Die Pleite an der Tankstelle
Die Betreiber der Coop-Pronto-Shops sind formell Selbständigerwerbende. Doch die Coop Mineralöl AG diktiert so harte Bedingungen, dass viele auf keinen grünen Zweig kommen.
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K-Tipp 08/2009
19.04.2009
Letzte Aktualisierung:
21.04.2009
Bernhard Raos
Er hat bis zu 60 Stunden pro Woche gearbeitet, kaum Ferien gemacht – und doch hat sich sein Einsatz nicht gelohnt: Urs Wullschleger hatte in Wolhusen LU einen Pronto-Shop mit Tankstelle gepachtet. Nach knapp fünf Jahren gab er letzten Sommer frustriert auf – mit einem Verlust von 24’000 Franken.
Die Pronto-Shops mit Tankstelle gehören der Coop Mineralöl AG. Gemäss ihrem Chef, Roger Oser, dürfte es solche Pleiten gar nicht geben. «Wir...
Er hat bis zu 60 Stunden pro Woche gearbeitet, kaum Ferien gemacht – und doch hat sich sein Einsatz nicht gelohnt: Urs Wullschleger hatte in Wolhusen LU einen Pronto-Shop mit Tankstelle gepachtet. Nach knapp fünf Jahren gab er letzten Sommer frustriert auf – mit einem Verlust von 24’000 Franken.
Die Pronto-Shops mit Tankstelle gehören der Coop Mineralöl AG. Gemäss ihrem Chef, Roger Oser, dürfte es solche Pleiten gar nicht geben. «Wir stellen unseren Shop-Unternehmern ein Konzept zur Verfügung, damit sie bei sorgfältiger Führung ein florierendes Geschäft betreiben können.» Doch vor dem versprochenen Florieren kommt für die Shop-Betreiber das Investieren. Wer einen Franchisevertrag für einen Pronto-Shop unterzeichnet, muss eine GmbH gründen und dafür 45'000 Franken einbringen. 5000 Franken gibt die Coop Mineralöl AG dazu. Weitere 50'000 bis 70'000 Franken bezahlt der Shop-Pächter für die Erstanschaffung der Verkaufswaren.
«Eigentlich bin ich ein Angestellter»
Aus der erhofften sicheren Existenz wird deshalb oft nichts. Dem K-Tipp liegen die Unterlagen von mehreren ehemaligen Pronto-Franchisenehmern vor, die ebenfalls hohe Verluste beklagen und Konkurs anmelden mussten. Roger Oser spricht von «wenigen Ausnahmefällen, in denen es zu einem Teilverlust des eingesetzten Kapitals» gekommen sei.
Konkrete Zahlen liefert das Handelsamtsblatt: Alle Shop-GmbHs haben ihre Domiziladresse in Luzern. Dort sind im Kantonsblatt allein für die ersten drei Monate 2009 elf Konkursverfahren publiziert. In der zweiten Jahreshälfte 2008 waren es zehn Verfahren. Ende 2008 gab es in der Schweiz 208 Pronto-Shops, davon 164 mit und 44 ohne Tankstelle. Viele Shop-Betreiber reden von Knebelverträgen, weil alles bis ins Detail diktiert ist: der Lohn des Shop-Unternehmers, die Angestelltenlöhne, die Öffnungszeiten, die Kleidung der Mitarbeiter, die Preise im Laden, das Sortiment, die Lieferanten, die Versicherungen, die Buchhaltungsfirma, die Warenpräsentation, der umsatzabhängige Mietzins und die Marge pro Liter Benzin.
«Der unternehmerische Spielraum ist gleich null. Eigentlich bin ich ein Angestellter der Coop Mineralöl AG», sagt ein Ostschweizer Franchisenehmer. Er hat gekündigt, hofft aber, wenigstens ohne Verlust aussteigen zu können. «Das Gängelband wird immer kürzer», klagt ein weiterer Shop-Pächter, der ebenfalls anonym bleiben möchte. Er gibt nach zehn Jahren auf und ist total desillusioniert: «Ich arbeite mehr und verdiene weniger.»
400’000 Franken Pachtzins jährlich
Zu Beginn zahlte er einen fixen Pachtzins und verdiente mit Gewinnbeteiligung rund 140’000 Franken pro Jahr. Dann wurde der Pachtzins umsatzabhängig, und er muss nicht mehr 40’000 Franken, sondern mittlerweile über 400'000 Franken Pachtzins an Coop abliefern. Trotz sechs Arbeitstagen pro Woche und bis zu 13 Stunden täglicher Präsenz sei kein Gewinn mehr möglich. Sein Einkommen sei auf den Standardlohn von monatlich rund 6500 Franken gesunken, klagt der Mann: «Viele Shop-Unternehmer können sich nur über Wasser halten, weil die Familie fast gratis mitarbeitet.» In der Tat: Zurzeit sucht die Coop Mineralöl AG per Inserat für den Raum Basel eine(n) «Shop-Unternehmer/in 100 % mit Grossfamilie». Im Text heisst es: «Ihre Kinder ab 16 Jahre und/oder Ihre Eltern wollen im eigenen Betrieb mitarbeiten.»
Für Chef Oser hat dies nichts mit Lohndumping zu tun, sondern entspreche den Einkaufsbedürfnissen der Bevölkerung: «In der Stadt Basel sind erweiterte Ladenöffnungszeiten leider nur als Familienbetrieb möglich.» So lässt sich das auch drehen.