Für Kündigung brauchts triftige Gründe
Schikanen am Arbeitsplatz, Lohnkürzungs- oder gar Kündigungsdrohungen: Manch ein Lehrbetrieb setzt seine Stifte gehörig unter Druck.
Inhalt
K-Tipp 9/2004
05.05.2004
Gery Schwager - gschwager@ktipp.ch
Lehrling M. K. ist empört und verunsichert. Sein Arbeitgeber, ein Telekom-Betrieb, habe gedroht, alle rund 80 Stifte zum kollektiven Urintest aufzubieten. Dies, weil einzelne in der Mittagspause beim Kiffen erwischt worden seien. Von der Rechtsbe-ratung des K-Tipp möchte M. K. nun wissen: «Bin ich verpflichtet, eine Urinprobe abzugeben?»
Die Antwort lautet: Nein. Urintests zur Feststellung allfälligen Drogenkonsums sind nur erlaubt, wenn die Sicherheit des Lehrlings oder Drit...
Lehrling M. K. ist empört und verunsichert. Sein Arbeitgeber, ein Telekom-Betrieb, habe gedroht, alle rund 80 Stifte zum kollektiven Urintest aufzubieten. Dies, weil einzelne in der Mittagspause beim Kiffen erwischt worden seien. Von der Rechtsbe-ratung des K-Tipp möchte M. K. nun wissen: «Bin ich verpflichtet, eine Urinprobe abzugeben?»
Die Antwort lautet: Nein. Urintests zur Feststellung allfälligen Drogenkonsums sind nur erlaubt, wenn die Sicherheit des Lehrlings oder Dritter akut gefährdet sein könnte - also zum Beispiel im Flug- oder Zugsverkehr, im Gerüstbau oder beim Umgang mit gefährlichen Stoffen. Und selbst in diesen Fällen brauchts die Einwilligung des Lehrlings.
Dass Arbeitgeber mit Massnahmen drohen, zu denen sie gar nicht berechtigt sind, ist leider keine Seltenheit. Bei der Rechtsberatung des K-Tipp melden sich immer wieder Stifte, die von solchen Vorkommnissen berichten.
Verboten: Zur Strafe eine Lohnkürzung
So wollte zum Beispiel ein Gewerbebetrieb seinen Lehrlingen den Lohn kürzen mit der Begründung, die Werkstatt sei nicht sauber aufgeräumt. Das ist unzulässig, denn der Lohn ist Bestandteil des Lehrvertrags, und dieser kann keinesfalls einseitig für eine Strafmassnahme abgeändert werden. Ausserdem sind Kollektivstrafen nicht erlaubt. Besonders gravierend sind Kündigungsdrohungen. Zwei Beispiele: Lehrling H. N. sollte seine Stelle verlieren, weil er angeblich zu oft krank sei. Und bei Stiftin D. G. behauptete die Lehrmeisterin, die Chemie stimme nicht.
Beide Begründungen sind unzureichend. Nach der Probezeit kann ein Lehrvertrag nämlich nur im gegenseitigen Einverständnis oder aus wichtigen Gründen vorzeitig aufgelöst werden (siehe auch Kasten). Solche Gründe sind zum Beispiel gegeben, wenn der Stift klaut, tätlich wird, seine Pflichten grob verletzt - etwa wiederholt unentschuldigt der Arbeit fernbleibt - oder eindeutig nicht über die für die gewählte Berufsausbildung notwendigen Voraussetzungen verfügt.
Berufsbildungsamt hilft bei Problemen
Ist umgekehrt der Lehrmeister nicht in der Lage, eine fachgerechte Ausbildung zu bieten, oder lässt er sich Verfehlungen wie grobes Auftreten oder gar sexuelle Belästigung zu Schulden kommen, kann auch der Stift beziehungsweise die Lehrfrau einen Schlussstrich ziehen.
Vor einer sofortigen Auflösung des Lehrvertrags muss umgehend das kantonale Berufsbildungsamt informiert werden. Es versucht, eine Verständigung herbeizuführen. Gelingt das nicht, wird das Lehrverhältnis abgebrochen, und das Amt hilft dem Lehrling bei der Suche nach einem neuen Lehrplatz.
Aber auch bei weniger gravierenden Differenzen können sich Lehrmeister und Lehrlinge ans kantonale Berufsbildungsamt wenden. Dieses ist nämlich nicht nur Aufsichtsinstanz, sondern auch Schlichtungsstelle.
