Der lange Kampf gegen dubiose Telefonrechnungen
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K-Tipp 16/2000
04.10.2000
Sextelefone Swisscom prüft bestrittene Gebühren erst im zweiten Anlauf gründlich
Der Kampf gegen überhöhte Telefonrechnungen kostete Maria Honer viel Energie. Doch ihr Einsatz zahlte sich aus: Die Swisscom sah genauer hin, fand defekte Kabel - und verlangt jetzt 3000 Franken weniger.
Gery Schwager gschwager@k-tip.ch
Der Schreck fuhr Maria Honer aus Regensdorf ZH zünftig in die Glieder, als sie Mitte August die Telefonrechnung der Swisscom für J...
Sextelefone Swisscom prüft bestrittene Gebühren erst im zweiten Anlauf gründlich
Der Kampf gegen überhöhte Telefonrechnungen kostete Maria Honer viel Energie. Doch ihr Einsatz zahlte sich aus: Die Swisscom sah genauer hin, fand defekte Kabel - und verlangt jetzt 3000 Franken weniger.
Gery Schwager gschwager@k-tip.ch
Der Schreck fuhr Maria Honer aus Regensdorf ZH zünftig in die Glieder, als sie Mitte August die Telefonrechnung der Swisscom für Juli in den Händen hielt: 2044 Franken sollte die allein erziehende Mutter bezahlen - üblich waren bisher Monatsrechnungen um 100 Franken.
Da stimmt etwas nicht, dachte Honer. Sie liess sich von der Swisscom den detaillierten Taxauszug liefern - und erschrak gleich nochmals. Für die Zeit vom 1. bis zum 7. August zeigte der Zähler bereits wieder 1065 Franken an.
Der Grund für die beängstigend hohen Zahlen: teure Sextelefone. Von Anfang Juli bis 7. August registrierte Maria Honers Gebührenauszug nicht weniger als 47 Verbindungen auf 21 verschiedene 156er- und 0906er-Nummern. Sie kosteten insgesamt gut 3000 Franken.
Honer liess die Erotik-Nummern umgehend sperren und reklamierte bei der Swisscom gegen die Rechnungen. Denn für sie stand fest: Ihr 4-jähriger Sohn oder ihre 11-jährige Tochter hatte die Sextelefone nicht getätigt. Und dass jemand ihren Telefonapparat unbemerkt benutzen konnte, war für sie ebenfalls ausgeschlossen.
Doch es folgte der nächste Schock. «Leider müssen wir Ihnen mitteilen, dass die Verbindungen tatsächlich von Ihrem Anschluss aus verursacht wurden», beschied die Swisscom Maria Honer am 24. August in einem Brief. Und: «Wir bedauern, Ihnen keinen positiveren Bericht geben zu können, und bitten Sie, die gestellten Rechnungen in vollem Umfange zu begleichen.»
Zum Zeitpunkt des Telefonats ausser Haus
Dazu war Honer aber nach wie vor nicht bereit. Sie begann, nach Beweisen dafür zu suchen, dass weder sie noch ihre Kinder die Erotik-Nummern gewählt haben konnten. Zumindest in einem Fall gelang ihr das auch: Am Samstag, dem 8. Juli, befand sie sich zum Zeitpunkt einer über ihren Anschluss laufenden 156er-Verbindung nachweislich im Fitnesszentrum. Und die beiden Kinder waren das ganze Wochenende nicht zu Hause.
Maria Honer hätte sich die mühselige Beweissuche sparen können: Vom K-Tip mit Fragen zur ganzen Affäre konfrontiert, schickte die Swisscom im September ihre Techniker auf die Piste - und diese stiessen in der Anschlusszentrale tatsächlich auf defekte Kabel. «Offenbar ist Frau Honers Leitung mit zwei anderen Leitungen in Berührung gekommen», so Swisscom-Sprecher Sepp Huber. Damit sei eine «fehlerhafte Rechnungsstellung» nicht auszuschliessen. Honer müsse deshalb die in Rechnung gestellten Sextelefon-Gebühren nicht bezahlen.
Kunden brauchen Glück und Durchhaltevermögen
Wie aber kam die Swisscom dazu, Maria Honer noch am 24. August schriftlich aufzufordern, die Rechnungen vollumfänglich zu begleichen? Huber: «Diesen Brief schickt die Swisscom jeweils dann ab, wenn sie auf eine Beschwerde hin den Rechnungsablauf überprüft und dabei keine Fehler festgestellt hat.» Beharre ein Kunde weiterhin darauf, nicht Urheber von aufgeführten Telefon-Verbindungen zu sein, mache die Swisscom eine technische Abklärung. Im Klartext: Um eine seriöse Untersuchung auszulösen, müssen sich Swisscom-Kunden mindestens zweimal beschweren.
Zudem bürdet der Telefonriese seinen Kunden auch die Beweislast auf. Ergeben nämlich im Streitfall die Abklärungen der Swisscom keine Anhaltspunkte für Fehler, gilt die beanstandete Rechnung als richtig - es sei denn, der Kunde kann nachweisen, dass er nicht telefoniert hat. So gehts aus dem klein Gedruckten hervor.
