«Der beste Preisüberwa cher ist der Wettbewerb»
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Seit knapp drei Monaten ist Bundesrat Joseph Deiss Volkswirtschaftsminister. Vom früheren Preisüberwacher erhoffen sich viele mehr Schutz für die Konsumenten. Doch Deiss plädiert primär für mehr Wettbewerb.
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K-Tipp 6/2003
26.03.2003
Gery Schwager, Ernst Meierhofer - redaktion@ktipp.
K-Tipp: Die Schweiz ist die Hochpreisinsel Europas. Ärgern Sie sich auch darüber, dass hier alles so teuer ist?
Joseph Deiss: Die hohen Preise in der Schweiz sind ein Problem, das man jetzt gründlich angehen sollte. Das habe ich mir vorgenommen. Gerade die jüngsten Resultate zum Verhältnis der relativen Preise zwischen der Schweiz und der EU zeigen nicht nur eine allgemeine Verschlechterung zu Ungunsten der Schweiz. Sie zeigen auch, dass es inzwischen praktisch keinen Bereich...
K-Tipp: Die Schweiz ist die Hochpreisinsel Europas. Ärgern Sie sich auch darüber, dass hier alles so teuer ist?
Joseph Deiss: Die hohen Preise in der Schweiz sind ein Problem, das man jetzt gründlich angehen sollte. Das habe ich mir vorgenommen. Gerade die jüngsten Resultate zum Verhältnis der relativen Preise zwischen der Schweiz und der EU zeigen nicht nur eine allgemeine Verschlechterung zu Ungunsten der Schweiz. Sie zeigen auch, dass es inzwischen praktisch keinen Bereich mehr gibt, in dem das relative Preisniveau der Schweiz unter jenem der EU liegt. Aber immerhin gibt es einige Bereiche, in denen Fortschritte erzielt wurden, etwa bei den Nahrungsmitteln.
Gesamthaft aber sind die Preisunterschiede eklatant.
Das stimmt und auch da, wo Verbesserungen erzielt wurden, reichen sie noch nicht aus. Trotzdem steht für mich fest: Wird man aktiv, kann man einiges bewirken. Voraussetzung ist, dass man die Hintergründe für die Preisdifferenzen kennt. Und nach meiner Überzeugung ist der mangelnde Wettbewerb der Hauptgrund für die hohen Schweizer Preise.
Sind also mit der Revision des Kartellgesetzes, die wettbewerbsfeindliche Absprachen schärfer bekämpft, die Tage der Hochpreisinsel Schweiz gezählt?
Nein, aber es wird zumindest ein wichtiger Schritt auf dieses Ziel hin gemacht. Um die hohen Preise gesamthaft ins Trudeln zu bringen, braucht es ein ganzes Bündel an Massnahmen. Und ich räume ein, dass wir noch nicht überall die geeigneten Antworten gefunden haben - zum Beispiel im Wohnungsmarkt, wo trotz tiefer Zinsen hohe Preise an der Tagesordnung sind.
Weils im eigenen Land so teuer ist, kaufen Schweizerinnen und Schweizer für rund 7 Milliarden Franken pro Jahr im Ausland ein. Finden Sie das unpatriotisch?
Einem Land, das rund 50 Prozent seiner Produktion exportiert, stünde es schlecht an, sich beim Konsum strikt nur auf sich selber zu beschränken. Die Auslandeinkäufe von Schweizerinnen und Schweizern sind im Übrigen nichts anderes als eine spezifische Art von Parallelimporten. Zu gewissen Zeiten haben offenbar rund 40 Prozent der Bevölkerung mehr oder weniger regelmässig Einkaufstouren im benachbarten Ausland unternommen. Heute sind es weniger. Und man muss der Schweizer Wirtschaft halt einfach deutlich sagen: Sobald auch grenzüberschreitend effektiver Wettbewerb herrscht, sinken die Schweizer Preise - und der Einkaufstourismus verschwindet von selber.
