«Es wäre falsch, den Konsumenten-Organisationen zu viel Geld zu geben»
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K-Tipp 11/2001
06.06.2001
20 Jahre Konsumentenschutz in der Verfassung Bundesrat Pascal Couchepin spricht Klartext
«Konsumentenschutz ist primär Sache der Konsumenten.» Das sind ernüchternde Worte. Sie stammen vom Hauptverantwortlichen für Konsumentenbelange beim Bund, Volkswirtschaftsminister Pascal Couchepin.
K-Tipp: Sie gelten als überzeugter Verfechter einer liberalen Marktwirtschaft. Wie wollen Sie sicherstellen, dass die Interessen der Konsumenten in den immer freieren Märkten ...
20 Jahre Konsumentenschutz in der Verfassung Bundesrat Pascal Couchepin spricht Klartext
«Konsumentenschutz ist primär Sache der Konsumenten.» Das sind ernüchternde Worte. Sie stammen vom Hauptverantwortlichen für Konsumentenbelange beim Bund, Volkswirtschaftsminister Pascal Couchepin.
K-Tipp: Sie gelten als überzeugter Verfechter einer liberalen Marktwirtschaft. Wie wollen Sie sicherstellen, dass die Interessen der Konsumenten in den immer freieren Märkten nicht unter die Räder kommen? Pascal Couchepin: Ich bin überzeugt: Ein freier Markt bietet den Konsumentinnen und Konsumenten am meisten Schutz. Die Bekämpfung der Kartelle zum Beispiel, die wir noch verstärken müssen, ist eigentlicher Konsumentenschutz. Natürlich brauchen wir auch die Konsumenten-Organisationen. Aber wir brauchen vor allem mehr Wettbewerb in der Schweiz, damit die Konsumenten möglichst oft wählen können.
Die Liberalisierung der Märkte zeitigt aber auch unerwünschte Folgen. Viele Anbieter verhalten sich keineswegs konsumentenfreundlich, und die Angebote werden immer unübersichtlicher, zum Beispiel beim Tarifdschungel im Telefonmarkt. Für mich ist dieser Markt gerade im Gegenteil ein gutes Beispiel dafür, dass die Konsumenten von der Liberalisierung profitieren. Die Preise sind generell gesunken. Natürlich gibts einen Dschungel - einen Dschungel an Angeboten, und das ist gut so. Oder wäre es Ihnen lieber, wenn es nur ein Angebot gäbe? Der Staat soll gewisse Regeln aufstellen, die dafür sorgen, dass die Produzenten die Konsumenten nicht täuschen können. Es braucht vor allem klare Vorschriften zur Produktedeklaration. Wenn der Konsument weitere Instrumente wie zum Beispiel Tests wünscht, die ihm bei der Auswahl helfen, erhält er diese bei der Fachpresse oder den Konsumenten-Organisationen. Der Staat kann und soll die Arbeit solcher Organisationen unterstützen, aber er soll da nicht zu weit gehen und für mehr Konsumentenschutz sorgen, als die Konsumenten selber wünschen.
Gerade die Konsumenten-Organisationen verlangen, dass der Bund seine Anstrengungen in Sachen Schutz und Information der Konsumentinnen und Konsumenten verstärkt.In einer demokratischen Gesellschaft entscheidet das Volk darüber, was es will. Und wenn die Leute nicht Mitglied in einer Konsumenten-Organisation sein wollen, dann mag man das bedauern. Es geht aber sicher nicht an, dass der Staat quasi als väterliche Instanz beginnt, Geld auszugeben, um die Leute gegen ihren Willen zu schützen. Eine gewisse Unterstützung der Organisationen ist berechtigt, weil sie wie gesagt vor allem mit Angebotsvergleichen und Produktetests eine wichtige Aufgabe übernehmen. Aber sie darüber hinaus finanziell zu unterstützen, obwohl der Bürger dies gar nicht wünscht, wäre falsch und unhaltbar.
Denken Sie denn, die Konsumenten-Organisationen seien letztlich nicht wichtig, nur weil ihre Mitgliederzahlen eher bescheiden sind? Ich bin selber Mitglied der Westschweizer «Fédération romande des consommateurs». Und es ist ja nicht so, dass der Bund diesen Organisationen gar nichts mehr bezahlen würde. Aber sie sollen auch den Beweis erbringen, dass sie die Unterstützung der Konsumenten haben. Bevor sie nicht mehr Mitglieder haben, können sie vom Bund auch nicht mehr Geld verlangen. Ich möchte durchaus auch ein wenig Druck auf die Konsumenten-Organisationen ausüben, damit sie mehr Mitglieder werben.
Im übrigen Europa denkt man da etwas anders: In Deutschland zum Beispiel bezahlt der Staat pro Kopf der Bevölkerung etwa siebenmal mehr an den Konsumentenschutz als in der Schweiz. Seit Bismarck weiss man, dass die Politik in Deutschland ein bisschen paternalistisch ist.
