Das Tummelfeld für Kids - und für ihren Urin
<br />
Eine Laboranalyse mit Proben aus zehn Freibädern fördert Unappetitliches zu Tage: Zu viele Keime, zu viel Harnstoff, zu viele Fäkalbakterien.
Inhalt
K-Tipp 12/2003
18.06.2003
Martin Arnold - redaktion@ktipp.ch
Der Bademeister im Schwimmbad Hörnli in Kreuzlingen TG, Hans Baumgartner, nimmt die Sache gelassen. «Urin hat noch niemanden umgebracht», gab er zu Protokoll, als ihn der K-Tipp mit dem Messresultat konfrontierte. In «seinem» Kinder-Planschbecken waren 2,9 Milligramm Harnstoff pro Liter gemessen worden.
Gian Zinsli hingegen, Betriebsleiter der Sportanlagen Winterthur ZH, ist alarmiert: «Die Extremwerte im Planschbecken des Schwimmbades Geiselweid sind unakzeptabel. Mögliche...
Der Bademeister im Schwimmbad Hörnli in Kreuzlingen TG, Hans Baumgartner, nimmt die Sache gelassen. «Urin hat noch niemanden umgebracht», gab er zu Protokoll, als ihn der K-Tipp mit dem Messresultat konfrontierte. In «seinem» Kinder-Planschbecken waren 2,9 Milligramm Harnstoff pro Liter gemessen worden.
Gian Zinsli hingegen, Betriebsleiter der Sportanlagen Winterthur ZH, ist alarmiert: «Die Extremwerte im Planschbecken des Schwimmbades Geiselweid sind unakzeptabel. Möglicherweise lag bei der Aufbereitungsanlage ein Defekt vor. Diese schlechten Messwerte werden nicht wieder vorkommen.»
In der Regel hängt das Wasser des Kinder-Planschbeckens am gleichen Kreislauf wie dasjenige im grossen Erwachsenenbecken - und ein Defekt in der Aufbereitung ist durchaus ernst zu nehmen. «Schlechte Werte bei Keimzahl, Fäkalbakterien und hohe Harnstoffwerte sind ein Zeichen, dass die Desinfektion nicht funktioniert», sagt Pierre Studer, Wasserspezialist der Sektion Lebensmittel des Bundesamtes für Gesundheit. «Ist das der Fall, können sich auch Mikroorganismen wie Salmonellen breit machen, die zu Durchfall, Erbrechen und Fieber führen.»
Ein Viertelliter Urin auf eine Badewanne
Der 1. Juni war der erste grosse Badesonntag in diesem Jahr. An diesem Datum hat der K-Tipp in zehn Planschbecken in der Schweiz Wasserproben entnommen und vom Institut Bachema in Schlieren ZH analysieren lassen. Das Resultat ist nicht nur unappetitlich, sondern teils auch alarmierend. Etwa punkto Harnstoff. Beim schon erwähnten Geiselweidbad in Winterthur ZH (bei dem übrigens Umbaupläne bestehen) mass das Labor 7,0 Milligramm Harnstoff pro Liter. Dies entspricht einem Viertelliter Urin auf eine Badewannenfüllung.
Für Harnstoff gibt es einen Richtwert von 2,0. Er wurde auch in drei weiteren Planschbecken nicht eingehalten. Ein so genannter Richtwert ist weniger verbindlich als beispielsweise ein Toleranzwert; hier müssen die Behörden nicht aktiv werden.
Harn im Badewasser ist aber keineswegs harmlos. Er wandelt sich gemeinsam mit Chlor in Chlorgase um - in geringen Mengen auch in das heimtückische Chloroform. Dieses Gas reizt Augen, Haut und Atmungsorgane.
Chloroform wurde früher als Narkosegas eingesetzt. Es führt zu Leber- und Nierenschäden, es kann Herzkammerflimmern verursachen sowie das Blasen- und Darmkrebsrisiko erhöhen. Deshalb gibt es auch einen Toleranzwert für Chloroform. Die Messung ist allerdings aufwändig und wird gemäss Auskunft der Kantonschemiker selten gemacht. Zudem ist umstritten, ab welcher Menge Chloroform schädlich ist.
Der K-Tipp hat auch die Gesamtkeimzahl messen lassen. Hier gibt es einen Toleranzwert von 1000 Keimen pro Milliliter - und das heisst: Wird er überschritten, greift der Kantonschemiker ein. Er kontrolliert periodisch die Freibäder auf seinem Gebiet und ordnet Massnahmen an, wenn die Toleranzwerte überschritten sind.
Bademeister sind verantwortlich
Wiederholte Überschreitungen können sogar die vorübergehende Schliessung eines Bades bedeuten. «Meist verlangen wir eine Überprüfung des Kreislaufes bei der Wasseraufbereitung», erklärt Alfred Besl, Bereichsleiter Wasser am kantonalen Labor in Zürich.