Einen besser funktionierenden Wettbewerb versprechen Sie sich aktuell vor allem vom revidierten Kartellgesetz. Dadurch erhält auch die Wettbewerbskommission (Weko) als Marktüberwachungsinstanz ein grösseres Gewicht. Ist die Weko für ihren Job ausreichend gerüstet?
Ja. Was ihr bislang vor allem gefehlt hat, waren nicht Ressourcen, sondern genügend griffige Instrumente. Nach heutigem Recht kann sie eine Sanktion erst verfügen, wenn sie eine Firma bereits einmal gewarnt hat. Da sagt sich doch manch einer, darauf lassen wirs ankommen. Wenn jetzt die Weko die Möglichkeit erhält, schon beim ersten Mal wirklich stramme Sanktionen und Bussen zu verhängen, wird das Wirkung zeigen - hoffentlich vor allem präventiv. Und das begrüsse ich.
Kein Musikgehör haben Sie aber, was Parallelimporte patentgeschützter Güter betrifft. Dabei geht selbst der vom Bundesrat verlangte Expertenbericht davon aus, dass nach einer Zulassung solcher Parallelimporte die Preise patentgeschützter Güter um 6 bis 11 Prozent sinken würden.
Der Bundesrat hat in Sachen Parallelimporte verschiedene Interessen zu berücksichtigen - jene der Konsumentinnen und Konsumenten an tieferen Preisen, aber auch jene der forschenden Industrie am Schutz ihrer Erfindungen. Und für den Bundesrat ist es aus volkswirtschaftlichen Gründen sehr wichtig, dass die Schweiz weiterhin ein führender Forschungsplatz bleibt, der moderne Arbeitsplätze schafft.
Ist es nicht so, dass die forschende Industrie, sprich die Pharmabranche, einfach besseren Zugang zu den Ohren des Bundesrats besitzt?
Nein, denn ein leistungsfähiger Forschungsplatz nützt der Schweizer Volkswirtschaft insgesamt. Tatsache ist: Wir können den Parallelimport patentgeschützter Güter bloss entweder verbieten oder zulassen.
Neben den hohen Preisen sorgt auch die mangelnde Preistransparenz für Ärger. Mit einer Petition verlangen rund 45 000 Konsumentinnen und Konsumenten, dass auf jedem Produkt der Preis deklariert sein muss und es nicht genügt, die Preise nur am Regal anzuschreiben. Bei Ihnen als ehemaligem Preisüberwacher müsste diese Forderung auf offene Ohren stossen.
Ich möchte all jene, die sich als Fahnenträger der freien Marktwirtschaft verstehen, daran erinnern: Ein Hauptbestandteil funktionierender Märkte ist Transparenz. Es muss für jeden Teilnehmer am Markt möglich sein, sich vollständig zu informieren. Unbestritten ist, dass man da nachhelfen muss - andernfalls bräuchte es ja keine Preisbekanntgabeverordnung. Auch diese steht zurzeit in Revision, um Verbesserungen bezüglich der Zahnarzttarife und 0900er-Telefonnummern zu erreichen. Und ich gehe davon aus, dass man die Frage der Preisanschrift noch in diese Debatte einfliessen lässt.
Was ist Ihre persönliche Meinung? Finden Sie, der Preis gehört aufs Produkt?
Für mich steht fest: Der Preis jedes Produkts muss für den Käufer klar ersichtlich sein. Wo er konkret angeschrieben werden muss - da möchte ich mich heute nicht definitiv festlegen. Aber wir haben die erwähnte Petition gerne entgegengenommen und werden diese Frage jetzt prüfen.
Bei den 0900er-Nummern ist unter anderem geplant, dass zu Beginn der Verbindung der Preis angesagt werden muss. Dies jedoch nur, wenn er mehr als 2 Franken pro Minute beträgt. Weshalb will der Bundesrat auch hier den Konsumenteninteressen nicht voll entsprechen und eine generelle Preisansage verordnen?
