Der Griff nach dem kühlen Nass
Zuverlässig und sauber sprudelt in der Schweiz das Wasser aus den Hähnen.<br />
Wie lange noch? Hilfswerke, Konsumenten- und Umweltorganisationen schlagen Alarm.
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K-Tipp 1/2003
15.01.2003
Gery Schwager - gschwager@ktipp.ch
Schweizerinnen und Schweizer haben es gut. Probleme mit der Wasserversorgung kennen sie kaum.
Das ist nicht selbstverständlich. In England zum Beispiel versickern wegen desolater Leitungen gegen 30 Prozent des Wassers ungenutzt im Erdreich (siehe Kasten).
Seit sich auf der Insel fast nur noch Privatunternehmen ums Wasserbusiness kümmern, steht kurzfristiges Gewinnstreben an erster Stelle. Folge: Ungenügende Investitionen ins Leitungsnetz und sinkende Wasserqualit...
Schweizerinnen und Schweizer haben es gut. Probleme mit der Wasserversorgung kennen sie kaum.
Das ist nicht selbstverständlich. In England zum Beispiel versickern wegen desolater Leitungen gegen 30 Prozent des Wassers ungenutzt im Erdreich (siehe Kasten).
Seit sich auf der Insel fast nur noch Privatunternehmen ums Wasserbusiness kümmern, steht kurzfristiges Gewinnstreben an erster Stelle. Folge: Ungenügende Investitionen ins Leitungsnetz und sinkende Wasserqualität bei gleichzeitig steigenden Preisen. Mehreren tausend Haushalten wurde schon das Trinkwasser abgedreht, weil die Leute die Gebühren nicht mehr bezahlen konnten.
Arbeitskreis warnt vor Privatisierung
So weit darf es in der Schweiz nicht kommen, hat sich die Arbeitsgemeinschaft Swissaid, Fastenopfer, Brot für alle, Helvetas, Caritas und Heks gesagt und den Arbeitskreis «Wasser - ein öffentliches Gut» ins Leben gerufen. Ihm gehören auch Gewerkschaften, der Bauernverband sowie Konsumenten- und Umweltorganisationen an.
Hauptziel: Den «schleichenden Privatisierungstendenzen» in der Schweizer Wasserversorgung aktiv entgegentreten.
Zu diesen Tendenzen zählen laut Madeleine Bolliger vom Arbeitskreis vorab die bereits zahlreich vollzogenen Umwandlungen von Gemeindewerken in Aktiengesellschaften: «Die neue juristische Form ist die notwendige Vorstufe zur vollen Privatisierung: Sie löst den Betrieb aus der öffentlichen Verwaltung heraus und schafft die Voraussetzung für die Beteiligung privater Unternehmen.»
Franzosen sind schon in den Startlöchern
Und das sei gefährlich, sagt Bolliger. Wenn man die Wasserversorgungen an gewinnstrebige Privatkonzerne abtrete, drohten englische Verhältnisse mit höheren Wasserpreisen und verlotternden Infrastrukturen.
Die Warnung des Arbeitskreises hat durchaus Hintergrund: Vor wenigen Monaten hat die EU die Schweiz aufgefordert, den Wassermarkt für private Anbieter zu öffnen. Den drei Giganten im privaten Wasserversorgungsgeschäft - Vivendi und Suez-Lyonnaise aus Frankreich sowie RWE aus Deutschland, an deren Wasserhähnen weltweit rund 275 Millionen Menschen hängen - wärs sicher recht.
Jedenfalls ist Vivendi unlängst dem Schweizerischen Verein des Gas- und Wasserfachs (SVGW) beigetreten, wie Geschäftsleitungsmitglied Urs Kamm verrät. Und laut Christian Furrer, Direktor des Bundesamts für Wasser und Geologie, sind bei Westschweizer Wasserversorgungen bereits konkrete Anfragen aus Frankreich eingegangen. «Man darf also schon davon ausgehen, dass sich international operierende Grossunternehmen für einen Eintritt in den Schweizer Wassermarkt interessieren», so Furrer.
In der hiesigen Branche will man die Situation indes nicht dramatisieren. Zwar ist der Trend zur Umwandlung von Gemeindewerken in Aktiengesellschaften (AG) nicht von der Hand zu weisen. Doch bei praktisch allen als AG organisierten Wasserversorgungen ist die öffentliche Hand Allein- oder zumindest klare Mehrheitsaktionärin.
Wollte man dies ändern und die Aktienmehrheit an Private übertragen, müsste vielerorts Gemeindeparlament oder Volk seinen Segen erteilen. Das haben Anfragen des K-Tipp bei den Wasser-AGs von Kloten, Uster, Aarau, Baden, Brugg, Wohlen, Zofingen, Weinfelden und Luzern ergeben.
