Gefährdete Tierarten im Visier
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K-Tipp 16/2000
04.10.2000
Schweizer Jäger machen auch Jagd auf Tiere, die vom Aussterben bedroht sind
Jäger sind nicht nur Heger und Pfleger. Sie haben es auch auf bedrohte Tierarten abgesehen. Pro Natura fordert ein striktes Abschussverbot.
Pirmin Schilliger redaktion@k-tip.ch
Die Aufgabe der Jagd sei es, den Tierbestand zu regulieren und dafür zu sorgen, dass er gesund bleibe, rechtfertigen die Grünröcke ihr Treiben. Merkwürdig nur: In der Jagdstatistik tauchen regelm...
Schweizer Jäger machen auch Jagd auf Tiere, die vom Aussterben bedroht sind
Jäger sind nicht nur Heger und Pfleger. Sie haben es auch auf bedrohte Tierarten abgesehen. Pro Natura fordert ein striktes Abschussverbot.
Pirmin Schilliger redaktion@k-tip.ch
Die Aufgabe der Jagd sei es, den Tierbestand zu regulieren und dafür zu sorgen, dass er gesund bleibe, rechtfertigen die Grünröcke ihr Treiben. Merkwürdig nur: In der Jagdstatistik tauchen regelmässig Tierarten auf, die vom Aussterben bedroht sind. So wurden im vergangenen Jahr 2631 Feldhasen, 613 Birkhühner, 586 Schneehühner und 1847 Waldschnepfen geschossen.
Alle diese Tierarten stehen auf der roten Liste. Sie müssten nicht reguliert, sondern streng geschützt werden. Pro Natura, WWF und Schweizer Vogelschutz fordern deshalb: «Die Jagd auf Arten der roten Liste ist gesamtschweizerisch zu verbieten.»
Doch es wird munter weiter geschossen. Das eidgenössische Jagdgesetz gibt nur unverbindliche Rahmenbedingungen vor und überlässt die Details den Kantonen. Beim Bundesamt für Umwelt winkt Wildtiere-Bereichsleiter Rolf Anderegg ab: «Nicht die Jagd ist Ursache für den Rückgang bedrohter Arten, sondern die Einschränkung des Lebensraumes.»
Das ist für Urs Tester, Abteilungsleiter Naturschutz bei der Pro Natura, «fadenscheinig». Er ist überzeugt: «Eine bedrohte Tierart sollte nicht durch die Jagd noch zusätzlich gestresst werden.»
Im Mittelland gibts fast keine Feldhasen mehr
Die Jäger sind über Pro Natura verärgert. «Ein generelles Jagdverbot für bedrohte Arten ist falsch», sagt Georg Niggli, Präsident des Schweizer Patentjäger-Verbandes. Er verweist auf die Situation in Graubünden: «Bei uns hat es noch genug Hasen.» Das ist unter Wildbiologen allerdings höchst umstritten.
Genauere Zahlen gibt es nur für das Mittelland, wo vielerorts die Bestandesdichte auf 2 bis 3 Feldhasen pro Quadratkilometer gesunken ist. «Unter eine Zahl von 8 bis 10 Feldhasen pro Quadratkilometer sollte das Tier nicht gejagt werden», empfiehlt Hans-Peter Pfister von der Schweizerischen Vogelwarte.
Die Schnee- und Birkhühner, deren Bestand auf je 10000 Tiere geschätzt wird, verteilen sich auf den ganzen Alpenraum. Um das Überleben der beiden Arten längerfristig zu sichern, müsste in vielen Regionen die Besiedlungsdichte viel grösser sein. Höchste Alarmstufe herrscht bei der Waldschnepfe, von der in der Schweiz nur noch rund 1000 Tiere brüten. Trotzdem werden sie vor allem im Tessin weiter gejagt.
Man schiesse durchziehende und nicht einheimische Waldschnepfen ab, heisst es in Jägerkreisen. Diese Argumentation ist für Urs Tester ein Witz. «Wie will man denn einheimische von durchziehenden Vögeln unterscheiden?»
Zum Schutz seltener Tierarten wurden zwar in der Schweiz bislang 41 Jagdbanngebiete mit einer Gesamtfläche von 1500 km2 ausgeschieden. Für das Überleben bedrohter Arten ist das aber nach Ansicht der Pro Natura zu wenig. Sie möchte ein landesweites Netz von jagdfreien Gebieten, um allen Wildtieren Rückzugs- und Ruhemöglichkeiten zu bieten. Als absurd taxiert die Pro Natura, dass in 44 von 55 schutzwürdigen Vogelreservaten weiterhin gejagt wird.
Für manche Jäger ist die Jagd «ein Heiligtum»
Einzelne Kantone nutzen den Spielraum, mit eigenen Jagdgesetzen die Vorgaben des Bundes zu verschärfen. Im Kanton BE gilt seit zehn Jahren ein Moratorium für Feldhasen; in AI, FR, GL, JU und UR darf Meister Lampe schon seit Jahren nicht mehr nachgestellt werden. In anderen Kantonen wie AG und TG übt ein Teil der Jägerschaft freiwillig Zurückhaltung.
Selbst die Bündner Jäger rühmen sich einer Kontingentierung: Pro Saison sind acht Hasen pro Jäger erlaubt, was aber gewisse Grünröcke bereits als Freiheitsberaubung empfinden. Ein Kenner munkelt: «In Graubünden ist die Jagd eben ein Heiligtum.»
Besonders stossend: Gejagt werden Feldhase, Schnee- und Birkhuhn sowie Waldschnepfe einzig um des privaten Vergnügens willen. Die Jäger selber geniessen im Weidmannskreis die exklusiven Leckerbissen.
Die Jagd bringt den Jägern keinen wirtschaftlichen Nutzen. Diese geschützten Tierarten stehen auch nicht auf den Menükarten von Restaurants wie etwa Hirsch oder Reh. Umso vorbildlicher die Haltung der Genfer, die solchen Gaumenfreuden zwar keineswegs abgeneigt wären. Dennoch haben sie bereits 1974 die Jagd auf alle geschützten Tierarten in ihrem Kanton gänzlich verboten.