Brutalo-Games für 12-Jährigen
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K-Tipp 12/2002
12.06.2002
Computerspiele: Verkäufer halten sich nicht an Alterslimiten
Eric ist erst 12 - und kann trotzdem brutale Computerspiele kaufen: In vier von fünf Geschäften erhält er Games, die mit «nicht geeignet unter 18 Jahren» beschriftet sind. Das Gesetz kann das nicht verhindern.
Pia Seiler pseiler@ktipp.ch
Max Payne ist ein Mann «am Rande des Abgrundes, der für sein Recht kämpft und immer tiefer in den Sumpf des Verbrechens vordringt». So steht es au...
Computerspiele: Verkäufer halten sich nicht an Alterslimiten
Eric ist erst 12 - und kann trotzdem brutale Computerspiele kaufen: In vier von fünf Geschäften erhält er Games, die mit «nicht geeignet unter 18 Jahren» beschriftet sind. Das Gesetz kann das nicht verhindern.
Pia Seiler pseiler@ktipp.ch
Max Payne ist ein Mann «am Rande des Abgrundes, der für sein Recht kämpft und immer tiefer in den Sumpf des Verbrechens vordringt». So steht es auf der Hülle des Computerspiels, das der 12-jährige Eric (Name geändert) gekauft hat. Tatsächlich fackelt Max Payne nicht lange: Der Undercover-Cop schiesst sich seinen Weg frei. Es ist Eric, der zur Pump Action, zum Messer, zur Pistole greift und seine Feinde umbringt. Eric führt Max Payne per Mausklick.
Und wenn Eric will, kann er alles in Zeitlupe noch einmal anschauen - wie der Gegner an die Wand fliegt, wie das Blut spritzt, wie der Tote schliesslich am Boden liegen bleibt. Harte, brutale Szenen. Erics Mutter ist entsetzt. «Ich will nicht, dass mein Sohn solche Games kaufen kann.»
Wenn jedoch ihre Autorität nicht ausreicht, ist da kaum etwas zu machen. In der K-Tipp-Stichprobe gelingt es Eric problemlos, weitere Spiele mit aufgedruckten Alterslimiten der USK zu erstehen - der deutschen Gutachterstelle für interaktive Medien.
Jugendarbeiter haben die USK 1994 in Berlin gegründet. Zusammen mit der Software-Industrie setzen sie Alterslimiten fest, die allerdings nur als Empfehlungen gelten.
Schweiz kennt nicht einmal Empfehlungen
In der Schweiz jedoch gibt es nicht einmal diesen Mindeststandard, von einer Umsetzung des entsprechenden Gesetzes ganz zu schweigen.
In der Stichprobe halten sich vier von fünf Geschäften beim Verkauf nicht an die aufgedruckten Alterslimiten der USK: Manor, Globus, Media Markt und das Fachgeschäft Game Activity. Einzig bei Interdiscount stösst Eric auf Granit.
Im Manor Emmen LU stehen gleich zwei Angestellte an der Kasse, doch keiner der beiden interveniert, als Eric ihnen «Diabolo» entgegenstreckt. Daran ändert auch der USK-Aufdruck «ab 16 Jahren» nichts.
Ähnlich ergeht es Eric im Globus und im Fachgeschäft Game Activity in Luzern. Zugegeben: Die Marken mit der Alterslimite sind nicht grösser als ein Fingerabdruck. Mit ihrer roten Farbe aber heben sie sich von den düsteren Umschlägen der Brutalo-Games deutlich ab. Das Verkaufspersonal übersieht sie geflissentlich und verkauft dem 12-Jährigen Computerspiele, die erst für Spieler ab 18 Jahren gedacht sind.
Umberto Della Valle ist verantwortlich für die Firma Digital Home, die sich im Globus eingemietet hat. Konfrontiert mit der Stichprobe, meint Della Valle: «Das darf nicht passieren. Unser Verkaufspersonal ist instruiert, bei solchen Games aufs Alter zu achten. Und ob jemand 12 oder 18 Jahre alt ist - das sollte man erkennen können.»
