Der Effort droht zu verpuffen
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K-Tipp 14/2000
06.09.2000
Tabakkonsum Von den geplanten Restriktionen des Bundes bleibt wohl nicht viel übrig
Vor kurzem kündigte der Bund eine härtere Gangart im Kampf gegen das Rauchen an. Doch Tabakindustrie und Werbebranche haben diese Pläne arg ins Wanken gebracht.
Gery Schwager gschwager@k-tip.ch
Wegen Betrugs, Verschwörung und des Verkaufs gefährlicher Produkte hat ein Gericht in Miami Mitte Juli die fünf grössten Tabakkonzerne der USA zu gigantischen 145 Millia...
Tabakkonsum Von den geplanten Restriktionen des Bundes bleibt wohl nicht viel übrig
Vor kurzem kündigte der Bund eine härtere Gangart im Kampf gegen das Rauchen an. Doch Tabakindustrie und Werbebranche haben diese Pläne arg ins Wanken gebracht.
Gery Schwager gschwager@k-tip.ch
Wegen Betrugs, Verschwörung und des Verkaufs gefährlicher Produkte hat ein Gericht in Miami Mitte Juli die fünf grössten Tabakkonzerne der USA zu gigantischen 145 Milliarden Dollar Busse verdonnert. Rechtsexperten sind sich zwar einig, dass dieses Urteil einer juristischen Überprüfung kaum standhalten wird. Dennoch zeigt es eindrücklich, welch rauer Wind der Tabakindustrie jenseits des grossen Teichs entgegenbläst.
Ende August 1999 kündigte sich angesichts massiver Kosten auch in der Schweiz eine härtere Gangart im Kampf gegen den Tabakkonsum an. Damals schickte der Bundesrat seinen Entwurf zur Revision des Betäubungsmittelgesetzes in die Vernehmlassung. Neu sollen auch Alkohol und Tabak als Suchtmittel gelten.
Zudem ist ein striktes Abgabeverbot an Jugendliche unter 16 Jahren vorgesehen; wer dagegen verstösst, dem drohen Busse, Gefängnis und Betriebsschliessung. Hauptziel der gesamten Gesetzesrevision bleibt indessen, die kontrollierte Heroinabgabe rechtlich zu verankern.
Zusätzlich zu den Punkten im Betäubungsmittelgesetz fordert das Tabakpräventionsprogramm 2001-2005 des Bundesamts für Gesundheit (BAG) mehr Präventionsgelder und eine höhere Tabaksteuer. Hinzu kommt der Vorschlag, im Einklang mit der EU markante Werbebeschränkungen sowie ein Verbot fragwürdiger Bezeichnungen wie «light» oder «mild» auf Zigarettenschachteln zu prüfen.
Aber noch ist nichts entschieden. Zur Revision des Betäubungsmittelgesetzes dürfte der Bundesrat dieser Tage die Weichen stellen. Mit dem Tabakpräventionsprogramm will er sich Ende Jahr befassen. Wie viel letztlich von all den hehren Zielen übrig bleibt, steht in den Sternen. Klar ist, dass insbesondere Tabakindustrie und Werbebranche den Plänen des Bundes wenig bis gar nichts abgewinnen können. Sie drohen bereits lautstark mit dem Referendum.
Tabakwarenhandel geht in die Offensive
Tabak sei kein Betäubungs-, sondern ein Genussmittel und somit nicht im Betäubungsmittelgesetz zu behandeln, argumentiert Yves Romanens, Sprecher der Vereinigung der schweizerischen Zigarettenindustrie (CISC). Deren Präsident Edgar Oehler greift gar zum Vergleich, auch Schoggi oder Arbeit könnte abhängig machen; höchstens in diesem Sinne seien Zigaretten Suchtmittel.
Gegen ein Abgabeverbot an Jugendliche hat die CISC laut Romanens nichts einzuwenden; sie prüfe sogar selber Möglichkeiten, um die Jugendlichen vom Rauchen abzuhalten. Doch im Grunde sei dies «eine Aufgabe, die sämtliche Kreise, also auch Eltern, Erzieher und Behörden, angeht», schiebt er die Verantwortung weiter.
Bereits in die Offensive gegangen ist die Vereinigung des schweizerischen Tabakwarenhandels: Sie hat die wichtigsten Verkäufer zu einem freiwilligen Abgabestopp von Tabak an unter 16-Jährige aufgerufen. Damit will der Tabakhandel verhindern, dass es zu einem gesetzlichen Verbot kommt und Verkäufern oder Betrieben bei Missachtung harte Strafen drohen.
Auch der CISC sind die geplanten Sanktionen, die bis zu Gefängnis und Ladenschliessung reichen, ein Dorn im Auge. Romanens bezeichnet sie geradeheraus als «unverhältnismässig». In engen Grenzen hält sich auch die Freude über das BAG-Tabakpräventionsprogramm, das die CISC nach einer ersten Sichtung als «ehrgeiziges, vielleicht allzu ehrgeiziges Papier» apostrophiert.
