Alles begann mit einer verrenkten Zehe
Marion Rippsteins rechter Fuss ist kaputt - ein Chirurg hat ihn verpfuscht. Immerhin: Die Haftpflicht-Versicherung des Arztes hat den Schaden ersetzt und Schmerzensgeld gezahlt.
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K-Tipp 12/2007
20.06.2007
Ernst Meierhofer
Der Arzt hat an meinem Fuss einen bösen Schlamassel angerichtet», klagt Marion Rippstein. Angefangen hat ihre Leidensgeschichte, als Rippstein ein Problem an der zweiten Zehe bekam: Sie war verrenkt, ein Knochen rutschte immer wieder aus dem Gelenk.
Ihr Chirurg meinte fälschlicherweise, er müsse das Problem unter anderem mit einer Operation an der ersten (grossen) Zehe angehen. Dabei verkürzte er jedoch die grosse Zehe um knapp einen Zentimeter, worauf die Abstimmung der Zehen unterei...
Der Arzt hat an meinem Fuss einen bösen Schlamassel angerichtet», klagt Marion Rippstein. Angefangen hat ihre Leidensgeschichte, als Rippstein ein Problem an der zweiten Zehe bekam: Sie war verrenkt, ein Knochen rutschte immer wieder aus dem Gelenk.
Ihr Chirurg meinte fälschlicherweise, er müsse das Problem unter anderem mit einer Operation an der ersten (grossen) Zehe angehen. Dabei verkürzte er jedoch die grosse Zehe um knapp einen Zentimeter, worauf die Abstimmung der Zehen untereinander nicht mehr stimmte. Die Statik des Fusses war nun verpfuscht.
Als die Patientin weiterhin über Schmerzen klagte, glaubte der Operateur, das Problem durch einen Eingriff an der leicht verkrümmten dritten Zehe lösen zu können - was aber auch nichts brachte.
Ein medizinisches Fachgutachten zu diesem Fall spricht Klartext: Da ist von «falscher Operationstechnik» die Rede, von einer «fatalen Verkürzung» der Zehe, die keinesfalls hätte passieren dürfen. Es sei «eine zu lange und zu dicke Schraube» zum Einsatz gekommen, der Operateur sei bei seinem Eingriff «über das Ziel hinausgeschossen». Und eine Nachoperation habe zu «keinerlei Verbesserung geführt», weil das entscheidende Problem «offenbar nicht erkannt» wurde.
Schliesslich musste die geplagte Frau den Fuss von einem anderen Chirurgen «flicken» lassen. Der machte neun verschiedene Korrektureingriffe. Das brachte zwar eine Besserung, doch einen gesunden Fuss hat die Patientin bis heute nicht mehr: Ihre Zehen sind steif, sie kann nicht mehr lange gehen und stehen - ausserdem hat sie dauernd Schmerzen.
Die Arbeitsfähigkeit der Frau ist bleibend eingeschränkt - und die staatliche Invalidenversicherung (IV) hat ihren Invaliditätsgrad auf 56 Prozent festgelegt.
Die Haftpflichtversicherung des Arztes, die Helvetia, hat der heute 60-jährigen Frau 765000 Franken gezahlt.
Auf den ersten Blick ist das viel Geld. Im Detail betrachtet ist das aber «nur» der Ersatz für den Schaden, den die Patientin durch die Fehlbehandlung des Chirurgen effektiv erlitten hat.
Solche Schadensummen in Haftpflichtfällen setzen sich so zusammen:
- Lohnersatz: Das ist der Lohnausfall bis zum Pensionierungsalter aufgrund der eingeschränkten Arbeitsfähigkeit. Bei einem Haftpflichtfall ist dieser Schaden vom Verursacher voll zu ersetzen. Bei Marion Rippstein sind das rund 500000 Franken für total 11 Jahre - nach Abzug der Beträge, die sie von der staatlichen Invalidenversicherung erhalten hat.
- Haushaltschaden: Das ist die Beeinträchtigung der Fähigkeit, den Haushalt selber zu führen. Dafür gibt es selbst dann Geld, wenn die geschädigte Person keine bezahlte Hilfskraft einstellt, sondern selber mehr Aufwand hat, oder wenn Angehörige helfen oder wenn die Person den Haushalt nicht mehr auf dem gewohnten Niveau weiterführen kann. Rippstein hat unter diesem Titel 220000 Franken bekommen.