So tönt es auch bei Manor. Pierre Donguy, Leiter Einkauf Software, wendet jedoch ein: «Manchmal ist es schwierig, das Alter festzustellen.» Irren sei menschlich, meint er, «vor allem, wenn viele Leute an der Kasse warten». Nur: Als Eric im Manor war, hatte es kaum Kunden in der Abteilung.
Media Markt plant speziellen Kleber
Nicht ganz so glatt läufts im Media Markt in Kriens LU . Die Kassierin fragt: «Bist du schon 16?» Als Eric nicht reagiert, insistiert sie nicht und verlangt auch keinen Ausweis.
«Sie ist auf halbem Weg stehen geblieben, das ist bedauerlich», sagt Media- Markt-Geschäftsführer Michel Esseiva. «Meine Anweisung lautet, im Zweifelsfall einen Ausweis zu verlangen und den Verkauf gegebenenfalls zu verweigern.»
Esseiva kennt das Problem. Zusammen mit dem Media Markt St. Gallen will er Produkte mit Alterslimiten klarer kennzeichnen. Entwürfe für einen Kleber von fünf Zentimeter Durchmesser, den niemand übersehen kann, liegen vor. «Diese Aktion haben wir bereits vor dem Schülerdrama in Erfurt eingefädelt», sagt Esseiva.
Keine Chance hat Eric bei Interdiscount. «No way, junger Mann», sagt der Verkäufer im Geschäft in der Luzerner Altstadt. Und auch in der Filiale am Bahnhof kommt der Junge mit einem Spiel ab 18 Jahren nicht durch. «Du bist noch nicht 18», stellt der Angestellte kurz und bündig fest, «sorry.»
Dazu Marco Vonarburg, stellvertretender Geschäftsleiter bei Interdiscount: «Bei uns sind alle im Verkauf klar instruiert. Sonst gibts nur Ärger.» Wenn trotzdem einmal ein Fehler passiere, «nehmen wir die Ware zurück», sagt Vonarburg. «Kriegs- und Gewaltspiele gehören einfach nicht in Kinderhände.»
Brutale Computerspiele - Das Gesetz greift nicht
In der Schweiz ist es zwar gesetzlich verboten, «Gewalttätigkeiten» zu verbreiten. Doch gibt es keine Stelle, die brutale Games zensuriert und Jugendliche davor schützt.
Laut Strafgesetzbuch ist es in der Schweiz verboten, «grausame Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder Tiere eindringlich» darzustellen und zu vertreiben (Art. 135). Eine behördliche Zensurstelle jedoch fehlt, ebenso eine verbindliche Alterslimite für Computerspiele.
Vollzugsbeamte fühlen sich im luftleeren Raum. Unklar ist für sie, wo die Gewalt anfängt, was einklagbar ist und was nicht.
Ein weiteres Problem sind die fehlenden Ressourcen. In der Stadt Bern zum Beispiel muss das Sittendezernat den Gesetzesartikel umsetzen. Der Verantwortliche Heinz Zahnd klagt: «Wir müssen uns in erster Linie um angezeigte Delikte kümmern. Danach konzentrieren wir uns auf Videos - vor allem im Pornobereich. Für Computerspiele bleibt kaum mehr Zeit.» Deshalb gibt es in der Schweiz weder Anzeigen noch wegweisende Gerichtsentscheide.
Anders in Deutschland. Ab nächstem Jahr soll die gesetzliche Prüfpflicht auch für Computerspiele gelten. Das Schülerdrama von Erfurt hat diesen Prozess beschleunigt. Bis anhin hat sich die Software-Industrie selber kontrolliert und zusammen mit Jugendarbeitern Alterslimiten festgelegt. Sie sind auf den CD-ROM aufgedruckt, aber nur als Empfehlungen.
(sei)