Elektrosmog Geplagte Anwohner einer Starkstromleitung führen seit Jahren einen Kampf gegen die Energie Ouest Suisse - bisher vergeblich
Sie sind krank, können nicht mehr arbeiten und sind finanziell ruiniert. J. F. (Name der Redaktion bekannt) und Jean Szilasi glauben den Grund zu kennen: Elektrosmog der Starkstromleitung, die ihre Grundstücke tangiert.
Pia Seiler pseiler@ktipp.ch
Das Haus stammt aus dem 17. Jahrhundert und der Blick auf den Genfersee ist traumhaft. Doch das liebevoll restaurierte Refugium ob Montreux ist für Besitzerin J. F. zum Albtraum geworden: In 16 Meter Distanz verläuft eine Starkstromleitung, und seit die Spannung vor zweieinhalb Jahren fast verdoppelt wurde, ist J. F.' Gesundheit ruiniert.
Sie kann nicht mehr schlafen, ist oft erschöpft, ihre Glieder schmerzen, ihre Nerven sind angegriffen. «Es ist unerträglich», sagt die 56-Jährige. «Wenns ganz schlimm wird, juckt und sticht es unter der Haut; mein Hund beginnt zu jaulen, meine Katze verlässt das Haus.» Am meisten aber leidet J. F. unter dem Tinnitus, «dieser schreckliche, spitze, metallische Ton im Ohr. Das sprengt den Kopf.»
Sie kann den Beginn dieser Erkrankung datieren: Montag, 7. September 1998. Der Tag, an dem die Energie Ouest Suisse (EOS) die Spannung von 220 auf 380 Kilovolt erhöht hat, stellt sich später heraus.
Nachbarin Brigitte Baetz wiederum hält das zeitweilige Brummen der Starkstromleitung nicht mehr aus, «dieser infernale Lärm, der direkt auf die Nerven wirkt und mir die Sinne raubt».
30 Kilometer weiter, in St-Maurice, wohnen Jean und Leila Szilasi. Auch sie klagen über Schlaflosigkeit, schmerzende Glieder, unerträgliches Kopfweh - und auch sie leben neben der Hochspannungsleitung der EOS. In 40 Meter Entfernung zur «Strom-Autobahn», die vom Kraftwerk Cleuson-Dixence im Wallis über Lausanne nach Frankreich führt.
Aus einem Verdacht wird Gewissheit
Seit die EOS die Spannung erhöht hat, um mehr Strom zu transportieren, hat Jean Szilasi epileptische Anfälle. Seine Frau Leila verliert die Zähne. «Erst werden sie schwarz, dann löchrig, dann fallen sie aus», sagt sie.
Einige dieser Symptome entwickeln sich schleichend, und lange hatten die Betroffenen zwar den Verdacht, nicht aber die Gewissheit, dass Elektrosmog Ursache dafür ist.
Bis Anfang Dezember 1998: Unabhängig voneinander berichten F. und Szilasi, wie Glühbirnen, Mixer, Computer, Fernseher kaputt- gingen. «Das Brummen in der Leitung war so intensiv, dass ich mehrmals am Tag in Ohnmacht fiel», sagt J. F.
Ihr Gesundheitszustand besserte sich nicht. Zudem konnte die selbständige Grafikerin im Multimedia-Bereich ihren Computer nicht mehr gebrauchen - sie verlor alle Aufträge. Auch der Bewohner der zweiten Wohnung im Haus beklagte sich über gesundheitliche Probleme und zog aus. F. intervenierte bei der EOS, bis schliesslich EOS-Direktor Pierre Desponds und Bereichsleiter Pierre Dallèves ihr Haus im April 1999 inspizierten. J. F. hat das Gespräch aufgezeichnet. «Wir sind sicher, dass Sie wirklich daran leiden (am Elektrosmog der Hochspannungsleitung, Red.). Wir zweifeln das nicht an», sagte Dallèves zu F., und weiter: «Das Problem jedoch sind die Kosten. Wenn man es objektiv anerkennt, dass wir im Unrecht sind, werden wir über eine Entschädigung sprechen können.»
Als Sofortmassnahme bezahlte die EOS Arbeitsausfall für vier Monate und Notwohnung für sechs Monate; zudem einen Schutz für den Computer, der allerdings nichts nützt.
«Diese Leistungen sind von uns völlig freiwillig erbracht worden», hält die EOS dazu fest. «Und zwar ausdrücklich ohne Anerkennung irgendeiner Schuld unsererseits.»
EOS ignoriert hartnäckig Gefahr für die Gesundheit
Es sollte die einzige Hilfe bleiben. All die folgenden, schriftlichen Hilferufe von J. F. an die EOS blieben ungehört, ebenso die Forderungen der Familie Szilasi.
Auch Brigitte Baetz und zwei weitere Nachbarn blitzten ab. «Die EOS nimmt uns nicht ernst», sagt Baetz. «Wir sind Optiker und können doch auch nicht einfach zu starke Brillengläser einsetzen und den Kunden wegschicken, wenn er reklamiert.»
Die entscheidende Frage dabei: Was ist «objektives Unrecht»? Wissenschaftlich seien gesundheitliche Auswirkungen von Elektrosmog nicht bewiesen, erwähnt die EOS bei jeder Gelegenheit. In einem Prospekt vom letzten Jahr zu Starkstromleitungen und elektromagnetischen Feldern behauptet die EOS sogar: «Es gibt keine reale Gefahr für die Volksgesundheit.»
Doch schon 1979 schlugen Forscher in den USA Alarm und warnten vor Hochspannungsleitungen. Seither sind zahlreiche Studien erschienen, die einen Zusammenhang zwischen den Leitungen und Leukämie herstellen.
