Das Risiko trägt der Patient
Die EU nahm 2001 einen gesundheitlich bedenklichen Appetitzügler per sofort vom Markt. Die Schweizer Behörde dagegen handelt erst im Herbst.
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K-Tipp 2/2004
28.01.2004
Patrick Gut - pgut@ktipp.ch
Das Arzneimittel Ionamine hats in sich. Das Produkt enthält den Wirkstoff Phentermin, ein Amphetamin, das abhängig macht und an das sich der Körper schon nach kurzer Zeit gewöhnt.
Mit anderen Medikamenten kombiniert kann Phentermin zu Schäden an den Herzklappen führen. Eine weitere Nebenwirkung ist Lungenhochdruck. Das kann lebensbedrohend sein.
In der EU haben die Behörden Ionamine deshalb im Juni 2001 per sofort vom Markt genommen. Die «beträchtlichen Ris...
Das Arzneimittel Ionamine hats in sich. Das Produkt enthält den Wirkstoff Phentermin, ein Amphetamin, das abhängig macht und an das sich der Körper schon nach kurzer Zeit gewöhnt.
Mit anderen Medikamenten kombiniert kann Phentermin zu Schäden an den Herzklappen führen. Eine weitere Nebenwirkung ist Lungenhochdruck. Das kann lebensbedrohend sein.
In der EU haben die Behörden Ionamine deshalb im Juni 2001 per sofort vom Markt genommen. Die «beträchtlichen Risiken» waren nur der eine Grund für das Verkaufsverbot. Zudem sei die Wirksamkeit des Produkts nur mangelhaft nachgewiesen, sodass das «Nutzen-Schaden-Verhältnis» insgesamt negativ sei.
«Verhalten der Behörde ist fragwürdig»
Von einem Verkaufsverbot wollte die Schweizer Behörde Swissmedic (respektive deren Vorgängerorganisation IKS) dagegen nichts wissen. Nach einer Risikoanalyse entzog man dem Medikament nicht die Zulassung, sondern begnügte sich mit weniger einschneidenden Massnahmen: «Die IKS hat 1999 Warnhinweise für Ärzte und Patienten, Vorsichtsmassnahmen sowie Einschränkungen der Indikation und der Therapiedauer verlangt», sagt Swissmedic-Sprecherin Nicole Wyss. «Wenn diese Vorsichtsmassnahmen berücksichtigt werden, besteht kein unvertretbares Risiko.»
Ganz anders sieht das Kurt Laederach, ärztlicher Leiter des Übergewichtsprogramms am Berner Inselspital. Er findet deutliche Worte: «Das Verhalten der Behörde ist unverständlich und fragwürdig. Sie delegiert die Risikoabschätzung an den Patienten.» Dazu sei dieser aber nicht in der Lage. Man könne doch nicht einfach auf ein Risiko aufmerksam machen und meinen, damit sei die Sache erledigt. Die Haltung von Swissmedic zeige, dass offensichtlich eine Lobby hinter der Sache stehe.
Es geht denn auch um viel Geld. Mehr als ein Drittel der Schweizerinnen und Schweizer sind übergewichtig. Übergewicht gilt nicht nur als Ursache zahlreicher Krankheiten des Herz-Kreislauf-Systems. Es beeinträchtigt auch das allgemeine Wohlbefinden.
Kein Wunder also lassen sich viele Übergewichtige vom Arzt Appetitzügler verschreiben, um das Problem in den Griff zu bekommen. Zur Freude der Pharmaindustrie, die damit Millionen umsetzt.
Aus Sicht von Laederach hat Ionamine in der Therapie von Übergewicht ohnehin nichts verloren. Darin sind sich Laederach und Fritz Horber, Stoffwechselspezialist an der Hirslanden-Klinik, einig. Horber: «Ein Amphetamin ist da völlig fehl am Platz.»
In der Schweiz kommt die Sache nun doch noch zu einem guten Ende - allerdings aus völlig anderen Gründen als in der EU. Swissmedic entzieht Ionamine auf den 9. September 2004 nämlich die Zulassung. «Wir haben verlangt, dass die Zulassungsinhaberin den Langzeitnutzen des Produktes nachweist», sagt Nicole Wyss von Swissmedic. Da darauf verzichtet wurde, verliere Ionamine automatisch die Zulassung.
Kritik an der Swissmedic
Swissmedic ist der Name des Schweizerischen Heilmittelinstituts. Die Behörde ist verantwortlich für die Arzneimittelsicherheit. Sie hat dafür zu sorgen, «dass nur qualitativ hochstehende, sichere und wirksame Heilmittel in Verkehr gebracht werden». So zumindest umreisst Swissmedic auf der Homepage im Internet die eigenen Kernaufgaben.
Swissmedic gerät nicht zum ersten Mal in die Kritik, einem fragwürdigen Mittel nur zögerlich die Zulassung zu entziehen. So bemängelten Experten im Puls-Tipp (1/2003): In der Schweiz seien dutzende von Medikamenten auf dem Markt, die Patienten gefährden können. Der Grund: Swissmedic führe Kontrollen nur mangelhaft durch. Als Beispiele wurden die Rheumamittel Aulin und Nisulid, Kava-Kava-Pflanzenprodukte und Triviraten, ein Impfstoff gegen Mumps, Masern und Röteln, genannt. Während Triviraten ungenügend wirke, schädigten die anderen Arzneien die Leber.