Die Hetzjagd auf das Cholesterni
Cholesterin gilt als Herzinfarkt-Risikofaktor. Viele Ärzte geben deshalb rasch Cholesterin senkende Medikamente ab. Jetzt melden sich Kritiker. Denn: Wer sich richtig verhält, kann sich auch ohne Medikamente schützen.
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K-Tipp
01.12.2002
Letzte Aktualisierung:
29.08.2022
Tobias Frey - tfrey@pulstipp.ch
Professor Olaf Gebbers, der Chef-Pathologe am Luzerner Kantonsspital, hatte sein einschneidendes Erlebnis in den USA. «Eines Morgens trat ich in die Küche und sah, wie meine Haushälterin den gelben Dotter des Frühstückseis in den Schüttstein kippte», berichtet er. «Ich fragte sie, was sie da tue, und sie antwortete mir: "It is full of cholesterol."» Das Eigelb sei voller Cholesterin. Sie wollte das Rührei nur mit dem Eiweiss machen.
Gebbers war entsetzt über die amerika...
Professor Olaf Gebbers, der Chef-Pathologe am Luzerner Kantonsspital, hatte sein einschneidendes Erlebnis in den USA. «Eines Morgens trat ich in die Küche und sah, wie meine Haushälterin den gelben Dotter des Frühstückseis in den Schüttstein kippte», berichtet er. «Ich fragte sie, was sie da tue, und sie antwortete mir: "It is full of cholesterol."» Das Eigelb sei voller Cholesterin. Sie wollte das Rührei nur mit dem Eiweiss machen.
Gebbers war entsetzt über die amerikanische Landlady. Denn der Pathologe hält nichts von der verbreiteten «Cholesterinhysterie». Zwar weisen Studien darauf hin, dass Cholesterin ein Risikofaktor für Herzinfarkt sein kann. Es
lagert sich in den Gefässwänden ab und ist an der Arterienverkalkung beteiligt.
Doch viele Experten kritisieren die Panikmache gegen das Cho-
lesterin. Einer der profiliertesten Schweizer Epidemiologen, Johannes G. Schmidt vom Praxiszentrum Meinradsberg in Einsiedeln, sagt: «Viele Fachleute übertreiben mit der Gefahr des Cholesterins.»
Und auch für Gebbers ist klar: «Cholesterin im Essen in einem normalen Mass macht nicht krank.» Schliesslich braucht der Körper Cholesterin für den Aufbau der Zellstrukturen und Hormone. Und nur wenig davon nimmt er über die Nahrung auf. Den überwiegenden Teil produziert der Körper selber.
Von der Hysterie profitiert vor allem die Pharmaindustrie: Immer mehr der teuren Cholesterin senkenden Medikamente kommen auf den Markt: die Statine. Seit 1998 hat sich ihr Umsatz bereits verdoppelt. Denn jeder Dritte in der Schweiz soll laut einer Westschweizer Studie aus dem Jahr 1992 einen zu hohen Cholesterinspiegel haben. Die Studie stützt sich allerdings auf einen umstrittenen Grenzwert des Cholesterins im Blut. Zudem: Je älter man wird,
desto mehr steigt das Cholesterin im Blut an - das ist ganz normal. Gemäss der Studie hätten gar zwei Drittel der Frauen über 65 Jahre ein zu hohes Blutcholesterin.
Kein Wunder, haben die meisten Pharma-Grosskonzerne eigene Präparate in der Schweiz eingeführt:
- Zocor (Merck, Sharp & Dome)
- Mevalotin (Sankyo)
- Selipran (Bristol Myers Squibb)
- Lescol (Novartis)
- Sortis (Pfizer).
Unbestritten ist: Statine wirken. Bei Herzinfarkt-Patienten senken sie das Risiko, einen zweiten Herzanfall zu bekommen. Zudem können sie auch bei Hochrisiko-Patienten den Herzinfarkt verhindern. Das sind zum Beispiel Patienten mit familiärer Veranlagung, mit Diabetes oder einem erhöhten Blutdruck sowie Raucher.
Doch viele Ärzte verschreiben Statine vorsorglich auch gesunden Menschen. Oft reicht ein erhöhter Cholesterinspiegel - auch wenn die Patienten keine weiteren Risiken haben. Die Ärzte können sich dabei auf die Empfehlungen einer Arbeitsgruppe der Schweizer Herzspezialisten stützen.
Doch am zunehmend flächendeckenden und präventiven Einsatz von Statinen wird jetzt Kritik laut. Felix Huber, Leiter der Zürcher Medix-Praxis, kritisiert: «In der Schweiz empfehlen Ärzte viel früher die teuren Statine als ihre Berufskollegen in vielen europäischen Ländern.»
Auch für den Epidemiologen Johannes G. Schmidt ist ein erhöhter Cholesterinspiegel allein kein Grund für eine Behandlung. Ein erhöhtes Blut-Cholesterin bewirkt nur ein geringfügig grösseres Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden - sofern man keine weiteren Risikofaktoren hat (siehe Grafik). Schmidt: «Cholesterinsenker haben deshalb keinen greifbaren Nutzen.» Bereits die Bestimmung des Cholesterinspiegels bringe mehr Nach- als Vorteile: «Die unnötige Diagnose eines Risikos erhöht das Krankheitsgefühl und kann zu Depressionen führen. Das ist gut belegt.»
Wenn aber Patienten zusätzlich rauchen, einen hohen Blutdruck, Diabetes oder Störungen der Herzdurchblutung haben, dann kann auch das Herzinfarkt-Risiko stark ansteigen. So stark, dass laut Schmidt Cholesterin senkende Medikamente auch bei Patienten mit einem normalen Cholesterinspiegel Sinn machen können. Dies hat auch eine der massgeblichen Studien aus dem englischen Framingham bestätigt. Fazit von Schmidt: «Bei einem hohen Infarkt-Risiko bringt das Senken des Cholesterins viel. Ein hohes Cholesterin bei einem kleinen Gesamtrisiko zu senken, bringt hingegen wenig.»
Der Zürcher Arzt und Puls-Tipp-Berater Giovanni Ruffo empfiehlt deshalb seinen Patienten mit hohen Cholesterinwerten zuerst, den Lebensstil zu ändern: «Patienten sollten Statine erst dann einnehmen, wenn ihre Bemühungen nichts fruchten.»
Folgende Gewohnheiten können das Herzinfarkt-Risiko senken:
- Essen wie im Mittelmeerraum.
So kommt man zu genügend Schutzstoffen wie Antioxidantien und einfach gesättigten Fettsäuren. Diese bremsen das Verkalken und damit den gefährlichen Verschluss der Gefässe. Das heisst: weniger tierisches Fett, weniger Wurst und Fleisch, dafür viel Getreideprodukte, Obst und Gemüse, Fisch, Olivenöl und Kräuter, ein Glas Rotwein pro Tag.
- Regelmässige Bewegung.
- Nicht rauchen.
- Leben mit möglichst wenig Stress.
Informationen im Internet
- Richtlinien für Cholesterin-Medikamente der Medix-Ärzte Zürich: www.medix-aerzte.ch/guidelines/
Hypercholisterinaemie.htm
- Ernährung bei hohem Cholesterinspiegel: www.
dr-walser.ch/cholesterin.htm