Geplant ist dieser Schritt zurzeit bei keiner dieser Aktiengesellschaften. Selbst die Wasserwerke Zug AG, deren Aktien von alters her mehrheitlich in Privatbesitz sind, betont die Bedeutung «klarer und verantwortungsbewusster Randbedingungen» der öffentlichen Hand im Bereich Wasserversorgung: «Für kurzfristiges Gewinnstreben gibt es hier keinen Platz.»
Das sieht man auch in der Bevölkerung so. In einer Umfrage des SVGW haben sich kürzlich 86 Prozent der Befragten dagegen ausgesprochen, die Wasserversorgung zu privatisieren.
Schweizer zahlen Tarife ohne zu murren
Mit anderen Worten: In der Schweiz ist die Zufrieden-heit mit dem Status quo gross. So gross offenbar, dass nicht einmal die Preisunterschiede zwischen den Versorgungsbetrieben für Unmut sorgen.
Dabei sind diese Differenzen beträchtlich: Nimmt man den schweizerischen Durchschnittsverbrauch von knapp 160 Litern pro Person und Tag als Basis, bezahlt
eine vierköpfige Familie mit Einfamilienhaus für ihr jährliches Trinkwasser (inklusive fester Gebühren) in Zürich fast viermal so viel wie in Chur (siehe Grafik).
Gründe für die Differenzen wissen die Wasserversorger einige zu benennen: verschiedenartige Versorgungssysteme, Unterschiede in Topographie und Siedlungsdichte, je nach Alter und Umfang der Infrastruktur variierende Erneuerungsinvestitionen.
Mit der Organisationsform der Werke hingegen haben die Preisdifferenzen offenbar nichts zu tun. Jedenfalls schneiden in der K-Tipp-Stichprobe jene Betriebe, die in eine AG umgewandelt wurden, weder besser noch schlechter ab als die übrigen Werke. Auch war die Überführung in eine AG nirgends von Tarifreduktionen begleitet.
Wozu also das Ganze? Den neuen Wasser-AGs ging es vor allem um grössere unternehmerische Freiheit, schnellere Entscheidungsabläufe und Unabhängigkeit von politischen Einflüssen, wie sie unisono betonen. Privatisierungsabsichten weisen sie weit von sich.
Doch der Arbeitskreis «Wasser - ein öffentliches Gut» sieht angesichts des Interesses international tätiger Privatkonzerne am Schweizer Wassermarkt keinen Grund zur Entwarnung - und will deshalb wachsam bleiben. «Wir müssen Privatisierungstendenzen frühzeitig einen Riegel schieben», erklärt Madeleine Bolliger, «denn vorbeugen ist besser als heilen.»
Steigende Preise, sinkende Qualität: Die hässlichen Seiten der Privatisierung
In der Schweiz liegt die Wasserversorgung fast überall in öffentlicher Hand. Im Ausland läufts zum Teil anders - und oft unerfreulich.
- In England hat die Regierung Thatcher 1989 praktisch die gesamte Wasserversorgung privatisiert. In der Folge stiegen die Trinkwasserpreise bis Ende der 90er-Jahre real um fast 50 Prozent. Ihre Gewinne steigerten die Wassergesellschaften um 147 Prozent - während sie jährlich bis zu 18 500 Haushalten, welche die Gebühren nicht zahlen konnten, das Trinkwasser abdrehten (was inzwischen verboten wurde). Zudem vernachlässigten sie Investitionen ins Leitungsnetz, so dass 25 bis 30 Prozent des Wassers versickern.
- Auch in Frankreich, wo Privatkonzerne rund 75 Prozent der Trinkwasserversorgung kontrollieren, stiegen die Preise in den 90er-Jahren an, und zwar jährlich um real 3,3 Prozent. Die Gemeinde Grenoble hat im März 2000 die Wasserversorgung zurückgekauft, weil die Preise erhöht worden waren und die Qualität nicht stimmte. Zudem hatte sich herausgestellt, dass die Privatisierung 1989 von einer Korruptionsaffäre begleitet war.
- Im bolivianischen Cochabamba kam es zu schweren Unruhen mit Toten, weil das privatisierte Unternehmen den Wasserpreis verdoppeln wollte. Der US-Konzern Bechtel zog sich daraufhin aus dem Geschäft wieder zurück.
- In der südafrikanischen Provinz KwaZulu-Natal drehte die Wassergesellschaft nach der Privatisierung säumigen Zahlern die Hähne zu. Viele Leute tranken verschmutztes Flusswasser; es kam zu einer Choleraepidemie - 32 Menschen starben.