Bei Anruf Rat - nur ist oft kein Arzt am Draht
Wer sich an ein medizinisches Call-Center wendet, hofft auf kompetenten Rat. Oft jedoch vergeblich: Nicht überall sind Ärzte am Draht. Und nicht selten werden Hilfesuchende an den Hausarzt verwiesen.
Inhalt
K-Tipp 17/2002
16.10.2002
Pirmin Schilliger redaktion@ktipp.ch
Ob bei Kopfschmerzen, Fieber oder unregelmässigem Puls: Immer mehr Menschen wenden sich an den «Telefon-Doktor», wenn sie sich unwohl fühlen und nicht wissen, woran es liegt.
In der Schweiz bieten drei medizinische Call-Center ihre Dienste an: Medgate in Basel, Medi-24 in Bern und Hirslanden Health Line in Zürich. Deren Beraterinnen und Berater versuchen, in einem 10- bis 15-minütigen Gespräch die Symptome zu analysieren und dem Patienten den weiteren Weg zu weisen: Kann er...
Ob bei Kopfschmerzen, Fieber oder unregelmässigem Puls: Immer mehr Menschen wenden sich an den «Telefon-Doktor», wenn sie sich unwohl fühlen und nicht wissen, woran es liegt.
In der Schweiz bieten drei medizinische Call-Center ihre Dienste an: Medgate in Basel, Medi-24 in Bern und Hirslanden Health Line in Zürich. Deren Beraterinnen und Berater versuchen, in einem 10- bis 15-minütigen Gespräch die Symptome zu analysieren und dem Patienten den weiteren Weg zu weisen: Kann er sich selber behandeln? Soll er zum Arzt gehen? Oder ist gar sofort die Ambulanz zu rufen?
Die Call-Center sehen sich nicht als Konkurrenz zu den Hausärzten, sondern als Ergänzung zu deren Angebot. «Wir können das Verhältnis zwischen Patient und Hausarzt nicht ersetzen», sagt Andy Fischer, Geschäftsleiter von Medgate.
Doch auch die Hilfsmöglichkeiten sind am Telefon beschränkt. Der Patient kann ja nicht physisch untersucht werden. Er darf daher keine eigentliche Diagnose erwarten. Und es werden keine Rezepte ausgestellt.
Die Qualität der medizinischen Telefonberatung in der Schweiz wurde bislang kaum einmal geprüft. Das Bundesamt für Sozialversicherung hat zwar beim Start von Medgate und von Medi-24 vor zwei Jahren eine wissenschaftliche Begleitung der Projekte verlangt. Doch diese dauert an, Resultate liegen noch keine vor.
Ebenso wenig gibts bis jetzt verbindliche Kriterien für den Betrieb medizinischer Call-Center. Solche wollen die Verbindung Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH) und die Schweizerische Gesellschaft für Telemedizin (SGTM) erst in den nächsten Jahren ausarbeiten.
Medgate reagierte in zwei Fällen am besten
Um trotzdem schon heute eine Vorstellung davon zu erhalten, wie es um die Qualität der drei schweizerischen Call-Center bestellt ist, hat der K-Tipp eine Stichprobe durchgeführt. Der Arzt und medizinische Experte des Gesundheitsmagazins Puls-Tipp, Thomas Walser, stellte drei als exemplarisch eingestufte Krankheitsfälle zusammen: Meningokokkensepsis (bakterielle Hirnhautentzündung), Clusterkopfschmerz (heftige Kopfwehattacke) und Angststörung mit Panikattacken.
Eine Testperson konfrontierte alle drei Call-Center mit Symptomen, die für diese Leiden typisch sind - und erhielt unterschiedliche Ratschläge, die Thomas Walser dann auswertete.
- Meningokokkensepsis bei einem Kind: Hier erzielten alle drei Call-Center recht gute Noten, weil sie die Dringlichkeit richtig einschätzten. Am besten reagierte Medi-24: Die Beraterin machte schnell deutlich, dass das Kind sofort zum Arzt müsse. Medgate und die Hirslanden Health Line brauchten ein paar Minuten länger, um die Lage korrekt einzuschätzen.
Thomas Walser bemängelt indessen, dass es sämtliche Call-Center-Berater unterliessen, nach dem für diesen Fall typischen Hautausschlag zu fragen. «Das ist ein Fehler, der nicht passieren dürfte», meint auch Medgate-Geschäftsleiter Fischer.
- Clusterkopfschmerz: Gut reagierte in diesem Fall nur das Call-Center Medgate. Dessen Berater, ein Arzt, folgerte richtig, dass es sich um nichts Bedrohliches handeln könne. Er beruhigte und riet zur Selbstmedikation. Allenfalls sei zu einem späteren Zeitpunkt der Hausarzt aufzusuchen.
Klar schlechter schnitten Medi-24 und die Hirslanden Health Line ab. Medi-24 riet, innert 24 Stunden zum Arzt zu gehen - eine übertriebene Reaktion, die unnötig Ängste (etwa vor einem Hirntumor) schüren könnte. Verwirrende Fragen und einen simplen Tipp gabs vom Berater der Hirslanden Health Line: Er forderte dazu auf, sofort ins Hirslanden-Spital zu kommen.
Wirklich optimal hat nach Einschätzung von Thomas Walser letztlich keines der drei Call-Center geantwortet. Walser ist überzeugt: Ein erfahrener Hausarzt hätte am Telefon aufgrund der beschriebenen Symptome eine klare Diagnose stellen und die richtigen Medikamente empfehlen können.