«Verantwortung nicht nur der Werbung anlasten»
Die «Schweizer Werbung» (SW) wiederum, die Dachorganisation der kommerziellen Kommunikation, kann mit den vom Bund erwogenen Beschränkungen für Tabakwerbung überhaupt nichts anfangen. SW-Vertreter Piero Schäfer zieht ganz schön vom Leder: «Auch wir wissen, dass Rauchen schädlich ist. Wir halten es aber für heuchlerisch und problematisch, die Verantwortlichkeit einzig der Kommunikation anzulasten.» Abgesehen davon, so Schäfer weiter, sei dies auch alles andere als volksnah, «wenn man bedenkt, dass das Schweizer Volk noch Ende 1993 ein Werbeverbot mit über 75 Prozent Nein-Stimmen abgelehnt hat».
Die Argumentation von Tabakindustrie und Werbern treibt Jürg Hurter, dem Präsidenten der Schweizerischen Gesellschaft für rauchfreie Luft und gegen die Tabaksucht pro aere, die Zornesröte ins Gesicht: Nur gerade 2,3 Prozent des gesamten Werbeaufkommens in der Schweiz stammten aus der Tabakbranche. Ohnehin sei die Tabakindustrie für die Schweiz wirtschaftlich nicht sehr gewichtig, setzt Hurter noch eins drauf. «Sie hat es allerdings meisterhaft verstanden, sich als ungemein bedeutend darzustellen. Und zahlreiche Politiker glauben diesen Humbug willig.»
Vehement fordert der pro-aere-Präsident «endlich Bestimmungen, die unsere rauchfreie Bewegungsfreiheit sicherstellen». Denn für ihn ist klar: «Rauchen killt, und zwar nicht nur die Raucher selbst, sondern auch Unbeteiligte.» Der Bund könne es sich jetzt nicht leisten, «vor der Tabakindustrie und ihren gehorsamen Gehilfen zu kuschen», spricht Hurter Klartext und verlangt die kompromisslose Umsetzung der geplanten Massnahmen - zumal «die Schweizer Gesetzgebung im Tabakbereich heute nicht nur zahm, sondern geradezu lahm» sei.
Das räumt - zumindest ein Stück weit - auch das BAG ein: «Im Bereich Tabak befindet sich die Schweiz zurzeit unter den liberalen Ländern, insbesondere was Werbebestimmungen und Besteuerung anbelangt.» Doch von der einstigen Entschlossenheit, die Zügel im Kampf gegen das Rauchen zu straffen, ist nicht mehr viel zu spüren.
Für die Pläne des BAG sieht es schlecht aus
Mit Blick auf die Revision des Betäubungsmittelgesetzes etwa hält das BAG heute fest, es liege sicherlich «weder im Interesse des Bundesrats noch des Parlaments, eine Vorlage zu verabschieden, die riskiert, bei einer Volksabstimmung durchzufallen». Und was die im Präventionsprogramm vorgeschlagenen Werbebeschränkungen sowie das «light»-Verbot betrifft, siehts ebenfalls schlecht aus.
In der EU drohen die entsprechenden Pläne nämlich aus formaljuristischen Gründen Schiffbruch zu erleiden. Gleichzeitig gibt das BAG in gewundenen Worten zu Protokoll, es scheine «aus heutiger Sicht gerade im Tabakbereich eher schwierig zu sein, dass die Schweiz neue Gesetze erlässt, die weiter gehen als die Bestimmungen der EU».
Tabakindustrie und Werbebranche dürfen sich deshalb grosse Hoffnungen machen, dass es zu den tabakpolitischen Plänen des Bundes am Schluss heissen wird: Alles nur Schall und Rauch.
In der Schweiz 10 000 Tote pro Jahr
- In der Schweiz rauchen rund 1,95 Millionen Menschen. Das ist etwa ein Drittel der Bevölkerung. 58,5 Prozent der Rauchenden sind Männer, 41,5 Prozent Frauen.
- 1999 gingen hier zu Lande rund 14,6 Milliarden Zigaretten über den Ladentisch - täglich mehr als 20 Stück pro Raucher. Auf der europäischen Konsumrangliste liegt die Schweiz auf Platz vier hinter Polen, Griechenland und Ungarn.
- Etwa 8000 bis 10 000 Personen sterben in der Schweiz jährlich an den Folgen des Tabakkonsums - 800 vor Erreichen des 55. Lebensjahres. Weltweit verursachte der Tabakkonsum 1999 rund 4 Millionen Todesfälle.
- Die Gesamtkosten aus dem Tabakkonsum belaufen sich in unserem Land auf 10 Milliarden Franken pro Jahr. Davon entfallen 1,2 Milliarden auf medizinische Behandlungen und 3,8 Milliarden auf den Produktionsverlust durch Tod, Krankheit oder Invalidität. 5 Milliarden Franken sind so genannt immaterielle Kosten; sie ergeben sich unter anderem aus der Verschlechterung der Lebensqualität der kranken und invaliden Menschen.
- Die Einnahmen aus der Tabaksteuer zur AHV-Finanzierung beliefen sich 1999 auf 1,69 Milliarden Franken; das sind rund 6 Prozent der gesamten AHV-Einnahmen.
Quelle: Bundesamt für Gesundheit