Aber auch Frankreich leistet sich einen starken staatlich unterstützten Konsumentenschutz. Dort ist die Politik traditionellerweise etwas etatistisch. In der Schweiz ist sie wirklich demokratisch: Das Volk entscheidet - auch beim Konsumentenschutz.
Ihrer Ansicht nach ist es also falsch, wenn die Konsumenten-Organisationen staatliche Unterstützung erhalten? Es wäre falsch, ihnen zu viel Geld zu geben.
Machen wir einen Vergleich: Die Konsumenten-Organisationen erhalten vom Bund jährlich zirka eine halbe Million Franken. Allein für eine Kampagne zur Förderung des Schweizer Rindfleisches dagegen zahlt der Bund von einem Tag auf den anderen rund zwei Millionen Franken. Da stimmt doch etwas nicht.Das kann man sich sicher fragen. Aber wir haben punkto Rindfleisch eine nüchterne Kostenanalyse gemacht und sind zum Schluss gekommen, dass es den Bund klar weniger kostet, diese zwei Millionen Franken auszugeben statt zusätzliche zehn Millionen zur Schadensbegrenzung an die Bauern zu zahlen. Ich räume jedoch ein, dass es sich bei diesen zwei Millionen Franken um eine eher unorthodoxe Massnahme gehandelt hat. Und sie ändert auch nichts daran, dass wir am Grundsatz der Liberalisierung festhalten - in der Landwirtschaft genau so wie in allen andern Wirtschaftsbereichen.
Tatsache bleibt: Es gibt viele Konsumenten, die allfällige Vorteile der Liberalisierung nicht nutzen können, weil sie dazu schlicht nicht in der Lage sind. Da hätte der Staat doch eine Schutzfunktion zu übernehmen. Das wäre eben genau eine paternalistische, also eine bevormundende Politik. Das will ich nicht. Sehen Sie: Liberalisierung ist Sache des Staates, solange es Monopole und Kartelle gibt; Konsumentenschutz ist primär Sache der Konsumenten. Im Übrigen ist es den Konsumenten-Organisationen ja unbenommen, ihrerseits Druck auf die Anbieter auszuüben, um zum Beispiel eine bessere Vergleichbarkeit der Angebote zu erreichen. Wenn diese Forderung in der Bevölkerung breit abgestützt ist, werden die Anbieter sehr schnell zu Konzessionen bereit sein.
Das heisst aber auch, Liberalisierung nützt nur den Cleveren, und die andern haben halt Pech gehabt; Bundesrat Couchepin jedenfalls will sie nicht schützen. Nein, das stimmt so nicht. Produzenten und Dienstleistungsunternehmen sollen Konsumenten nicht täuschen können, dafür setze ich mich ein. Ich wünsche mir auch starke, im Volk breit abgestützte Konsumenten-Organisationen. Und ich begrüsse es sehr, wenn sich die Medien für Konsumentenanliegen einsetzen und mithelfen, dass die Leute kritischer werden. Aber ich werde mich immer mit aller Kraft gegen eine Bevormundung der Bürger wehren.
Den Konsumenten-Organisationen wollen Sie trotz allem nicht mehr Geld geben?
Wir haben den Bundesbeitrag letztes Jahr um rund 100 000 Franken erhöht; das sind immerhin etwa 20 Prozent.
Zunächst aber hatten Sie vor zu kürzen. Das gehört zur Verhandlungstaktik.
Dann war das also Provokation? Nein, nein. Es ging darum, den Unterstützungsbeitrag nicht einfach festzulegen, sondern auszuhandeln.
Und wie stehts um das Büro für Konsumentenfragen, das in Ihrem Departement angesiedelt ist? Wie lange muss diese Stelle ihre Aufgaben noch mit lediglich fünf Leuten bewältigen? Gegenfrage: Wo hat das Büro denn bisher seine Aufgaben nicht richtig erfüllt?
Man könnte das Büro ja über seine bisherigen Aufgaben hinaus zu einer wichtigen Schaltstelle in der Verwaltung aufwerten, die Konsumentenfragen das nötige Gewicht gibt. Darüber kann man diskutieren. Und ein Stück weit übernimmt das Büro diese Aufgabe bereits. Wenn es nötig sein sollte, eine Person mehr einzustellen - gut. Ich werde aber sicher nicht den Personalbestand verdoppeln, um mir damit das Lob der Konsumenten-Organisationen zu sichern. Mehr Stellen gibts nur, wenn es die Sache wirklich erfordert.
So werden Sie kaum als Förderer des Konsumentenschutzes in die Geschichte eingehen. (lacht) Das ist schade. Aber im Ernst: Ich habe nicht den Anspruch, in die Geschichte einzugehen.
