Bevölkerung unter Strom
Elektrosmog, Bodenentwertung, Verschandelung der Landschaft - Hochspannungsleitungen stossen auf wachsenden Widerstand. Doch die Stromkonzerne wollen von einer Verlegung in die Erde nichts wissen.
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K-Tipp 13/2004
25.08.2004
Gery Schwager - gschwager@ktipp.ch
Knapp 14 000 Kilometer misst das schweizerische Hochspannungsnetz. Über weite Strecken ist es in die Jahre gekommen. Allein im Höchstspannungsbereich (220/380 Kilovolt) stehen deshalb landesweit über 40 Aus- und Neubauprojekte an.
Reibungslos dürften die Pläne jedoch kaum zu verwirklichen sein. Denn seit der Errichtung tausender Mobilfunkantennen, deren Zahl mit dem Aufbau der UMTS-Netze nochmals kräftig zulegen wird, ist der Widerstand gegen weitere Elektrosmog-Belastung ma...
Knapp 14 000 Kilometer misst das schweizerische Hochspannungsnetz. Über weite Strecken ist es in die Jahre gekommen. Allein im Höchstspannungsbereich (220/380 Kilovolt) stehen deshalb landesweit über 40 Aus- und Neubauprojekte an.
Reibungslos dürften die Pläne jedoch kaum zu verwirklichen sein. Denn seit der Errichtung tausender Mobilfunkantennen, deren Zahl mit dem Aufbau der UMTS-Netze nochmals kräftig zulegen wird, ist der Widerstand gegen weitere Elektrosmog-Belastung massiv gewachsen. Das spüren jetzt auch die Betreiber von Hochspannungsanlagen. Zwei Beispiele:
- Wattenwil-Mühleberg BE: Für diese Hochspannungsleitung plant die BKW FMB Energie AG eine Leistungserhöhung von 132 auf 220 Kilovolt, höhere Masten und eine zum Teil neue Linienführung. Gegen das Projekt haben über 200 Anwohner und 10 Gemeinden Einsprache erhoben.
Aber auch die Stiftung Landschaftsschutz Schweiz und der Berner Heimatschutz lehnen das Vorhaben ab, weil oberhalb von Rümligen ein nationales Schutzgebiet auf zweieinhalb Kilometern neu überspannt werden soll. Koordiniert wird der Widerstand von der Interessengemeinschaft (IG) Umweltfreundliche Hochspannungsleitung Wattenwil-Mühleberg.
- Baar-Sihlbrugg ZG: Auf dieser Strecke will die zum Axpo-Konzern gehörende Nordostschweizerische Kraftwerke AG gemeinsam mit den SBB eine neue Hochspannungsleitung in Betrieb nehmen. Sie soll durch Baarer Siedlungsgebiet führen und würde neben Wohnbauten auch einen Jugendpavillon sowie die Schule Wiesental tangieren.
Das Projekt ist zwar bereits bewilligt, doch die IG Erdverlegung Hochspannungsleitung Baar legt sich weiter quer. «Die Sache wurde nie von einer richterlichen Behörde überprüft», moniert der freisinnige Zuger Alt-Nationalrat und IG-Präsident Georg Stucky. Neben privaten Grundeigentümern weigern sich auch die Gemeinde Baar und die kantonale Baudirektion, für die neue Hochspannungsleitung Land abzutreten.
Bundesrat auf der Linie der Stromlobby
Ähnlich wie die Fälle Wattenwil-Mühleberg und Baar-Sihlbrugg, zu denen BKW und Axpo nicht konkret Stellung nehmen wollten, sind auch andere Hochspannungsprojekte umstritten. Den Gegnern geht es darum, Elektrosmog, Landschaftsverschandelung und Bodenentwertung in möglichst engen Grenzen zu halten. Deshalb fordern sie, Starkstromeitungen müssten unterirdisch geführt werden. Der Zuger Richtplan verlangt dies seit Januar 2004 gar explizit für neue Hochspannungsleitungen in und entlang der Siedlungen auf Kantonsgebiet.
«Fehlende Sichtbarkeit» und «nur kleinräumige magnetische Felder» zählt auch der Bundesrat zu den Vorteilen unterirdisch geführter Starkstromleitungen. Dies geht aus seiner Antwort auf die Motion der grünen Berner Nationalrätin Franziska Teuscher hervor, die verlangt, dass das Hochspannungsnetz bei Erneuerung und Neubau «wo immer möglich und machbar» in den Boden verlegt wird.
Ansonsten aber argumentiert die Landesregierung ganz auf der Linie der grossen Stromkonzerne. Und diese stemmen sich vehement gegen unterirdische Lösungen. Neben technischen und betrieblichen Einwänden führen sie vorab finanzielle Gründe ins Feld.
Denn Freileitungen sind günstiger zu bauen. Laut einer EU-Studie kosten Unter-Boden-Varianten je nach Technologie, Spannungsebene, Gelände und Untergrund 2- bis 17-mal mehr, wie das Bundesamt für Energie schreibt.
Von «nur» 3- bis 8-mal höheren Kosten geht Energiefachmann Heini Glauser, ehemaliger Vizepräsident der Schweizerischen Energiestiftung, aus. Gleichzeitig rechnet er vor: Würde man für jede durchgeleitete Kilowattstunde Strom in der Schweiz einen «Infrastruktur-Rappen» erheben, käme pro Jahr die Summe von rund einer Milliarde Franken zusammen. Damit liesse sich «in den nächsten 20 bis 30 Jahren eine zukunftsorientierte neue Hochspannungsinfrastruktur schaffen», ist Glauser überzeugt.
Axpo: Gewinnreserven von 3,3 Mrd. Franken
Kommt hinzu, dass es den Stromkonzernen schon heute recht gut geht. Allein die Axpo etwa erzielte im letzten Geschäftsjahr einen Reingewinn von rund 460 Millionen und verfügt über Gewinnreserven von nahezu 3,3 Milliarden Franken.
Da stünde wohl nicht nur fürs Sponsoring der Schweizer Fussballmeisterschaft, die sich jetzt «Axpo Super League» nennen muss, etwas Geld zur Verfügung.