Bald dürfen auch Teenies rasen
16-Jährige fahren ab 1. April ungedrosselte Motorräder, Autofahrer ohne Prüfung 125er und 18-Jährige steigen direkt auf schwere Maschinen. Sicherheitsexperten sind besorgt.
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K-Tipp 5/2003
12.03.2003
Marco Diener - mdiener@ktipp.ch
Wir befürchten eine Zunahme schwerer und tödlicher Verletzungen», sagt BfU-Sprecher Rolf Moning. Und Anton Brunner von der Unfallforschung der Winterthur-Versicherung ergänzt: «Jungen Motorradfahrern fehlt die nötige Reife und Verkehrserfahrung.»
Sorgen macht den Fachleuten vor allem, dass sich künftig 16-Jährige auf Töffs mit ungedrosselten 50-Kubikzentimeter-Motoren setzen dürfen. Bisher war deren Höchstgeschwindigkeit auf 45 km/h beschränkt. Ungedrosselte 50er scha...
Wir befürchten eine Zunahme schwerer und tödlicher Verletzungen», sagt BfU-Sprecher Rolf Moning. Und Anton Brunner von der Unfallforschung der Winterthur-Versicherung ergänzt: «Jungen Motorradfahrern fehlt die nötige Reife und Verkehrserfahrung.»
Sorgen macht den Fachleuten vor allem, dass sich künftig 16-Jährige auf Töffs mit ungedrosselten 50-Kubikzentimeter-Motoren setzen dürfen. Bisher war deren Höchstgeschwindigkeit auf 45 km/h beschränkt. Ungedrosselte 50er schaffen locker Tempo 80.
Doch das ist nicht die einzige Neuerung:
- 18-Jährige erhalten den Lernfahrausweis für Motorräder, die nicht mehr als 34 PS leisten, ohne dass sie zuerst einen 125er-Töff beherrschen müssen. BMW, auf schwere Motorräder spezialisiert, wirbt bei 18-Jährigen bereits für gedrosselte 650er- und 850er-Maschinen.
- 25-Jährige dürfen sogar auf schwere Motorräder ohne PS-Beschränkung steigen. Auch sie müssen keine Fahrpraxis auf einer 125er mehr vorweisen.
- Autofahrer können ohne Prüfung 125er-Motorräder fahren. Vorgeschrieben sind nur acht Stunden praktische Schulung.
- Ebenfalls prüfungsfrei gibt es den 125er-Ausweis für Jugendliche, die 18 Jahre alt werden, wenn sie den Ausweis für 50er-Töffs besitzen.
Die neue Regelung ist eine Anpassung an die EU. Doch ganz so weit wie die EU sind die Schweizer Behörden nicht gegangen. So dürfen zum Beispiel 16-Jährige in der Schweiz auch in Zukunft keine 125er-Maschine fahren.
Dennoch, Verkehrssicherheits-Fachleute sind konsterniert: «Wir hätten die unterste Alterslimite zum Führen von Motorrädern gerne bei 18 gesehen», sagt Rolf Moning. Und er begründet: «Tatsache ist, dass junge Menschen - namentlich männliche zwischen 16 und 18 Jahren - eher bereit sind, Verkehrsregeln zu brechen und höhere Risiken in Kauf zu nehmen.»
Zudem besteht laut Anton Brunner die Gefahr, dass Jugendliche mit wenig Geld bei Helm und Schutzbekleidung sparen.
Mühe haben die Leute von der Winterthur-Unfallforschung auch damit, dass Autofahrer ohne Prüfung 125er fahren dürfen. «Auto und Motorrad sind zwei verschiedene Paar Schuhe», hält Brunner fest. «Wer ein guter Autofahrer ist, ist nicht automatisch auch ein guter Motorradfahrer.» Er glaubt, dass Autofahrer, die nur gelegentlich Töff fahren, besonders gefährdet sind.
Dass Autofahrer den Motorradausweis ohne Prüfung erhalten, ist eigentlich ein Rückschritt um über 25 Jahre. Bis 1977 erhielten Autolenker den 125er-Ausweis geschenkt. Aus Sicherheitsgründen wurde dann die Prüfung für jedermann Vorschrift.
Ebenfalls seit 1977 gilt, dass Motorradfahrer erst auf schwere Maschinen steigen dürfen, wenn sie zwei Jahre eine 125er gefahren sind.
Für Rolf Moning von der BfU sind die Lockerungen fehl am Platz. Er erinnert daran, «dass das Unfallrisiko für Motorradlenker - bezogen auf die Kilometerleistung - sechsmal höher ist als für Autolenker».
Brunner geht davon aus, dass es mehr und schwerere Unfälle geben wird. Zu möglichen Auswirkungen auf die Versicherungsprämien meint Winterthur-Pressesprecherin Renata Tschudi: «Die Prämien ändern sich vorläufig nicht. Gegebenenfalls werden wir aber Anpassungen vornehmen.»
Pascal Blanc vom Bundesamt für Strassen (Astra) glaubt nicht, dass es zu mehr Unfällen kommt. Er rechnet mit «positiven Auswirkungen auf das Unfallgeschehen». Grund: die ausgedehntere obligatorische Ausbildung (siehe Tabelle).
Blanc spricht denn auch nicht davon, dass Autofahrern der 125er-Ausweis «geschenkt» werde. «Den Ausweis gibts ja erst nach einer motorradspezifischen Ausbildung, bei der die Kursziele erreicht werden müssen», argumentiert er.
Auch bei den 16- bis 18-Jährigen erwartet Blanc keine Unfallzunahme. Zwar dürfen die 50er-Töffs künftig schneller als Tempo 45 fahren, doch gleichzeitig haben die Behörden sowohl Ausbildung als auch Prüfung verschärft.
Aufgehoben wird die Tempolimite laut Blanc auch deshalb, weil die gedrosselten 50er ein Verkehrshindernis sind und deren Lenker häufig auf Radwege ausweichen.
Doch wie passen die Lockerungen zum Projekt «Vision zero» des Bundes? Darin schlagen die Autoren unter anderem vor, die Höchstgeschwindigkeit für alle Motorräder auf 80 km/h zu senken. Dazu nimmt das Astra keine Stellung, weil es dem «laufenden partizipativen Prozess» nicht vorgreifen wolle.
Links zum Thema finden sie unter www.ktipp.ch