Berner Kantonalbank torpediert das Mietrecht
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K-Tipp 13/2000
23.08.2000
Hypozins Im Kanton Bern gibt es keinen Basiszinssatz mehr
Mieter und Hauseigentümer sind verärgert. Die neue Hypozins-Politik der Berner Kantonalbank löst eine Beschwerdeflut aus - und droht, die Mieten um bis zu zwölf Prozent zu erhöhen.
Markus Kellenberger mkellenberger@k-tip.ch
Beim Mietamt der Stadt Bern richten sich die Angestellten auf einen arbeitsreichen Spätsommer ein. «Allein in der letzten Woche sind über 100 neue Einsprachen gegen ...
Hypozins Im Kanton Bern gibt es keinen Basiszinssatz mehr
Mieter und Hauseigentümer sind verärgert. Die neue Hypozins-Politik der Berner Kantonalbank löst eine Beschwerdeflut aus - und droht, die Mieten um bis zu zwölf Prozent zu erhöhen.
Markus Kellenberger mkellenberger@k-tip.ch
Beim Mietamt der Stadt Bern richten sich die Angestellten auf einen arbeitsreichen Spätsommer ein. «Allein in der letzten Woche sind über 100 neue Einsprachen gegen Mietzinsanpassungen bei uns eingetroffen», sagt Christian Rageth, Sekretär des Mietamtes. Andern Berner Schlichtungsstellen geht es nicht besser. Für Rageth und seine Kollegen steht fest, wer die Hauptschuld am Sturm an der Mieterfront trägt: «Die Kantonalbank.»
Ende Mai hat sie - als einzige Kantonalbank - entschieden, keinen allgemein gültigen Basis- oder Leitzinssatz für Hypotheken mehr zu veröffentlichen. Damit fällt im ganzen Kanton die bisher allen verständliche Grundlage für Mietzinsberechnungen weg. Die Begründung der Kantonalbank (BeKB): «Aufgrund von veränderten Kundenbedürfnissen ist der bisher publizierte Basissatz nicht mehr repräsentativ», erklärt Mediensprecher Peter Lienhard.
Verwirrung ist grösser als «Transparenz»
Statt eines einzigen Leitzinssatzes, wie alle andern massgeblichen Banken, gibt die BeKB monatlich nun drei Werte bekannt: den Durchschnitts-Zinssatz im allgemeinen Wohnungsbau (ohne selbstbewohntes Eigentum) und den obersten und untersten Zinssatz für variable sowie feste Hypotheken bei selbstgenutztem Eigentum. «Damit», meint Lienhard, «schaffen wir mehr Transparenz auf dem Hypothekarmarkt und stellen so den interessierten Kreisen die nötigen Entscheidungsgrundlagen zur Verfügung.» Mit andern Worten: Jetzt müssen die Verbände selber entscheiden, welcher Zinssatz für sie am besten ist.
Doch über den an sie weitergegebenen Ball freuen sich weder der Mieter- noch der Hauseigentümerverband. Margret Kiener Nellen, Präsidentin der Vereinigung Berner Mieterverbände (VBM): «Das Vorgehen der BeKB löst eine unnötige Teuerung aus.» Insbesondere, weil die Bank per 1. August alle Hypozinse um ein halbes Prozent erhöht hat. Das Zinsband für variable 1. Hypotheken liegt jetzt bei 4 1/4 bis 5 1/4 Prozent.
Aber nicht nur das bereitet Kiener Nellen Sorgen. Mit dem Abschaffen des Basiszinssatzes werde auf kaltem Weg das Mietrecht ausgehebelt. Dieses schreibt vor, in welchem Mass Hypozins-Erhöhungen oder -Senkungen die Mieten beeinflussen dürfen. Ohne eindeutigen Leitzins ist das aber kaum möglich. Kiener Nellen fürchtet deshalb, dass die Mieten in den nächsten Monaten um bis zu 12 Prozent steigen, und fordert: «Die Kantonalbank soll sofort wieder einen Zinssatz veröffentlichen, nach dem sich alle richten können.»
Mieter und Vermieter wollen klaren Basissatz
Das wünschen sich auch die Berner Hauseigentümerverbände. «Die Aktion der BeKB bringt die Mietverhältnisse durcheinander», sagt Daniel Rutsch, Sekretär des Hauseigentümerverbandes Bern und Umgebung. Ins selbe Horn stösst der Schweizerische Hauseigentümerverband: «Ein einziger und klarer Basiszinssatz ist sinnvoll, alles andere führt zu unnötigen Verwirrungen», heisst es dort klipp und klar.
Doch der Wunsch nach einem gültigen Basiszinssatz ist die einzige Gemeinsamkeit zwischen Mietern und Vermietern. Zur Berechnung der Mieten geht VBM-Präsidentin Margret Kiener Nellen vom untersten Rand des Zinsbandes, also 4 1/4 Prozent, aus, die Hauseigentümer bestehen auf einen Mittelwert von 4 1/2 Prozent.
Und für alle Beteiligten steht bereits so gut wie fest: Die Schlichtungsstellen werden die Wogen kaum glätten können. Ohne Gerichtsurteil will keine Partei nachgeben. «Da kommt einiges auf uns zu», prognostiziert Einzelrichter Peter Kunz vom Gerichtskreis Bern-Laupen. Seine Befürchtung: «Womöglich endet der Streit erst mit einem Urteil des Bundesgerichts.»
Der ganze Aufwand lässt die BeKB kalt. Auch dem Staate Bern, Mehrheitsaktionär der Bank, ist der Wirbel um die Hypozinse egal. «Für unternehmerische Entscheide ist die Bank und nicht der Kanton zuständig», sagt Jean-Philippe Kohl von der Berner Finanzdirektion.
Dabei ginge es auch anders, wie das Beispiel St. Gallen zeigt. Dort wollte die Kantonalbank vor zwei Jahren ebenfalls das herkömmliche System des Leitzinses abschaffen, aus ähnlichen Gründen wie die BeKB.
Aber: Nach einem gewaltigen Aufschrei in den Medien und harscher Kritik durch Mieter- und Vermieterverbände sei man sofort wieder zurückgekrebst. Gerhard Meier, Präsident der Geschäftsleitung: «Wir wollten aus der ganzen Angelegenheit schliesslich keine Prestigefrage machen.»