Besser als ihr Ruf: Alte Pneus mit neuem Profil
Finanzielle und ökologische Gründe sprechen für die Wiederverwertung abgefahrenerAutoreifen. Ein neues Gutachten räumt mit alten Vorurteilen auf.
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K-Tipp 8/2003
23.04.2003
Georges Müller - gmueller@ktipp.ch
Als der Touring Club (TCS) 1979 seinen ersten Test von «aufgummierten» Reifen machte, fiel das Ergebnis «vernichtend» aus, erinnert sich Beat Wyrsch, beim TCS zuständig für Technik und Umwelt: «Vor allem die Schnelllaufeigenschaften waren ungenügend.»
Dieser damalige Befund scheint bis heute nachzuwirken, denn erst etwa sieben Prozent der abgefahrenen Pneus von Schweizer Autos kommen in ein Aufgummierungswerk, wo sie zu so genannt runderneuerten Autorädern aufbereitet we...
Als der Touring Club (TCS) 1979 seinen ersten Test von «aufgummierten» Reifen machte, fiel das Ergebnis «vernichtend» aus, erinnert sich Beat Wyrsch, beim TCS zuständig für Technik und Umwelt: «Vor allem die Schnelllaufeigenschaften waren ungenügend.»
Dieser damalige Befund scheint bis heute nachzuwirken, denn erst etwa sieben Prozent der abgefahrenen Pneus von Schweizer Autos kommen in ein Aufgummierungswerk, wo sie zu so genannt runderneuerten Autorädern aufbereitet werden.
Heute hat der TCS seine Position revidiert: Die aufbereiteten Reifen mit Gütesiegel seien heute nicht mehr schlechter als neue - vor allem für kleinere und mittelgrosse Autos, die im täglichen Strassenverkehr am häufigsten unterwegs sind. Und günstiger als etablierte Markenreifen sind die neuen alten Pneus allemal.
Das haben die professionellen Transportunternehmer längst gemerkt, die knapper kalkulieren müssen als PW-Besitzer: Brummis fahren in Deutschland zu rund 40 Prozent auf runderneuerten Reifen; für die Schweiz nennen Fachleute für LKWs ebenfalls einen «markant höheren Anteil» an solchen Pneus.
Recycling von Altpneus steht noch am Anfang
Hinzu kommen jetzt auch Argumente des Umweltschutzes. Im Auftrag des Verkehrsclubs der Schweiz (VCS) hat sich die BiCon, ein Beratungs- und Planungsbüro für Umweltschutz in Kreuzlingen TG, mit dem Thema befasst. Ihr Fazit: Die Entwicklung von effizienten Recycling-Verfahren bei der Altreifenverwertung «steht noch am Anfang».
Nun wehrt sich vor allem der VCS mit BiCon-Argumenten gegen das Verbrennen abgefahrener Pneus in den Zementwerken - ein Entsorgungsweg, auf dem heute zwei von fünf Altreifen landen (siehe Kasten unten). «Es ist dringend nötig, Ökobilanzen aufzustellen und Alternativen zu pushen», sagt der VCS-Verantwortliche für diesen Bereich, Rolf Albisser.
Doch die Zementindustrie wehrt sich für ihren Anteil am jährlichen Altreifenberg von insgesamt 50 000 Tonnen. «Was wir machen, ist eine energetische Verwertung. Zudem finden auch die darin enthaltenen Metalle wie Eisen und Aluminium Verwendung in der Zementherstellung», sagt Direktor Georges Spicher vom Schweizerischen Zementherstellerverband Cemsuisse. Problematisch ist hingegen laut BiCon der hohe Zinkanteil der Reifen. Es stimme «skeptisch, dass die Schwermetallemissionen nicht veröffentlicht werden».