- Schmerzensgeld: Zum Schaden gehört auch ein Schmerzensgeld (Genugtuung) für die Leidenszeit und den Verlust an Lebensqualität. Im Fall von Marion Rippstein haben sich ihr Anwalt und die Haftpflichtversicherung auf 45000 Franken geeinigt.
«Alles in allem ist das eine gute, faire Lösung», sagt ihr Rechtsanwalt.
Der Fall zeigt allerdings auch: Opfer von Behandlungsfehlern werden nicht quasi automatisch entschädigt. Sie müssen die richtigen Schritte tun.
Rippstein würde sich heute zum Beispiel nicht mehr an die Schweizerische Patientenorganisation (SPO) wenden. Dort habe man für sie nicht genügend Zeit gehabt. Die SPO bedauert das heute: Im fraglichen Jahr 2001 habe man einen personellen Engpass gehabt, weil das Thema Arztfehler in den Medien sehr präsent war und sich deshalb viele Betroffene gemeldet hätten.
Rippsteins Glück war, dass ein Bekannter sie an diesen Rechtsanwalt verwies. Denn er ist Mitglied bei der Rechtsberatungsstelle UP für Unfallopfer und Patienten.
Diese spezialisierten Anwälte wissen, wie in solchen Fällen vorzugehen ist. Inbesondere kennen sie Fachgutachter, von denen sie wissen, dass sie (Fehl-) Behandlungen von Ärztekollegen beim Namen nennen und ein wirklich unabhängiges Gutachten abliefern.
Die definitive Wahl des Gutachters geschieht übrigens in Absprache mit der Versicherung.
Wichtig ist auch, in solchen Fällen eine Rechtsschutzversicherung zu haben. Rippsteins Anwalt hat mehrere 10 000 Franken gekostet. Weil Rippstein von der Haftpflichtversicherung entschädigt wird, übernimmt die Versicherung auch ihre Anwaltskosten. Hätte sie verloren, wäre sie auf diesen Kosten sitzengeblieben - denn damals hatte Rippstein noch keinen Rechtsschutz.
Schliesslich müssen sich Opfer von Behandlungsfehlern auch in Geduld üben. Immerhin dauerte es rund fünf Jahre, bis Rippstein vollständig entschädigt war.
Vor einer Operation: Zweite Meinung einholen!
Wer vor einer Operation steht, stellt sich unweigerlich die Frage: Kann ich dem Chirurgen vertrauen? Ist er ein guter Chirurg? Oder macht er mehr Fehler als andere?
Eine Antwort zu geben, ist schwierig. Denn Fehler passieren immer wieder. Einer der beteiligten Ärzte im Fall Rippstein schreibt: «Als Chirurgen wissen
wir bestens, dass es keine Chirurgie gibt ohne Komplikationen, gar Fehler oder zusätzlich schlechte Resultate.»
Eine gute Möglichkeit für Patientinnen und Patienten: Holen Sie vor einer Operation die Meinung eines zweiten Chirurgen ein. Fragen Sie ihn, ob die geplante Operation sinnvoll und wirklich notwendig ist. Und fragen Sie ihn auch nach möglichen Behandlungsalternativen ohne Operation.
Diese Anwälte helfen Ihnen weiter
Bei der «Rechtsberatungsstelle UP für Unfallopfer und Patienten» sind zurzeit etwa 50 Juristinnen und Juristen aus den Regionen Bern, Luzern, St. Gallen und Zürich in der Beratung aktiv. Die meisten sind Anwälte, die hauptsächlich im Haftpflicht- und Sozialversicherungsrecht arbeiten.
Die Beraterinnen und Berater informieren Sie, welche Versicherungsleistungen Ihnen zustehen. Sie prüfen, ob weitere medizinische
Abklärungen nötig sind, und begutachten die Entschädigungsangebote von Versicherungen.
Das Sekretariat reserviert Ihnen einen Beratungstermin (45 Minuten kosten 80 Franken).
Adresse: Werdstrasse 36, 8004 Zürich, Tel. 0800 707 277 (gratis), Internet: www.rechtsberatung-up.ch
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