- Angststörung mit Panikattacken: Gut schnitt hier wiederum Medgate ab. Der Telefonarzt machte klar, dass es sich bloss um stressbedingte Symptome handle und nicht etwa um einen Herzinfarkt. Bei Medi-24 und der Hirslanden Health Line hingegen liessen die Berater die Befürchtung durchschimmern, es bahne sich möglicherweise ein Herzinfarkt an, und empfahlen, sofort einen Arzt aufzusuchen - ziemlich beunruhigende Signale in einem an sich harmlosen Fall.
Das insgesamt recht gute Abschneiden von Medgate dürfte kein Zufall sein. Denn in diesem Call-Center sind ausschliesslich Ärzte am Telefon. Bei Medi-24 und der Hirslanden Health Line dagegen erteilen «nur» medizinische Fachleute, zum Beispiel erfahrene Krankenschwestern, Auskunft.
FMH-Präsident Heinrich Brunner findet das nicht optimal: «Medi-24 und Hirslanden sollten wie Medgate ebenfalls Ärzte an die Telefonfront schicken.»
Letztlich seien nur ausgebildete und erfahrene Ärzte fähig, am Telefon gut zu beraten, ist Heinrich Brunner überzeugt. Zudem erwarteten Patienten, die sich an ein medizinisches Call-Center wenden, dass sie von Ärzten und nicht von Pflegepersonal beraten würden.
Christian Simonin, Arzt und Medi-24-Geschäftsführer, verteidigt das personelle Konzept «seines» Centers. Auch in einer Arztpraxis würden Anrufer meistens zuerst durch die Arztgehilfin beraten. Nach einer Studie des Instituts für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Bern jedenfalls werde die Dringlichkeit der Fälle von den Medi-24-Mitarbeitern korrekt eingestuft.
In der K-Tipp-Stichprobe zeigt sich allerdings ziemlich klar: Die Call-Center-Berater von Medi-24 und der Hirslanden Health Line empfehlen zuweilen reichlich schnell, einen Arzt zu konsultieren - eben auch in Fällen, wo dies nicht notwendig wäre. Fragt sich bloss, wozu es denn überhaupt noch ein Call-Center braucht. Da könnte man ja gleich zum Arzt gehen.
FMH-Präsident Brunner wirbt um ein gewisses Verständnis für die Situation der medizinischen Call-Center. Diese seien noch im Pionierstadium und wollten unbedingt vermeiden, durch einen gravierenden Fehlentscheid in die Schlagzeilen zu geraten. Daher werde beim geringsten Zweifel der Gang zum Arzt empfohlen.
Doch das ist nicht der einzige Grund: Bei der Hirslanden Health Line ist die rasche Arztermittlung Teil der Strategie, wie Josef Rohrer von der Konzernleitung erklärt. Man ziele nicht auf eine Triage, sondern wolle die Leute rund um die Uhr ohne Umschweife zum richtigen Arzt weisen, und zwar weltweit. «Wir spielen eben nicht Arzt, wir organisieren ihn», so Rohrer.
Kostendämpfung dank Call-Center fraglich
Bloss: Wie sollen medizinische Call-Center dann dazu beitragen, die Kosten im Gesundheitswesen zu reduzieren? Die Krankenkassen, die mit solchen Centern Verträge ausgehandelt haben, erhoffen sich Einsparungen dank optimierter Behandlungsketten. Ob diese Hoffnung berechtigt ist, weiss niemand. Man befinde sich noch immer in der Testphase, erklärt Peter Marbet, Sprecher des Krankenkassenverbandes Santésuisse.
Relativ skeptisch bezüglich Kostendämpfung äussern sich die Vertreter der medizinischen Call-Center selber.
- Christian Simonin von Medi-24 verweist auf eine noch nicht abgeschlossene Studie der Uni Bern. Tenor: Die Call-Center würden offenbar keinen wesentlichen Einfluss auf die Gesundheitskosten ausüben.
- Hirslanden-Vertreter Josef Rohrer macht keinen Hehl daraus, dass es der Spitalkette mit der Health Line nicht in erster Linie um tiefere Gesundheitskosten gehe. Er versteht den medizinischen Telefondienst vielmehr als eine Art von Kundenbetreuung, mit der Ratsuchende in die Hirslanden-Kliniken «gelotst» werden.
Im nächsten K-Tipp: Medizinische Infos im Internet
Beratungen für Krankenkassenmitglieder meist gratis
In der Schweiz bieten derzeit drei medizinische Call-Center Beratungsdienste an:
- Medgate AG in Basel: Medgate ist via Telefon und Internet (www.medgate.ch) rund um die Uhr erreichbar. Versicherte der Krankenkassen Sanitas, Intras, Innova und KPT sowie HMO-Versicherte von Concordia, Helsana, ÖKK und KBV werden kostenlos beraten, Tel. 0844 844 911. Alle anderen Ratsuchenden erhalten unter Tel. 0900 911 911 für Fr. 4.23 pro Minute Auskunft.
- Medi-24 in Bern: Ebenfalls rund um die Uhr gibts Auskünfte bei Medi-24. Versicherte der Helsana, Progrès, Kolping, Steffisburg, Wincare und Winterthur werden unter Tel. 0800 824 365 gratis, alle übrigen Interessierten unter Tel. 0900 900 724 für Fr. 4.23 pro Minute beraten. (Website: www.medi-24.ch)
- Hirslanden Health Line in Zürich: Hier kostet die Beratung unter Tel. 0900 333 999 pro Minute Fr. 3.90. (Website: www.hirslanden.ch)