Die Winterthurer Messwerte findet auch Besl ausserhalb des tolerierbaren Rahmens; sie sind für ihn ein Grund, Massnahmen einzuleiten.
Ein Einschreiten könnte auch in Basel angezeigt sein. Hier erfolgte die Probenahme im Gartenbad St. Jakob schon am frühen Nachmittag um 13.40 Uhr. Zu diesem Zeitpunkt waren die Richtwerte für Harnstoffe fast erreicht und auch die Gesamtkeimzahl war mit 260 die Zweithöchste aller Proben. Die Tabelle zeigt nämlich: Je länger der Tag dauerte, desto schlechter wurden die Werte. So genannte Koli-Bakterien - also Fäkalbakterien - darf es im Badewasser gar keine haben; der Toleranzwert ist hier null.
Das Freibad Geiselweid in Winterthur hat auch diese Toleranz mit 120 Bakterien auf 100 Milliliter massiv überschritten. In geringer Zahl wurden Fäkalbakterien auch im Schwimmbad Schachen in Aarau nachgewiesen.
Verantwortlich für Sauberkeit in den Schwimmbädern sind die Bademeister. Sie müssen am Morgen eines Badetages abschätzen, wie viele Badegäste zu erwarten sind. Bei grossem Andrang wird die Chlorkonzentration etwas erhöht.
Aber: Zu viel Chlor gefährdet die Gesundheit, zu wenig fördert die Vermehrung unerwünschter Keime. Hat sich der Bademeister verrechnet, muss er verstärkt Frischwasser zuführen. Doch das kühlt das Wasser ab, was die Badegäste selten goutieren.
«Der richtige Einsatz von Chlor verlangt Fingerspitzengefühl», erklärt denn auch Hansueli Nievergelt, Pressesprecher des Bademeisterverbandes und Chefbademeister im Strandbad Olten. Dass am 1. Juni auch bei ihm die Harnkonzentration über dem Richtwert lag, überrascht ihn nicht. «Wir hatten an diesem Tag 4500 Badegäste. Da kann ein solcher Richtwert überschritten werden. Wir können ja nicht mittags um zwei Uhr das Kinderbecken schliessen.»
Konsequenzen zieht niemand in Betracht
Ähnlich argumentiert Christian Oury, Chefbademeister am Terrassenbad in Baden, in seiner schriftlichen Stellungnahme. Am besagten Sonntag zahlten 3406 Besucher Eintritt, obwohl die Aufbereitungsanlage für durchschnittlich 2000 Eintritte dimensioniert ist.
Das zeigt: An Spitzentagen sind die Wasseraufbereitungsanlagen in vielen Schwimmbädern überfordert.
Doch Konsequenzen - etwa eine Gästebeschränkung - zieht niemand in Betracht. Das Überschreiten der Richt- und Toleranzwerte nehmen die Betreiber bewusst in Kauf.
Kritische Badegäste können übrigens die Badewasserqualität auch selber beurteilen. Riecht das Wasser unangenehm nach Chlor, stimmt die Entkeimung nicht. Zudem sollte das Wasser so klar sein, dass man auf den Grund sieht.
Je mehr Schmutzstoffe im Wasser sind, desto mehr gebundenes Chlor entsteht. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt deshalb Schwimmbecken zu konstruieren, deren Oberfläche gut durchlüftet ist, damit die Gase entweichen können. Und vor allem: Toiletten sollten in der Nähe des Pools sein - mit dazwischenliegenden Duschen.
www.ktipp.ch
Zu viel Urin im Wasser: Sollen die Behörden einschreiten? Antworten Sie auf www.ktipp.ch
Nicht immer ist Bio sauber
Das Natur-Schwimmbad der Gemeinde Biberstein im Kanton Aargau ist nun die vierte Saison offen. Die Besucherinnen und Besucher schwimmen zwischen Schilf, Schwertlilien, Teich- und Seerosen, die das Wasser reinigen.
Bademeister Willi Hunziker ist zufrieden. «Zu uns kommen Gäste aus Basel, Zürich und sogar St. Gallen.» Es sind «Flüchtlinge», denen in normalen Bädern das Chlor zusetzt: Ihre Augen brennen, die Haut juckt.
In der ersten «Biobadi» der Schweiz gilt ein anderer Toleranzwert: Hier sind 100 Fäkalbakterien pro 100 Milliliter erlaubt. Doch wenn der Andrang zu gross ist, wird es auch hier kritisch. Alfred Besl, Bereichsleiter Wasser am kantonalen Labor in Zürich: «Ich könnte mir vorstellen, dass bei Biobädern eine Besucherbeschränkung eingeführt wird.»