Die Preisbekanntgabeverordnung befindet sich derzeit in der Vernehmlassung, und ich bin gespannt, was da an Vorschlägen und Kritik kommt. Der Bundesrat wird sich darauf gestützt seine Meinung bilden.
Ihr Vorgänger im Volkswirtschaftsdepartement, Bundesrat Pascal Couchepin, hat in solchen Fragen dezidiert die Ansicht vertreten: Die Konsumenten sind mündig, solche Schutzvorkehrungen sind unnötig. Wie sehen Sie das?
Ich sage auch: Der Konsument braucht keine Bevormundung. Und ich habe schon als Preisüberwacher stets argumentiert: Der beste Preisüberwacher ist der Wettbewerb. Voraussetzung ist, dass die Teilnehmer am Wettbewerb fähig sind, sich rational zu verhalten. Und das kann der Schweizer Konsument. Andernfalls würden zum Beispiel nicht so viele Leute ins nahe Ausland einkaufen gehen.
Aber natürlich gibt es verschiedene Bereiche, in denen der Konsument gegenüber dem Verkäufer in einer schwächeren Position steht. Das rechtfertigt auch gewisse Vorschriften.
Unsere Erfahrung ist vor allem, dass der Konsument zwar meist rational handelt, aber gar nicht wissen kann, wo ihm überall Fallen gestellt werden - eben zum Beispiel bei den 0900er-Nummern.
Darum braucht es staatliche Vorschriften. Oder Institutionen wie den Preisüberwacher. Aber der Bund soll nicht überall eingreifen, zumal der Konsument ja auch andere Möglichkeiten hat, sich zu wehren - etwa über die Konsumentenorganisationen. Wenn der Bund alles reglementiert, dann können Sie Ihre Zeitschrift schliessen.
Zumindest aber könnte der Bund das Büro des Preisüberwachers personell und finanziell stärken. Mit einer «Ein-Mann-Show» lässt sich die stetig wachsende Dossierlast doch gar nicht mehr bewältigen.
Der Preisüberwacher ist ein Instrument, das sehr gut funktioniert. Nicht zuletzt, weil es einfach strukturiert ist. Es gibt keine grosse Hierarchie und wenig administrativen Aufwand. Der Preisüberwacher ist unabhängig und sehr flexibel, da rede ich aus eigener Erfahrung.
Allerdings: Über eine bessere Dotierung des Preisüberwachers kann man nach dem Nein zum Strommarktgesetz schon diskutieren. Immerhin gibt es in der Schweiz rund 1000 Stromversorgungsmonopole, deren Preise man regelmässig im Auge haben muss.
Ihr derzeit wohl unerfreulichstes Dossier ist jenes zur Arbeitslosenproblematik. Viele Leute wünschen sich in diesen unsicheren Zeiten, dass wenigstens die Leistungen der Arbeitslosenversicherung (ALV), die im vergangenen Herbst spürbar abgebaut wurden, jetzt nicht mehr angetastet werden. Können Sie das versprechen?
Die Arbeitslosenversicherung ist jetzt gesichert - gerade auch dank der Revision im letzten Herbst. Nach dem aktuellen System ist die ALV bei einer Arbeitslosenzahl von durchschnittlich 100 000 im Gleichgewicht. Dasheisst, sie macht weder Schulden noch bildet sie Kapital. Nun müssen wir fürs laufende Jahr leider mit einer durchschnittlichen Arbeitslosenzahl von 135 000 bis 140 000 rechnen. Daraus resultiert für die ALV eine Verschuldung von etwa 200 Millionen Franken. Aber dieses Defizit ist nicht dramatisch und kann bei besserer Konjunktur rasch wieder ausgeglichen werden. Also: Die ALV arbeitet jetzt in einem konsolidierten System, es besteht kein weiterer Sanierungsbedarf.
Welches sind für Sie die dringendsten Probleme, die Bundesrat Joseph Deiss jetzt in Angriff nehmen sollte? Diskutieren Sie auf www.ktipp.ch