Fäkalbakterien im Weihwasser
Unappetitliches Weihwasser in Kirchen, Kapellen und Kathedralen: In Einsiedeln enthielt es Fäkalbakterien und 9000-mal mehr Keime als im Badewasser erlaubt.
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K-Tipp 18/2003
29.10.2003
Bernhard Matuschak - redaktion@ktipp.ch
Der Anblick ist wenig erbaulich. Im Weihwasserbecken der Klosterkirche von Mariastein SO schwimmen seltsame Flocken. Ein öliger Film überzieht das Nass, auf dem Grund des Steinbeckens liegen undefinierbare schwarze Klümpchen. Doch die Besucher des bekannten Marien-Wallfahrtsortes tunken ihre Finger unbeeindruckt ins Becken und bekreuzigen Stirn, Lippen und Brust.
Eine Stichprobe des K-Tipp in zehn stark frequentierten Kirchen und Kathedralen zeigt: Die Wässer sind zum Teil erh...
Der Anblick ist wenig erbaulich. Im Weihwasserbecken der Klosterkirche von Mariastein SO schwimmen seltsame Flocken. Ein öliger Film überzieht das Nass, auf dem Grund des Steinbeckens liegen undefinierbare schwarze Klümpchen. Doch die Besucher des bekannten Marien-Wallfahrtsortes tunken ihre Finger unbeeindruckt ins Becken und bekreuzigen Stirn, Lippen und Brust.
Eine Stichprobe des K-Tipp in zehn stark frequentierten Kirchen und Kathedralen zeigt: Die Wässer sind zum Teil erheblich mit Schmutzkeimen und Mikroorganismen belastet, dazu gesellen sich Hefen und Schimmelpilze. Die Keimzahlen überschreiten den für öffentliche Schwimmbäder festgelegten Toleranzwert um ein Vielfaches. Bis zu 9 Millionen Bakterien wurden in einem Milliliter Flüssigkeit entdeckt. Zum Vergleich: Wasser in Schwimmbädern darf nicht mehr als 1000 Keime pro Milliliter aufweisen (siehe Tabelle). Auch unter dem Mikroskop erwiesen sich die Proben als wenig anmächelig: Begeisselte Einzeller, bewimperte Algen oder Riesenbakterien tummeln sich im Weihwasserbecken.
Weihwasser-Wechsel: «Einmal im Jahr»
Zwar weisen die Testberichte der Bachema AG Analytische Laboratorien in Schlieren keine gesundheitsgefährdenden Krankheitserreger aus. Dennoch mahnen Experten wie Andreas Baumgartner vom Bundesamt für Gesundheit zur Vorsicht: «Die Keimbelastung ist vergleichbar mit derjenigen von Geld, das wir im Portemonnaie herumtragen.» Zudem sieht Baumgartner die Gefahr, dass infektiöse Bakterienstämme über Weihwasser weiterverbreitet werden. Der Mikrobiologe empfiehlt deshalb, das Wasser täglich zu wechseln und den Behälter gründlich zu reinigen.
Die Realität sieht jedoch anders aus. Laut Christoph Casetti, Domherr an der Kathedrale in Chur, werde das Weihwasser «normalerweise einmal im Jahr», am Gründonnerstag, gewechselt. «An diesem Tag vor Ostern wird das vorhandene Weihwasser ins Erdreich ausgeschüttet. Am Ostergottesdienst wird dann wieder neues Wasser geweiht», erläutert Casetti. Allerdings sollte, so der Domherr, Weihwasser früher gewechselt werden, wenn es verschmutzt ist. Der Augenschein aber zeigt: In der Schale der Seitenkapelle der Kathedrale schwappt eine trübe, gelblich-braune Brühe. Die Analyse ergibt eine Belastung von 8,2 Millionen Keimen pro Milliliter. Neben Schimmel- und Hefepilzen bevölkern auch viele grosse Bakterien und begeisselte Einzeller das Weihwasser.
Keiner der zehn getesteten Orte konnte die gesetzliche Badewasser-Norm erfüllen. Als am stärksten belastet erwies sich mit 9 Millionen Keimen pro Milliliter das Weihwasser im Kloster Einsiedeln. Das Becken vor der Kapelle der Schwarzen Madonna enthielt darüber hinaus Fäkalbakterien (Enterokokken). Im Kloster Einsiedeln zeigt man sich überrascht: «Unsere Sigristen wechseln das Weihwasser zwei- bis dreimal pro Woche aus», sagt der klösterliche Informationsbeauftragte Pater Othmar Lustenberger.
Eine tote Kellerassel im geweihten Nass
Am wenigsten Keime tummelten sich im Weihwasser im Kloster Disentis. Appetitlicher war das Weihwasser der Benediktiner aber keineswegs. Im Nass schwamm eine tote Kellerassel und unter dem Mikroskop wurden laut Labor «viele, sich schnell bewegende Einzeller mit Geisseln, Goldalgen und kleine Bakterien» sichtbar.
Immerhin: Im europäischen Vergleich können sich die Schweizer Kirchen durchaus behaupten. Spanische Mikrobiologen wiesen letztes Jahr im Weihwasser der römisch-katholischen Kirchen von Sevilla 30 für den Menschen giftige Keimarten nach. Auch eine Untersuchung der Universität München in bayrischen Kirchen erbrachte wenig Schmeichelhaftes: Von so genannten Belebtschlammflocken aus der Abwässerklärung über Rädertierchen bis hin zu furunkel- und abszessauslösenden Staphylokokken tummelten sich eine Vielzahl von Organismen und Krankheitserregern in den Becken.