Schiedsrichter in diesem Seilziehen ist letztlich das Bundesamt für Umwelt (Buwal). Soeben hat es eine Vernehmlassung zu einer neuen Verordnung über den Verkehr mit Abfällen (VeVA) abgeschlossen, aber noch nicht ausgewertet. «Altreifen sind darin einer von mehreren hundert Abfallstoffen», sagt Sektionschef Mathias Tellenbach von der Abteilung Abfall. Nach seinen Worten will das Buwal eine Bewilligungspflicht für Handel und Export von Altreifen einführen. «Reifen, die zur Entsorgung müssen, sollen umweltgerecht behandelt werden», formuliert Tellenbach das Ziel.
Die Autogewerbe- und Reifenbranchen geben noch eins drauf: Sie schlagen eine vorgezogene Entsorgungsgebühr nach dem Beispiel von Batterien und Elektronikgeräten vor. Fr. 2.50 bis 3.50 pro PW-Altreifen betragen die Kosten für Rücknahme, Triage und Weiterleiten an Wiederverwertung und/oder korrekte Entsorgung, ist in einem Papier der Branchenverbände zu lesen. «Wir denken, dass eine solche Gebühr Sinn macht, da man mit Grauimporten freiwillige Abgaben umgehen könnte, womit der Umwelt nicht gedient wäre», argumentiert Sven Sievi vom Schweizer Reifen-Verband.
Das Buwal will sich laut Mathias Tellenbach «nicht gegen eine Entsorgungsgebühr wehren». Es müsse allerdings gewährleistet sein, dass die Entsorgung umweltverträglich und flächendeckend sei und auch keine kartellistischen Strukturen aufweise.
Dem stimmt VCS-Sprecher Albisser zu; er plädiert jedoch für eine unabhängige Aufsichtsbehörde oder Stiftung «unter Beteiligung der Umweltorganisationen», um Transparenz und Informationen über die Verwendung der Gelder sicherzustellen.
Die «ökologisch beste Lösung» - Reifen länger fahren
Die BiCon AG in Kreuzlingen TG hat für den VCS eine Expertise über Altreifenentsorgung erarbeitet:
- Als «ökologisch weitaus beste Lösung» bezeichnen die Gutachter die möglichst lange Verwendung der Reifen. Von den eingesammelten Altpneus seien deshalb möglichst viele noch fahrtaugliche «in den Occasionsmarkt zurückzuführen».
- Von den nicht mehr fahrbaren Pneus «sollten möglichst viele runderneuert werden, um wenigstens einen Teil des Altreifens zu "retten", die Karkasse».
- Die Verwertung von Altreifen in der Zementherstellung sei «nicht die schlechteste Lösung». Allerdings profitiere die Zementindustrie «von teilweise milderen Emissionsgrenzwerten».
- Alternative Recycling-Verfahren: Eine vorgezogene Entsorgungsgebühr könne dafür sorgen, dass «auch innovative Verfahren eine Chance bekommen».
Nur Pneus mit Gütesiegel kaufen
Seit über zwei Jahrzehnten testet der Touring Club Schweiz (TCS) regelmässig runderneuerte (aufgummierte) Reifen. Deren Qualität habe sich bezüglich der Schnelllauf-Eigenschaften laufend verbessert, schreibt der TCS in seiner Broschüre «Winterreifen 2002».
Solche Pneus kosten zwischen 20 und 50 Prozent weniger als Neureifen. Laut TCS können sie den «Sicherheitsstandard betreffend Schnelllauf-festigkeit durchaus erreichen». Allerdings: Die Einsparung beim günstigen Kaufpreis runderneuerter Reifen werde «meist durch den höheren Verschleiss kompensiert».
Der TCS rät Käufern:
- Nur runderneuerte Reifen mit RAL- oder TÜV-Gütesiegel auf der Reifenflanke kaufen. Die deutsche Güteschutzgemeinschaft Runderneuerung gibt das RAL-Zeichen ab, der ebenfalls deutsche Technische Überwachungs- verein die TÜV-Marke.
- Runderneuerte Reifen eignen sich vorwiegend für kleinere und mittelgrosse Fahrzeuge sowie für Zweit- oder Drittautos mit geringen Fahrleistungen.
- Vier Reifen mit gleicher Grundstruktur (Karkasse) verlangen.
- Luftdruck der Reifen regelmässig kontrollieren.