Weiter hat das Amt eine Aufgabe, die gerade in Krisenzeiten bedeutsam ist: Es muss bei einer Betriebsschliessung nach Möglichkeit dafür sorgen, dass die betroffenen Stifte ihre Lehre ordnungsgemäss beenden können.
Rat für Lehrlinge
Eine Fülle an Tipps und Infos zur Berufslehre liefern diverse Schriften.
- «Deine Rechte in der Lehre», kostenlos erhältlich beim KV Schweiz (Fax 01 283 45 70, www. kvschweiz.ch).
- «Ich kenne meine Rechte», für Fr. 3.- erhältlich beim Gewerkschaftsbund (Tel. 031 377 01 01; www. gewerkschaftsjugend.ch).
- «Wegweiser durch die Berufslehre», für Fr. 2.40 erhältlich bei der Berufsbildungsämter-Konferenz (Tel. 041 248 50 60, www. dbk.ch).
- «Die Lehre meistern», für Fr. 5.50 erhältlich bei Travail Suisse (Tel. 031 370 21 11, www.travailsuisse.ch).
- «Familienrecht», Saldo-Ratgeber zu Lehrlingsrecht und Familienfragen (140 S.), Fr. 25.-, erhältlich unter Tel. 01 253 90 70 oder www.saldo.ch.
Lehrlinge müssen sich nicht alles gefallen lassen
Was in Sachen Berufslehre vorgeschrieben ist, regelt das Recht in diversen Gesetzesartikeln. Die wichtigsten Punkte:
- Der Lehrvertrag muss Art und Dauer der Ausbildung, Lohn, Probezeit, Arbeitszeit und Ferien schriftlich festsetzen. Die kantonale Behörde (in der Regel das Amt für Berufsbildung) hat den Vertrag zu genehmigen.
- Für jeden Beruf gibt es eine Bildungsverordnung, die mit dem Lehrvertrag abgegeben wird. Sie hält unter anderem die Anforderungen an den Lehrbetrieb, das Ausbildungsprogramm und die Lernziele fest.
- Die Probezeit dauert in der Regel drei, mindestens aber einen Monat. Sie kann ausnahmsweise auf sechs Monate verlängert werden, wenn beide Seiten einverstanden sind und das Berufsbildungsamt zustimmt.
- In der Probezeit beträgt die Kündigungsfrist sieben Tage. Danach ist eine Auflösung des Lehrverhältnisses nur im gegenseitigen Einverständnis möglich - oder wenn gravierende Gründe vorliegen (s. Haupttext).
- Die Höhe des Lohns muss - falls nicht in einem Gesamtarbeitsvertrag fixiert - individuell vereinbart werden. Die meisten Berufsverbände geben jedoch Empfehlungen ab.
- Bis zum vollendeten 20. Altersjahr haben Stifte Anrecht auf mindestens fünf Wochen Ferien pro Jahr.
- Die tägliche Arbeitszeit für Lehrlinge unter 21 Jahren darf inklusive allfälliger Überzeit neun Stunden nicht überschreiten. Zudem muss sie einschliesslich aller Pausen innerhalb eines Zeitraums von 12 Stunden liegen und spätestens um 22 Uhr enden. Arbeiten Lehrlinge zwischen sieben und neun Stunden, haben sie Anrecht auf mindestens eine halbe Stunde Pause. Der Besuch der Berufsschule zählt als Arbeitszeit.
- Überstunden sind mit Freizeit zu kompensieren oder 25 Prozent Lohnzuschlag zu entschädigen. Faire Chefs nehmen als Basis für eine Überstunden-Entschädigung den branchenüblichen Hilfsarbeiterlohn und nicht das tiefe Lehrlingssalär.
- Nacht- und Sonntagsarbeit ist für Lehrlinge bis zum vollendeten 20. Altersjahr verboten, wobei nach Arbeitsgesetz Ausnahmen «insbesondere im Interesse der beruflichen Ausbildung» bewilligt werden können.
- Lehrlinge dürfen nur zu Arbeiten beigezogen werden, die mit dem Beruf in Zusammenhang stehen. Arbeiten wie Aufräumen, Kopieren etc. gehören zwar dazu, dürfen den Arbeitsalltag aber nicht bestimmen.
- Gegen Ende der Lehrzeit hat ein Lehrling Anspruch auf jene Absenzen, die er für Vorstellungsgespräche benötigt.