Der Haken mit den billigen Pillen
Inhalt
K-Tipp 11/2002
29.05.2002
Medikamentenversand: Kritiker befürchten unnötigen Konsum
Tiefere Preise für Medikamente dank Direktversand. Das tönt gut. Doch die beteiligten Ärzte kassieren mit.
Patrick Gut pgut@ktipp.ch
Die Apotheke zur Rose (AzR) in Steckborn TG versorgt Ärzte, die eine eigene Patientenapotheke führen, mit Medikamenten. Im letzten Juli ist sie zudem in den Direktversand eingestiegen. Die Ärztin stellt keine Rezepte auf Papier mehr aus, sondern bestellt d...
Medikamentenversand: Kritiker befürchten unnötigen Konsum
Tiefere Preise für Medikamente dank Direktversand. Das tönt gut. Doch die beteiligten Ärzte kassieren mit.
Patrick Gut pgut@ktipp.ch
Die Apotheke zur Rose (AzR) in Steckborn TG versorgt Ärzte, die eine eigene Patientenapotheke führen, mit Medikamenten. Im letzten Juli ist sie zudem in den Direktversand eingestiegen. Die Ärztin stellt keine Rezepte auf Papier mehr aus, sondern bestellt die Medikamente über Internet direkt bei der AzR. Diese liefert die Bestellung per Post an den Patienten.
Was das Angebot besonders verlockend macht: Die AzR wirbt damit, dass die Medikamente durchschnittlich 15 Prozent günstiger seien als in der Apotheke. Konkret vergütet das Unternehmen den Krankenversicherern fünf Prozent des Verkaufspreises und verzichtet zusätzlich sowohl auf die Patienten- wie die Apothekertaxe (Fr. 7.35 für das Führen eines Dossiers und Fr. 4.20 pro Medikament).
Die Ärzte sind am Umsatz beteiligt
Trotzdem: Die AzR ist ins Kreuzfeuer der Kritik geraten. Und zwar hauptsächlich, weil sie den Ärzten für jedes bestellte Medikament eine «Erfassungsentschädigung» von fünf Franken ausbezahlt. Zudem ködert sie die Patienten mit Treuegeschenken. Für zwölf Treuepunkte gibt es beispielsweise einen Rucksack.
Für Preisüberwacher Werner Marti sind die fünf Franken Entschädigung pro verschriebenes Medikament problematisch: «Das schafft einen Anreiz, mehr als nötig zu verschreiben.» Auch die Präsidentin der Schweizerischen Patientenorganisation, Margrit Kessler, hat Mühe mit dem Zeilenhonorar: «Es ist stossend, dass die Ärzte für jedes bestellte Medikament fünf Franken kassieren. Dieses Geld sollte den Patienten zugute kommen.»
Das schweizerische Heilmittelinstitut Swissmedic hat sogar ein Verfahren eingeleitet. Die strittigen Punkte des AzR-Modells:
- Das «Honorar» für die Ärzte verträgt sich möglicherweise nicht mit dem Heilmittelgesetz.
- Ähnlich sieht es mit den Treueprämien für die Patienten aus. «Die AzR setzt Treueprämien als Werbung ein», sagt Swissmedic. Das könne zum «übermässigen Einsatz von Arzneimitteln verleiten, was unzulässig ist».
«Das ist eine bösartige Unterstellung»
Der Geschäftsführer der AzR, Kurt Eberle, wehrt sich gegen die Vorwürfe: «Dass Ärzte unnötig Medikamente verschreiben sollen, ist eine bösartige Unterstellung.»
Bei den fünf Franken pro verschriebenes Medikament handle es sich lediglich um eine Aufwandentschädigung. «Ein herkömmliches Rezept ist sehr rasch ausgestellt», sagt Eberle, «bei uns erfassen die Ärztinnen und Ärzte hingegen verschiedene Daten selber und nehmen uns damit Arbeit ab.» Durchschnittlicher Zeitaufwand gemäss Eberle: drei Minuten.
Tatsache ist: Direktversender wie die AzR können Medikamente günstiger verkaufen. Wäre also generell Spielraum für Preissenkungen vorhanden?
Gesundheitsökonom Willy Oggier ist davon überzeugt: «Die fünf Franken Abgeltung an die Ärzte zeigt, dass selbst bei den Preisen der Apotheke zur Rose noch Luft drin ist.» Gemäss Oggier ist die Kostenexplosion bei den Medikamenten auch ein Problem der Vertriebskanäle. Die Schweiz verfüge über ein sehr dichtes Apothekennetz sowie über Ärzte mit Patientenapotheke. «Es ist nicht so, dass man von einem Verteilkampf um einen gleich bleibenden Kuchen sprechen könnte. Vielmehr wächst der Kuchen mit der Zahl der Anbieter.»
Daher Oggiers Forderung: «Versicherte in der Grundversicherung müssten sich entscheiden, ob sie ihre Medikamente ausschliesslich über die Apotheke oder nur über den Arzt beziehen wollen.» Dank dieser Massnahme würde der Kuchen kleiner. «Strukturanpassungen, die von Apothekenschliessungen bis zu Praxiszusammenlegungen reichen würden, wären die Folge.»