Die EOS ignoriert solche Berichte. In einer internen Information von 1996 hält das Elektrizitätswerk fest: «Es wäre sinnvoller, die Geldmittel dieser Forschung für andere Probleme einzusetzen - zur Erforschung von anerkannten Ursachen von Krebs zum Beispiel oder für relevantere Gesundheitsprobleme wie Aids und Drogen.»
Die neuste Untersuchung stammt von den Medizinern Jörg Michaelis und Joachim Schüz. Ihr Resultat nach 1800 Messungen in Berlin und Niedersachsen: Kinder sind einem dreimal höheren Leukämie-Risiko ausgesetzt, wenn sie während der Nacht von Magnetfeldern ab 0,2 Mikrotesla Stärke umgeben sind. Beträgt das Magnetfeld mehr als 0,4 Mikrotesla, ist das Leukämie-Risiko fünfmal grösser.
Zum Vergleich: Das Starkstrom-Inspektorat hat im Haus von F. 2,8 Mikrotesla gemessen. Zu jenem Zeitpunkt aber betrug die Leistung der Starkstromleitung lediglich ein Drittel der Maximalkapazität. Bei voller Auslastung der Leitung ergibt das ein Magnetfeld von rund 9 Mikrotesla.
Bei Szilasis kam das Inspektorat auf 0,5 Mikrotesla bei der einen Messung. Jean Szilasi aber misst regelmässig bis zu 3 Mikrotesla. Und mehrere Male hat Szilasis Gerät gar nicht mehr angezeigt - so stark waren die Magnetfelder.
Doch die neue Bundes-Verordnung - die Verordnung über den Schutz vor nichtionisierender Strahlung Nis - lässt Betroffene im Stich. Für bestehende Hochspannungsleitungen gelten lasche Vorschriften. Nur für neue Anlagen sind Grenzwerte vorgesehen: Im bewohnten Gebiet beträgt der Vorsorgewert 1 Mikrotesla.
Alte Anlagen aber müssen bei Überschreitungen lediglich «phasenoptimiert» werden. Diese Optimierung sei im Fall F./Baetz abgeschlossen und im Fall Szilasi in Gang, schreibt die EOS und fügt an: «Nach Nis-Verordnung haben wir drei Jahre Zeit dafür ab In-Kraft-Treten.»
Jürg Baumann, Sektionschef im Bundesamt für Umwelt (Buwal), verhehlt nicht, in einem Dilemma zu stecken. «Unser Auftrag ist es, Menschen zu schützen. Wenn aber die Vorschriften der Nis-Verordnung eingehalten werden, sind uns im Einzelfall die Hände gebunden.»
Die Nis-Verordnung sei halt «Ergebnis einer politischen Ausmarchung mit weit auseinander liegenden Standpunkten», so Baumann: «Auf der einen Seite die Stromwirtschaft, die auf möglichst liberale Rahmenbedingungen pochte. Auf der anderen Seite Umweltverbände, die strengere Bestimmungen forderten - und unterlagen.»
F. und Szilasi aber wollen nicht unterliegen. Mittlerweile ist der Kampf gegen die EOS zu einer existenziellen Frage geworden. Oft schläft F. im Wald unter einer Plastikblache, weil sie es im Haus nicht mehr aushält. Auch die Familie Szilasi steht vor dem finanziellen Ruin.
Sie sind krank, sie können nicht mehr arbeiten, und ihre Häuser haben auf dem Immobilienmarkt massiv an Wert verloren. Doch zu welchem Preis auch immer - J. F. will ihr Haus weder verkaufen noch vermieten. Bis anhin hatte sie zwar einige Interessenten. «Wie aber kann ich ein solches Haus einer schwangeren Frau, einer Familie mit kleinen Kindern übergeben. Mein Gewissen lässt das nicht zu», sagt J. F.
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KLÄGER-POOL - Betroffene sind gemeinsam stärker
Der Hausverein rät Hausbesitzern, die unter Elektrosmog leiden, sich zu einem Pool von Klägern zusammenzuschliessen.
Jean Szilasi wehrt sich seit vier Jahren gegen die Starkstromleitung der EOS, die sein Grundstück tangiert. Er erhob Einspruch gegen die Spannungserhöhung auf 380 Kilovolt, gegen die Linienführung, er forderte Schadenersatz und durchlief alle Instanzen - bisher ohne Erfolg. Das Bundesgericht wies die Klage im November 1999 ab. Begründung: Die Nis-Verordnung sei eingehalten.
Rechtsanwalt Jacques Philippoz, der auch J. F. und Brigitte Baetz vertritt, greift nun zum letzten Mittel, dem Enteignungsverfahren. Philippoz fordert von der EOS, Szilasis Grundstück zu einem valablen Preis zu kaufen oder aber die Wertverminderung zu bezahlen. Wenn keine Einigung erfolgt, kommt der Fall erneut vors Bundesgericht.
Stefan Hartmann vom Hausverein Schweiz wartet schon lange auf ein solches Grundsatz-Urteil. Er rät betroffenen Hausbesitzern sich zusammenzutun und einen Pool von Klägern zu gründen. «Denn solche Verfahren sind kostspielig und brauchen einen langen Atem.»
Hier erhalten Sie Hilfe
- Das Bundesamt für Gesundheit führt eine Erhebung durch über Beschwerden im Zusammenhang mit elektromagnetischen Feldern.
- Fragebogen beim Bundesamt für Gesundheit, Strahlenschutz, 3003 Bern, Tel. 031 323 02 54.
- Für Messungen und Abschirmungen: Institut für biologische Elektrotechnik IBES. Das Institut sammelt ebenfalls solche Beschwerden; 900 Fragebogen sind bereits eingegangen. Weitere Informationen: Steinacherstr. 4, 8308 Illnau, Tel. 0844 844 444, Internet: www.ibes.ch