«Als Einzelner bin ich machtlos»
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K-Tipp 15/2000
20.09.2000
Wer gegen Natel-Antennen kämpft, hat es schwer - die Gerichte weisen Beschwerden ab
Bernhard Bolli hat Unterschriften gesammelt, Einsprache gemacht, Rekurs nachgeschoben. Doch ausser 5000 Franken Spesen ist nix gewesen: Orange darf die Natel-Antenne bauen - nur 65 Meter von Bollis Haus entfernt.
Pia Seiler pseiler@k-tip.ch
Als Bernhard Bolli den langen Stab auf dem Dach seines Nachbarn in Uetikon ZH sah, wusste er sofort, was es geschlagen hatte: Das...
Wer gegen Natel-Antennen kämpft, hat es schwer - die Gerichte weisen Beschwerden ab
Bernhard Bolli hat Unterschriften gesammelt, Einsprache gemacht, Rekurs nachgeschoben. Doch ausser 5000 Franken Spesen ist nix gewesen: Orange darf die Natel-Antenne bauen - nur 65 Meter von Bollis Haus entfernt.
Pia Seiler pseiler@k-tip.ch
Als Bernhard Bolli den langen Stab auf dem Dach seines Nachbarn in Uetikon ZH sah, wusste er sofort, was es geschlagen hatte: Das war ein Baugerüst für eine Natel-Antenne. Und tatsächlich: Mobiltelefon-Betreiber Orange hatte das Baugesuch bereits eingereicht und mit Nachbar Hans Ramseyer einen Mietzins von 500 Franken pro Monat ausgehandelt.
«Ich bin gesund und stehe mit beiden Beinen auf dem Boden», sagt Bernhard Bolli. «Aber mich einfach bestrahlen lassen von einer Antenne nur 65 Meter von meinem Haus entfernt - das wollte ich nicht. Denn noch kann niemand garantieren, dass die hochfrequente Strahlung von Mobilfunk-Antennen unschädlich ist.» Bernhard Aufdereggen, Präsident der Ärzte für Umweltschutz, gibt ihm Recht. «Der Ausbau der Mobilfunk-Netze geht auf Biegen und Brechen weiter, bevor die Wissenschaft Zeit gehabt hätte, Auswirkungen auf die Gesundheit zu studieren.»
Bolli intervenierte, argumentierte, sammelte Unterschriften - und blitzte überall ab: zunächst beim Nachbarn, dann beim Gemeinderat und kürzlich auch beim Kanton. Die kantonale Baurekurs-Kommission verlangt von Bolli nun 4930 Franken; 3930 Franken für Gebühren und 1000 Franken «Umtriebs-Entschädigung» für Orange. Dabei hätte es auch mehr sein können. Das Maximum des Gebühren-Tarifs liegt bei 24 000 Franken. Und Orange-Sprecherin Therese Wenger sagt: «Die 1000 Franken decken unsere tatsächlichen Kosten bei weitem nicht.»
UMTS-Technik benötigt mindestens 4000 Antennen
Für den 61-jährigen Swissair-Angestellten jedoch ist die Rechnung happig. Sie hat ihn derart zermürbt, dass er den Weg durch die Instanzen aufgibt. «In diesem Milliardengeschäft bin ich als Einzelner machtlos. Rein schon finanziell kann ich nicht weitermachen.» Trotzdem will Bolli am Problem dranbleiben. «Mit der Versteigerung von vier neuen Mobilfunk-Lizenzen im November geht es ja erst richtig los.» Tatsache ist, dass Betreiber bereit sind, für die neuen Netze Milliarden aufzuwenden. Sie basieren auf der so genannten UMTS-Technik und benötigen mindestens 4000 weitere Antennen-Masten.
Am meisten erbittert Bolli aber, wie die Behörden seine gesundheitlichen Bedenken «einfach unter den Tisch gewischt haben», ebenso die 400 beigelegten Unterschriften von besorgten Mitbürgern.
Diese Kritik lässt Rudolf Bohli, Baukommissions-Präsident der Gemeinde Uetikon, nicht gelten. «Es ist nicht unsere Sache, auf vage Befürchtungen einzugehen. Wir entscheiden nach gültigen Regeln» - im Fall von Natel-Antennen nach der neuen Verordnung über den Schutz vor nichtionisierender Strahlung NISV. Ein klarer Fall also: Die geplante Antenne erfüllt nach Eigendeklaration von Orange die gesetzlichen Auflagen, «also bewilligen wir sie, ebenso künftige Anlagen, sofern sie nicht in einer Kernzone stehen», sagt Bohli.
Behörden stützen sich auf die NIS-Verordnung
Dieser Argumentation folgt auch die nächste Instanz, die kantonale Baurekurs-Kommission. Im 25-seitigen Bericht sind Sätze zu lesen wie: «Die nach der genannten Formel für die Berechnung der Leistungsdichte massgebende elektrische Sendeleistung (P) bezeichnet dabei nicht die (höchstmögliche) äquivalente Strahlungsleistung in Hauptrichtung, bezogen auf den Halbwellendipol?» - und so weiter und so fort.
Kernaussage ist: Die NIS-Verordnung erlaubt für die umstrittene Antenne einen Anlage-Grenzwert von 6 Volt pro Meter - ein Mass für die Stärke der Strahlung. Orange kommt in ihrer Berechnung lediglich auf 1,44 V/m, bezogen auf den Platz vor Bernhard Bollis Haus.
Doch diese Werte beruhigen Bolli nicht. Sukkurs erhält er von der Schweizerischen Energie-Stiftung und den Ärzten für Umweltschutz. «Wir stellen fest, dass immer mehr elektrosensible Leute unsere Praxen aufsuchen, die ihre Probleme mit dem Mobilfunk in Verbindung bringen», sagt Bernhard Aufdereggen. Die am meisten genannten Symptome laut Aufdereggen: Kopfweh, Schlafstörungen, Gelenkschmerzen, Ohrgeräusche, Verschlechterung des Allgemeinzustandes.
Die beiden Organisationen fordern einen Anlage-Grenzwert von 0,6 V/m für besiedelte Gebiete, also zehn Mal weniger als in der NIS-Verordnung. Sie berufen sich dabei auf Salzburg: Dort war der Widerstand der Bevölkerung so gross, dass einige Betreiber freiwillig auf diesen Grenzwert schalteten.
Derweil macht die Schweiz erste Erfahrungen mit der NIS-Verordnung. Fazit: Wenn die Natel-Antenne die Auflagen erfüllt, haben Opponenten keine Chance. So hat die Zürcher Rekurs-Kommission seit Sommer 1999 noch keinen einzigen der rund hundert eingereichten Rekurse gutgeheissen. Kürzlich hat auch das Bundesgericht zehn Bewohner aus Dotzigen BE abgewiesen, die sich gegen eine 21 Meter hohe Natel-Antenne gewehrt hatten.
Einziger Trost für Bernhard Bolli: Nachbar Hans Ramseyer ist sich seiner Sache nicht mehr sicher. Ramseyer selber hätte zwar keine Probleme mit der Antenne. «Jeder Zweite läuft ja heute mit einem Handy herum.» Doch seine Söhne wollen nicht. Sie wohnen mit ihren jungen Familien gleich um die Ecke - mitten im Strahlenkegel der geplanten Antenne.