Richten wir den Blick nochmals nach Europa. Bei diversen konkreten Bestimmungen zum Schutz der Konsumenten ist die EU weit fortschrittlicher als die Schweiz. Sie kennt zum Beispiel eine Melde- und Informationspflicht bei Produktemängeln, die Schweiz nicht. Eine Arbeitsgruppe unter Leitung des Büros für Konsumentenfragen hat dazu einen Bericht erstellt. Darin kam sie zum Schluss, dass es nicht sinnvoll sei, diese EU-Richtlinie zu übernehmen. Aber ein Bericht über die allgemeine Sicherheit von Konsumprodukten steht noch aus; er dürfte Ende 2001 vorliegen. Dann wird man über Schritte in dieser Frage befinden. Die Schweiz könnte sich auch ans europäische Meldesystem Rapex anschliessen; da erwarte ich ebenfalls Vorschläge.
Ebenfalls mangelhaft ist aus Sicht der Schweizer Konsumenten die Herkunftsdeklaration der Lebensmittel: Sobald ein Produkt hier zu Lande veredelt wurde, gilt es als Schweizer Erzeugnis - egal, aus welchem Winkel der Welt das Rohmaterial stammt. Das grenzt an Täuschung. Das Wichtigste ist doch, dass die Qualität stimmt. Im Übrigen bestimmt die geltende Regelung, dass ein Produkt durch die Verarbeitung in der Schweiz mindestens 50 Prozent Mehrwert gewinnen muss, damit es als Schweizer Erzeugnis gelten darf.
Trifft das auch beim Bündnerfleisch zu? Fest steht, dass die Konsumenten wissen möchten, woher das Rindfleisch stammt. Zugegeben, Bündnerfleisch ist ein schwieriger Fall. Aber sollen wir dieses Produkt Ihrer Meinung nach denn als «argentinisches Bündnerfleisch» bezeichnen? Ich mache ein anderes Beispiel: Schokolade. Kakao baut die Schweiz keinen an. Pflanzliche Fette stellt sie ebenfalls kaum her. Der Zucker stammt teils aus der Schweiz, teils aus dem Ausland. Und die Milch ist ein einheimisches Erzeugnis. Wie soll man nun diese Schokolade bezeichnen? Als Elfenbeinküste-Schokolade, weil der Kakao-Anteil mengenmässig dominiert? Sie sehen, hier käme kaum jemand auf die Idee, das Wertschöpfungskriterium in Frage zu stellen. Abgesehen davon muss ich nicht nur an die Bedürfnisse der Konsumenten, sondern auch an jene der Produzenten denken.
Uns scheint, Ihr Herz schlage ohnehin eher für die Anbieter als für die Konsumenten. Also ich bin zuversichtlich, dass die Interessen der Konsumenten nicht zu kurz kommen. Es gibt ja auch noch eine freie Presse und unabhängige Organisationen. Wenn sich Verstösse gegen die bestehenden Regeln, zum Beispiel Fälle von Täuschung der Konsumenten ereignen, dann kommt das in der Regel rasch ans Licht.
Interview: Gery Schwager,
Ernst Meierhofer,
Pia Seiler
Seit 20 Jahren in der Verfassung
«Der Bund trifft Massnahmen zum Schutz der Konsumentinnen und Konsumenten.» So lautet, knapp und klar, Artikel 97, Absatz 1 der Bundesverfassung.
Am kommenden 14. Juni ist es exakt 20 Jahre her, seit Volk und Stände nach intensiver öffentlicher Debatte dem Konsumentenschutzartikel ihren Segen erteilt haben. Das Abstimmungsresultat von 1981 fiel mit 858 008 Ja- gegen 450 998 Nein-Stimmen deutlich aus. Die Befürworter unterlagen einzig in den Kantonen AI, OW, SZ und VS.
Von den Bundesratsparteien standen CVP, SP und SVP hinter der Vorlage. Nur die FDP gab damals die Nein-Parole aus. Insofern entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass mit Pascal Couchepin heute ausgerechnet ein FDP-Bundesrat an höchster Stelle für Einhaltung und Umsetzung des Konsumentenschutzartikels verantwortlich ist.
Zu Couchepins Volkswirtschaftsdepartement gehört nämlich das Büro für Konsumentenfragen. Die einzige Fachstelle der Bundesverwaltung in dieser Sache besteht aus einem kleinen Team mit nur gerade fünf Personen. Zuständig ist das Büro unter anderem für die Bewilligung der Bundesunterstützung an die Konsumenten-Organisationen, die sich zurzeit auf rund eine halbe Million Franken pro Jahr beläuft.
Der K-Tipp hat das 20-Jahr-Jubiläum des Verfassungsartikels zum Anlass genommen, Bundesrat Couchepin zum Konsumentenschutz auf den Zahn zu fühlen.