Bestrahltes Kinderzimmer
Der Bau neuer Handy-Antennen mitten in Wohngebieten ist umstritten. Das zeigt ein Beispiel aus der Zürcher Gemeinde Seuzach. Doch die Behörden stützen sich auf Verordnungen und entscheiden über die Köpfe der Bewohner hinweg.
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K-Tipp 16/2010
02.10.2010
Letzte Aktualisierung:
05.10.2010
Beatrice Walder K-Tipp
Urs und Annika Schmidt aus Seuzach ZH fühlen sich machtlos. Sunrise will auf dem Dach des Nachbarhauses eine UMTS-Antenne aufstellen – 15 Meter neben ihrem Kinderzimmer. «Uns droht eine Bestrahlung an 7 Tagen, 24 Stunden lang. Es ist unfassbar, dass Sunrise mitten in einem Wohngebiet eine Antenne plant.»
Für die Familie Schmidt war von Anfang an klar, dass sie sich gegen die Antenne wehren will. Zusammen mit zwei weiteren Nachbarn erhoben sie Einspr...
Urs und Annika Schmidt aus Seuzach ZH fühlen sich machtlos. Sunrise will auf dem Dach des Nachbarhauses eine UMTS-Antenne aufstellen – 15 Meter neben ihrem Kinderzimmer. «Uns droht eine Bestrahlung an 7 Tagen, 24 Stunden lang. Es ist unfassbar, dass Sunrise mitten in einem Wohngebiet eine Antenne plant.»
Für die Familie Schmidt war von Anfang an klar, dass sie sich gegen die Antenne wehren will. Zusammen mit zwei weiteren Nachbarn erhoben sie Einsprache: Eine Mobilfunk-Antenne gehöre nicht in die dicht besiedelte Wohnzone, argumentierten sie.
Doch der Gemeinderat bewilligte das Vorhaben im Oktober 2009. Begründung: Die vom Bund vorgeschriebenen Grenzwerte in der Verordnung zum Schutz vor nichtionisierender Strahlung würden eingehalten. Zudem gebe es keine baurechtlichen Gründe, die gegen die Bewilligung sprechen. Insbesondere passe die Antenne optisch ins Ortsbild.
Urs Schmidt und seine Nachbarn erhoben mit Hilfe eines Anwaltes Rekurs gegen die Anlage – mit dem Argument, sie würden von der Antenne zu stark bestrahlt: Die amtlichen Grenzwerte würden nicht eingehalten. Zudem seien die angeblichen Sendeleistungen der UMTS-Antenne unglaubwürdig niedrig. Das Mobilfunknetz in Seuzach sei bereits lückenlos, die Antenne also unnötig.
Doch die Baurekurskommission des Kantons Zürich und das kantonale Verwaltungsgericht argumentierten gleich wie der Gemeinderat. Sie entschieden im September 2010 gegen die Betroffenen.
Anders sehen das die Einwohner von Seuzach: 1231 der 5826 Dorfbewohner haben die Petition zur «Erhaltung der Lebensqualität in Seuzach» unterschrieben. Darin wird der Gemeinderat aufgefordert, Standorte für Mobilfunkantennen nur ausserhalb der Wohnzone zu erlauben.
«Standorte nach Kundennachfrage»
Sunrise-Sprecher Roger Schaller sagt zum Standort mitten im Wohnquartier: «Mobilfunkstationen werden dort errichtet, wo die Kundennachfrage am grössten ist – das ist im besiedelten Gebiet.» Mobilfunkstationen seien grundsätzlich nur in der Bauzone zulässig.
Hat der Widerstand der Seuzacher keine Chance? Der Solothurner Rechtsanwalt und Baurechtsexperte Rolf Harder konstatiert: «Das Argument, die Antenne gefährde die Gesundheit, ist in der Regel wirkungslos.» Das Bundesgericht halte sich strikt an die Verordnung über die Grenzwerte. Den Einwand, die Grenzwerte seien nicht streng genug, lasse das Gericht nicht gelten.
«Chancen sehe ich nur in der minutiösen Prüfung des Baugesuches», sagt Harder. Es komme immer wieder vor, dass die geplante Mobilfunkantenne eine Bau- oder Zonenvorschrift oder gar die amtlichen Grenzwerte verletze.
«Vorschriften von Gemeinden, die den Bau von Mobilfunkanlagen einschränken, aufschieben oder verbieten sollen, hebt das Bundesgericht in den meisten Fällen wieder auf», sagt Harder. Für das Bundesgericht sei der Gesundheitsschutz Sache des Bundes. Den Gemeinden bleibe da wenig Spielraum.
Erfolgreicher könnte ein anderes Vorgehen sein: Die Betroffenen können versuchen, auf den Nachbar einzuwirken, damit er seine Erlaubnis zum Bau der Antenne auf seinem Dach widerruft. Der K-Tipp kennt einen Fall, in dem das funktioniert hat.
Mietzinse oft weit im Voraus gezahlt
Nur: Laut Harder haben die Hauseigentümer den Vertrag in der Regel bereits unterschrieben, wenn das Baugesuch bekannt wird. Üblich sei sogar, dass der Mietzins zum Voraus für 20 Jahre gezahlt werde – im Solothurnischen seien das rund 70 000 Franken.
Freiwillig verzichten!
Wer verhindern will, dass Nachbarn ihr Gebäude für den Antennenbau zur Verfügung stellen, kann ihnen vorschlagen, gemeinsam auf die Installation von Antennen zu verzichten. Ein solches selbstauferlegtes gemeinsames Bauverbot für Mobilfunkanlagen wird im Grundbuch der benachbarten Liegenschaften eingetragen, sodass sich auch künftige Eigentümer – beispielsweise die Erben – daran halten müssen.