Obwohl wenig konsumentenfreundlich, sind solche Regeln zulässig - und zwar nicht zuletzt deshalb, weil es in der Schweiz kein Gesetz über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen gibt, wie Rechtsprofessor Thomas Koller von der Universität Bern erklärt: «In einem solchen Gesetz könnte man zum Beispiel zum Ausdruck bringen, dass eine Regelung wie im Falle der Swisscom, die eine derart einseitige Beweislast festsetzt, zumindest nicht unproblematisch ist.»
Vorerst aber brauchts viel Glück und Durchhaltevermögen, um eine überhöhte Telefonrechnung nicht bezahlen zu müssen. Und dies, obwohl auch unbefugte Dritte die hohen Kosten verursacht haben könnten. Die Gefahr, dass ahnungslose Abonnenten den Machenschaften von Telefonpiraten zum Opfer fallen, ist nämlich durchaus real.
Telefonleitungen sind oft schlecht gesichert
Der K-Tip hat schon in den frühen Neunzigerjahren mehrere Fälle geschildert, in denen skrupellose Hacker Telefonleitungen angezapft hatten, um auf fremde Kosten teure Gespräche zu führen oder die Kassen von Sextelefonbetreibern klingeln zu lassen (K-Tip 7/93, 16/93, 6/95, 14/95). Derartige Manipulationen sind laut Robert Sieber vom Verband Schweizerischer Elektro-Installationsfirmen auch heute noch möglich.
«Bei den Telefonleitungen handelt es sich nach wie vor um Drähte, die in der Regel über öffentlich zugängliche Räume wie Keller oder Treppenhaus erreichbar sind», sagt Sieber. Oft seien die Drähte nur schwach oder gar nicht gesichert; in älteren Liegenschaften beispielsweise befänden sich im Keller meist recht angejahrte Leitungskästen, die man leicht knacken könne.
Um die Leitungen anzuzapfen, muss man kein technischer Profi sein. Sieber: «Etwas salopp gesagt ist auch ein Bastler mit ein bisschen handwerklichem Geschick dazu in der Lage.» Und sofern der Telefonpirat einigermassen sorgfältig arbeitet, hinterlässt sein Treiben an den Installationen kaum sichtbare Spuren.
Definitiv spurlos bleibt der Zugriff auf einen fremden Anschluss, wenn der Hacker dazu gar keine Leitungen anzapfen musste. Möglich ist das gemäss Sieber «bei gewissen billigeren Funktelefon-Apparaten ohne ausreichende Schutzfunktion».
Hält man sich dies alles vor Augen, wird klar: Maria Honer hat viel Glück gehabt, dass in ihrem Fall defekte Kabel vorhanden waren - und schlussendlich sogar ans Licht kamen.
Überhöhte Telefonrechnung: So können Sie sich wehren
Wenn Ihnen eine Festnetz-Telefonrechnung ins Haus flattert, die für Sie unerklärliche Gespräche verzeichnet, können Sie folgende Schritte unternehmen:
- Nummern sperren lassen: Lassen Sie für Ihren Anschluss die 156er- und 0906er-Telekiosk-Nummern sperren. Das kostet Sie nichts, weil die Swisscom laut Fernmeldeverordnung «eine unentgeltliche Möglichkeit zur Sperrung abgehender Verbindungen zu Diensten mit erotischem oder pornografischem Inhalt zur Verfügung stellen» muss. Gegen Gebühr können Sie auch andere Nummern sperren lassen. Die Swisscom bietet insgesamt zehn Sperrsets an und Diax blockiert auf Wunsch Telefonverbindungen ins Ausland. Sunrise hingegen sperrt Nummern nur «in Ausnahmefällen».
- Alibi eruieren: Lassen Sie sich kostenlos den detaillierten Taxauszug für die fragliche Rechnung geben. Darauf können Sie exakt feststellen, wann, wie lange und zu welcher Nummer von Ihrem Anschluss aus eine Verbindung bestanden hat. Überlegen Sie sich, ob Sie in einigen oder gar allen Fällen nachweisen können, dass die strittigen Anrufe unmöglich von Ihrem Anschluss ausgegangen sind. Die bundesgerichtliche Rechtsprechung verlangt von Ihnen keinen strikten Beweis dafür, dass die Rechnung fehlerhaft ist: «Es genügt, wenn die Unrichtigkeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dargetan wird», heisst es in einem aktuellen Urteil aus Lausanne (Urteil 2A.318/1999 vom 8. März 2000). Ihre Chancen stehen also nicht schlecht, wenn Sie zum Beispiel nachweisen können, dass Sie zum Zeitpunkt bestrittener Verbindungen in den Ferien waren und niemand sonst Zutritt zur Wohnung hatte.
- Abklärung verlangen: Bestehen Sie auf einer seriösen Überprüfung Ihrer Telefonrechnung und auf einer fachmännischen Kontrolle der technischen Installationen. Aus dem erwähnten Urteil des Bundesgerichts geht hervor, dass eine Telefonrechnung erst dann als richtig gilt, wenn «die nötigen administrativen und technischen Abklärungen» keine Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Aufzeichnung oder Rechnungsstellung ergeben haben. Ein entsprechender Passus findet sich denn auch in der Festnetz-Leistungsbeschreibung der Swisscom. Sunrise und Diax wiederum halten fest, man führe im Falle bestrittener Rechnungen automatisch administrative und technische Abklärungen durch.