Die Nichtraucher leiden - das Gesetz lässt sie im Qualm stehen
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K-Tipp 8/2001
25.04.2001
Rauchbelästigung am Arbeitsplatz: Mit dem Vollzug des Arbeitsgesetzes hapert es
Viele Nichtraucher sehen ihre Gesundheit durch Raucher am Arbeitsplatz gefährdet. Der K-Tipp sagt Ihnen, welche Möglichkeiten Sie haben, sich zu wehren.
Pirmin Schilliger redaktion@ktipp.ch
Warum wird die Gesundheit von Nichtrauchern in der Schweiz nicht besser geschützt?», schreibt Renate Anderegg (33) aus Bern in einem offenen Brief an Thomas Zeltner, Direktor des B...
Rauchbelästigung am Arbeitsplatz: Mit dem Vollzug des Arbeitsgesetzes hapert es
Viele Nichtraucher sehen ihre Gesundheit durch Raucher am Arbeitsplatz gefährdet. Der K-Tipp sagt Ihnen, welche Möglichkeiten Sie haben, sich zu wehren.
Pirmin Schilliger redaktion@ktipp.ch
Warum wird die Gesundheit von Nichtrauchern in der Schweiz nicht besser geschützt?», schreibt Renate Anderegg (33) aus Bern in einem offenen Brief an Thomas Zeltner, Direktor des Bundesamtes für Gesundheit (BAG), und bittet ihn verzweifelt um Hilfe.
Sechs Jahre arbeitete Anderegg in der Gastronomie. Dann musste sie krankheitshalber die Branche wechseln. Die Frau hatte schwere gesundheitliche Probleme mit ihren Bronchien bekommen - nicht zuletzt eine Folge des jahrelangen Passivrauchens im Restaurant, wie ihr Arzt, der Lungenspezialist Severin Weiss, meint.
Um ihre angeschlagene Gesundheit nicht weiter aufs Spiel zu setzen, suchte Anderegg eine völlig rauchfreie Arbeitsstelle. Zwar fand sie verschiedene Betriebe, in denen am Arbeitsplatz selber das Rauchen verboten war. Aber dieser Schutz genügte nicht: Wenn aus Cafeteria oder Kantine durch Ritzen und Türen Rauch an ihren Arbeitstisch drang, wurde sie wieder krank. Dreimal musste sie aus diesem Grund wieder eine neue Stelle suchen.
Inzwischen hat Anderegg, die ursprünglich das KV absolvierte, die Hoffnung aufgegeben, in einem Büro oder in der Gastronomie etwas Passendes zu finden. Sie lässt sich jetzt zur Wellness-Trainerin ausbilden. Sie glaubt, so ihre Chancen auf eine rauchfreie Arbeitsstelle verbessern zu können.
Aus Verzweiflung an den BAG-Direktor abgeschickte Bittbriefe wären nicht nötig, wenn das Arbeitsgesetz eingehalten würde. Gemäss Verordnung 3 muss nämlich der Arbeitgeber seit 1993 «im Rahmen seiner betrieblichen Möglichkeiten die Gesundheit der Nichtraucherinnen und Nichtraucher schützen».
«Der Ausdruck ?betriebliche Möglichkeiten? ist leider elastisch», bemängelt Matthias Meyer von der Schweizerischen Fachstelle für Alkohol- und andere Suchtprobleme (SFA) in Lausanne.
Chefs appellieren bei beiden Seiten an Toleranz
Wenn ein Gesetz solche Gummi-Regelungen enthält, liegen Konflikte auf der Hand. «Wir gehen vom Grundsatz aus, dass sich Nichtraucher und Raucher arrangieren sollten», betont Patrick Vuillème, zuständig für Tabakfragen beim BAG.
Das ist leichter gesagt als getan. In einem Viertel aller Betriebe in der Schweiz ist das Thema Rauchen umstritten. Meistens versuchen die Vorgesetzten, an die Vernunft der Beteiligten zu appellieren: an die Raucher, Rücksicht zu nehmen, an die Nichtraucher, toleranter zu sein.
Erst, wenn keine Einigung zu Stande komme, heisst es beim BAG, müsse der Arbeitgeber ein Rauchverbot verhängen. Doch damit tun sich viele Vorgesetzte schwer. «Sie scheuen sich, die Freiheit ihrer Mitarbeiter einzuschränken», so Vuillème.
Wie es um das Rauchen in den Betrieben tatsächlich bestellt ist, hat Hanspeter Conrad von der Meteor Arbeitsgestaltung und Organisationsberatung AG in Winterthur untersucht. 90 Prozent der befragten Firmen kennen inzwischen verbindliche Einschränkungen für das Rauchen. Das entspricht im Vergleich zu einer Studie im Jahre 1995 zwar einer Zunahme von 30 Prozent. Knapp zwei Drittel der Firmen haben gar ein Rauchverbot in Mehrpersonenbüros und Sitzungszimmern. Aber spezifische Nichtraucherzonen in Kantinen, Pausen- und Empfangsräumen gibt es erst in gut 40 Prozent der Betriebe. «Die Umsetzung der Vorschriften hängt häufig davon ab, ob der Chef selber raucht», bedauert Conrad.
Spezielles Zimmer und Container für Raucher
Am striktesten sind die Vorschriften bisher in Firmen mit Grossraumbüros umgesetzt worden. Beispiele:
- Im Sunrise-Callcenter in Biel darf nicht einmal auf der Toilette geraucht werden. Dafür bietet der Konzern ein spezielles Raucherzimmer.
