das typische Aroma mancher natürlich reifender Apfelsorten auf der Strecke bleiben wird». Und: «Schlimmer ist, dass die durchaus erwünschte Palette unterschiedlicher Reifegrade dem Käufer vorenthalten wird.»
Skeptisch zeigen sich auch einige Obst-Lagerhalter. Bei der Thurgauer See-Obst AG beispielsweise will man den neuen Wirkstoff höchstens «im kleinen Rahmen» einsetzen, wie Geschäftsführer Benno Näf sagt. Er wolle prüfen, ob die Kosten gerechtfertigt seien. Denn: Der Reifehemmer hat einen saftigen Preis. Laut Niklaus Mohrenschildt, Verantwortlicher der Herstellerfirma Agrofresh für Europa, kostet das Wundermittel 3 Rappen pro Kilo Äpfel. Für die See-Obst AG mit ihrer Lagerkapazität von 6000 Tonnen Äpfel wären das Mehrkosten von rund 180 000 Franken pro Jahr.
Muss also, wer knackige Äpfel isst, bald mit Preisaufschlägen rechnen? «Der Einsatz von 1-MCP wird für den Konsumenten nicht zu höheren Preisen führen», behauptet Marc Wermelinger, Geschäftsführer des Handelsverbands Swisscofel.
So bleibt Obst auch zu Hause frisch
Wie Früchte und Gemüse richtig gelagert werden:
Äpfel scheiden bei der Reifebildung das farb- und geruchlose Gas Ethylen aus. Dieses ungefährliche Gas beschleunigt bei Pflanzen die Reifung und den Verderbnisprozess. Starke Ethylenausscheider sind neben Äpfeln auch Birnen, Pfirsiche und Avocados. Empfindlich auf Ethylen reagieren Kiwis, Melonen, Bananen und Tomaten.
Dieses Phänomen kann auch nützlich sein: Sollen beispielsweise grün geerntete Tomaten am Ende der Saison nachreifen oder sind die Kiwis zu hart, legt man sie in der Fruchtschale neben Äpfel, rät die Schweizerische Gesellschaft für Ernährung.