Dicke Luft im Gotteshaus
Die Luft in Gotteshäusern ist zwar mit Russ belastet, aber wesentlich weniger als anderswo. Dies zeigen K-Tipp-Stichproben in Chur, Einsiedeln, St. Gallen, Vaduz und Zürich.
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K-Tipp 6/2005
23.03.2005
Bernhard Matuschak - redaktion@ktipp.ch
Ausgerechnet an Heiligabend vergangenen Jahres titelte der «Tages-Anzeiger»: «In die Kirche nur noch mit Atemschutz.» Hintergrund für den Aufschrei: Niederländische Wissenschaftler hatten in zwei katholischen Gotteshäusern exorbitant hohe Luftbelastungen mit Feinstaub (PM10) festgestellt. Unter PM10 versteht man Staubpartikel, deren Durchmesser weniger als 10/1000 mm beträgt.
Als Quelle der Luftverschmutzung machten die Forscher Kerzen und Weihrauch aus. Die gemessenen Wer...
Ausgerechnet an Heiligabend vergangenen Jahres titelte der «Tages-Anzeiger»: «In die Kirche nur noch mit Atemschutz.» Hintergrund für den Aufschrei: Niederländische Wissenschaftler hatten in zwei katholischen Gotteshäusern exorbitant hohe Luftbelastungen mit Feinstaub (PM10) festgestellt. Unter PM10 versteht man Staubpartikel, deren Durchmesser weniger als 10/1000 mm beträgt.
Als Quelle der Luftverschmutzung machten die Forscher Kerzen und Weihrauch aus. Die gemessenen Werte von über 1000 Mikrogramm PM10 pro Kubikmeter Luft überschreiten den in der Schweizer Luftreinhalte-Verordnung festgesetzten Grenzwert im Freien von 20 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft rund um das 50-fache. Sogar an den meistbefahrenen Strassen in Zürich werden «nur» PM10-Werte um 50 Mikrogramm gemessen.
Die Hiobsbotschaft aus Holland liess den K-Tipp aktiv werden. Denn: Eine hohe PM10-Belastung kann laut Bundesamt für Umwelt (Buwal) Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen verursachen sowie das Krebsrisiko erhöhen. Langjährige Untersuchungen belegen einen direkten Zusammenhang zwischen der Feinstaubkonzentration in der Luft und Gesundheitsschäden.
Am gefährlichsten sind Mikropartikel
Nach Ansicht des Lungenspezialisten und Chefarztes an der Zürcher Höhenklinik Wald, Otto Brändli, genügt dazu bereits ein zeitlich befristeter Aufenthalt in der kontaminierten Umgebung: «Unsere Untersuchungen zeigen, dass an Tagen mit hoher Feinstaubbelastung mehr Menschen sterben als an Tagen mit sauberer Luft.»
Die Frage liegt deshalb auf der Hand: Gehen Gläubige auch in der Schweiz ein Gesundheitsrisiko ein, wenn sie den Gottesdienst besuchen? Um es vorwegzunehmen: Die Luft in den katholischen Gotteshäusern ist zwar schlechter als vor der Kirchentür, aber keinesfalls bedrohlich. Messungen des K-Tipp in Einsiedeln SZ, Chur, Vaduz (FL), St. Gallen und der Kapelle im Hauptbahnhof Zürich ergaben Werte weit unter dem Grenzwert. Im Gotteshaus mit der schlechtesten Luftqualität, der Kathedrale Chur, zeigte das Messgerät eine Konzentration von 2,2 Mikrogramm PM10 pro Kubikmeter Luft, 50-mal so hoch wie im Freien. Draussen wurden zur gleichen Zeit 0.045 Mikrogramm gemessen.
Ähnlich deutlich ist der Unterschied bei den im Vergleich zu PM10 100-mal kleineren Mikropartikeln. In der Kathedrale Chur wurde ein Wert von 340 000 Teilchen pro Kubikzentimeter Luft gemessen, vor der Kirchenpforte waren es 20 000.
Dem Mönch verboten, Kerzen anzuzünden
Der Bauökologe Guido Huwiler, der die Messungen für den K-Tipp durchführte, gibt 3000 Partikel pro Kubikzentimeter als durchschnittliche Erfahrungswerte für Büros und Wohnungen an. Otto Brändli sieht in den Mikropartikeln eine grössere Gefahr als beim PM10-Staub. Gegen grössere Partikel habe uns die Evolution gewappnet, zum Beispiel durch die Haare in der Nase oder den Schleim in den Bronchien. «Mikropartikel jedoch sind in der Natur nicht vorgesehen. Sie entstehen bei Verbrennungsprozessen mit hohen Temperaturen, vor allem bei Dieselmotoren und Zigaretten, und können möglicherweise sogar bis ins Hirn vordringen. Sie stehen im Verdacht, Krankheiten wie Alzheimer auszulösen», so der Chefarzt.
Doch wie erklären sich die exorbitant hohen PM10-Werte in den holländischen Kirchen? Für Otto Brändli ist durchaus vorstellbar, dass Kerzen eine derart hohe Belastung verursachen können. «Vor Jahren hatte ich einen Mönch als Patient. Ihm musste ich verbieten, in seiner Zelle Kerzen anzuzünden.» Grundsätzlich gelte: Je grösser ein Raum, desto besser die Luft, weil sich die Schadstoffe verteilen, sagt Bauökologe Huwiler.
Mauerwerk mit schwarzem Schleier
Dass der K-Tipp auch in der relativ kleinen Bahnhofskapelle des Zürcher Hauptbahnhofes mit ihrem grossen Arsenal an brennenden Opferkerzen nur eine schwache PM10-Konzentration ausmachte (0,16 Mikrogramm), begründet der Fachmann mit der Verwendung von Qualitätskerzen und einem hervorragenden Belüftungssystem.
Dass eine Abluftanlage wahre «Wunder» wirken kann, weiss man auch im Kloster Einsiedeln. Den Mönchen machte der Feinstaub zu schaffen. Dieser schlug sich als schwarzer Schleier auf das Mauerwerk nieder. Im Zuge der 1997 abgeschlossenen Kirchenrenovation wurde unter anderem eine Abluftanlage über den Pulten mit den Kerzen eingebaut. Seither sind die schwarzen Ablagerungen verschwunden.