- Gnadenlos mit Rauchern verfährt die Consulting-Firma PricewaterhouseCoopers. Sie weist ihre Mitarbeiter in Zürich-Oerlikon aus dem Open-Space-Büro ins Freie. Vor dem Gebäude steht ein ungeheizter Raucher-Container, der immerhin mit Getränke- und Sandwichautomaten bestückt ist.
- Bei der UBS ist das Rauchen nur in den Einzelbüros und in den Empfangsräumen für die Kunden gestattet.
«Das Problem für die Nichtraucher stellt sich vor allem in kleinen Betrieben», beobachtet Verena El Fehri von der Arbeitsgemeinschaft Tabakprävention (AT). Dort fehle zumeist der notwendige Platz, um klar getrennte Raucher- und Nichtraucherzonen einzurichten. In gewissen Branchen sei das Problem auch kaum lösbar - wie etwa in der Gastronomie: «Beizen sind katastrophale Arbeitsplätze für Nichtraucher», sagt El Fehri. Um den Vollzug der gesetzlichen Bestimmungen zu verbessern, fordert sie systematische Betriebsüberprüfungen. «Sonst bleibt die Verordnung 3 letztlich ein Papiertiger.»
Das BAG weigert sich aber, Polizist zu spielen: «Wir wollen die Betriebe nicht kontrollieren. Die einzelnen Leute müssen selber entscheiden, ob sie den Rauch ertragen wollen oder nicht», meint Vuillème. Statt auf Vollzug und Kontrollen setzt das BAG lieber auf Werbespots und teure PR-Kampagnen. Viele Worte also, aber kaum Taten.
Kein Wunder, dass zwei US-Mediziner, die kürzlich im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation (WHO) einen Bericht über den Schutz von Nichtrauchern verfasst haben, der Schweiz schlechte Noten geben. Zentraler Punkt ihrer Kritik: Die Gesetze hätten in der Praxis wenig bewirkt, um die Nichtraucher vor den toxischen Substanzen im Rauch zu schützen.
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Wo Betroffene Hilfe finden
Kann ich vom Chef oder von Mitarbeitern verlangen, dass sie im gemeinsamen Büro nicht mehr rauchen? Ja. Die Verordnung 3 zum Arbeitsgesetz spricht hier eine deutliche Sprache.
Allerdings sei es im Falle eines Konfliktes für den Einzelnen schwierig, sich gegen den Arbeitgeber durchzusetzen, räumt Verena El Fehri von der Arbeitsgemeinschaft Tabakprävention (AT) ein. Ihre Empfehlung: «Sprechen Sie mit Ihrem Arbeitgeber! Weisen Sie ihn auf die Mängel hin und machen Sie Verbesserungsvorschläge! Schliessen Sie sich mit anderen Betroffenen zusammen! Im Weiteren empfiehlt es sich, eine der zahlreichen Fachstellen zu kontaktieren. Diese bieten den geplagten Passivrauchern am Arbeitsplatz Beratung und Unterstützung.»
Nützliche Adressen und Broschüren
- Arbeitsgemeinschaft Tabakprävention Schweiz (AT), Tel. 031 389 92 46, www.at-schweiz.ch
- Lungenliga Schweiz, Tel. 031 378 20 50, www.lung.ch
- pro aere; Tel. 01 215 12 40, www.proaere.ch
- Züri Rauchfrei; Tel. 01 262 69 66
- «Rauchfreie Arbeitsplätze» - diese Broschüre von BAG, seco und AT können Sie bei der AT bestellen oder unter www.at-schweiz.ch herunterladen.
- Die Broschüre «Gesund im Büro - damit Arbeit nicht krank macht» des Kaufmännischen Verbandes ist erhältlich unter Tel. 01 283 45 45.
Merkblätter und Informationen - Auch Lärm ist ein Gesundheitsrisiko
In modernen Grossraumbüros herrscht zwar in der Regel striktes Rauchverbot. Das zentrale Problem ist aber oft der Lärm. Laut einer Studie des seco (Staatssekretariat für Wirtschaft) ist der permanente Geräuschpegel die Hauptquelle für gesundheitlichen Stress: Lärmgestresste können sich schlecht konzentrieren und leisten weniger. Zudem klagen sie über Nervosität, Reizbarkeit und Schlafstörungen.
Das Arbeitsgesetz bietet kaum wirksamen Schutz oder Hilfe. Die Verordnung 3 formuliert im Artikel 22 lapidar: «Lärm und Erschütterungen sind am Arbeitsplatz zu vermeiden.» Die Suva hat zwar den Grenzwert für gehörschädigenden Lärm auf 85 Dezibel festgelegt. Aber wo erhalten Lärmopfer Hilfe? Arbeitsmediziner Ulrich Schwaninger vom seco empfiehlt Betroffenen, sich an die Betriebskommission oder an den Arbeitgeber zu wenden. Ergreifen Kommission oder Chef keine Massnahmen, bleibt nur der Gang zum kantonalen Arbeitsinspektorat. Betriebe, die den Lärmschutz vernachlässigen, müssen dann mit einem Besuch der Beamten rechnen.
Auskunft und Merkblätter bezüglich Nichtraucher- und Lärmschutz am Arbeitsplatz:
- Suva, Postfach, Fluhmattstr. 1, 6002 Luzern, Tel. 0848 830 830, Fax 0848 830 831 (www.suva.ch)
- Seco, Abt. Arbeitnehmerschutz, Gurtengasse 3, 3003 Bern, Tel. 031 322 27 47, Fax 031 322 78 31 (www.seco.admin.ch)
- Kantonale Arbeitsinspektorate: siehe Telefonbuch