Geschäfte kümmern sich kaum ums Gesetz
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K-Tipp 10/2002
15.05.2002
Schärfere Vorschriften für den Alkoholverkauf: K-Tipp-Stichprobe deckt gravierende Mängel in den Läden auf
Wein, Bier und Alcopops neben Mineralwasser und Süssmost im gleichen Regal: Das ist zwar seit dem 1. Mai verboten. Doch viele Geschäfte foutieren sich um diese und andere neue Vorschriften.
Elias Kopf redaktion@ktipp.ch
Die Jungen greifen immer öfter zur Flasche. Über 40 Prozent der 15- bis 24-jährigen Schweizerinnen und Schweizer haben ...
Schärfere Vorschriften für den Alkoholverkauf: K-Tipp-Stichprobe deckt gravierende Mängel in den Läden auf
Wein, Bier und Alcopops neben Mineralwasser und Süssmost im gleichen Regal: Das ist zwar seit dem 1. Mai verboten. Doch viele Geschäfte foutieren sich um diese und andere neue Vorschriften.
Elias Kopf redaktion@ktipp.ch
Die Jungen greifen immer öfter zur Flasche. Über 40 Prozent der 15- bis 24-jährigen Schweizerinnen und Schweizer haben mindestens zweimal im Monat einen Rausch. Rund 9 Prozent der 15-jährigen Mädchen trinken wöchentlich so genannte Alcopops. Diese ans junge und speziell ans weibliche Publikum gerichteten Getränke aus Limonade mit Vodka oder Rum boomen. Folge: 12 000 der 11- bis 16-jährigen Kinder konsumieren mittlerweile täglich alkoholische Süssgetränke, bilanziert die Zürcher Fachstelle zur Prävention des Alkohol- und Medikamentenmissbrauchs.
Seit April gibts die bunten Fläschchen auch im Coop, etwa in der von 6 bis 22 Uhr geöffneten Filiale am Basler Centralbahnplatz. Da stehen alkoholfreie Partylimonaden und Trenddrinks wie der Muntermacher Redbull im gleichen Gestell wie fruchtige Rum-Verschnitte von Baccardi. Ein Schild im Postkartenformat weist darauf hin, dass Coop keine Alcopops an Jugendliche unter 18 Jahren verkauft.
Doch im Regal sind die mit Namen wie «Tropical Orange» etikettierten 5,6-prozentigen Alkohol-Süssgetränke kaum vom daneben stehenden Sportlerdrink «Isostar-Orange» und dem unmittelbar darunter eingereihten «Schweppes Bitter Orange» zu unterscheiden.
Nicht nur die optische Aufmachung bereite Mühe, die Alcopops von Limonaden zu unterscheiden, meint Urs Klemm, Vizedirektor und Leiter der Abteilung Lebensmittelsicherheit beim Bundesamt für Gesundheit (BAG). Auch der Alkohol selbst werde vom Zucker geschmacklich weitgehend verdeckt. Klemm: «Jugendliche, die keine Erfahrung mit Alkohol-Mischgetränken haben, können sich betrinken, ohne es zu merken.»
Warnschilder am Regal sind nun Pflicht
Diese Missstände will die seit 1. Mai gültige Revision der Lebensmittelverordnung beseitigen.
- Alkoholika müssen sich klar von alkoholfreien Getränken, die zum Verkauf angeboten werden, unterscheiden.
- Ferner müssen an den Verkaufsstellen spezielle Warnschilder angebracht sein. Auf diesen Schildern ist darauf hinzuweisen, dass vergorene alkoholische Getränke (Bier, Wein, Most) nicht an Kinder unter 16 Jahren und Schnäpse sowie Alcopops nicht an Jugendliche unter 18 Jahren verkauft werden.
Mit der Verordnung wolle man einen bewussten Kaufentscheid ermöglichen, sagt Klemm: «Die Revision strebt Transparenz an. Niemand soll Alkohol konsumieren, ohne es zu wollen.»
Zudem sollen sich Jugendliche in den Läden nicht mit Alcopops eindecken und volllaufen lassen können. Klemm: «Das liegt auch im Interesse der Geschäfte. Wer langfristig denkt, will ja nicht jugendliche Alkoholiker heranzüchten, sondern eine treue und kaufkräftige Stammkundschaft aufbauen.» Studien belegen, dass dieser verschärfte Jugendschutz dringend nötig ist. Denn Kinder und Jugendliche, die regelmässig Alkohol konsumieren, leiden im späteren Leben doppelt so häufig unter Alkoholproblemen wie nicht trinkende, betont das BAG in seinen Erläuterungen zur revidierten Lebensmittelverordnung.
Limos neben Alcopops animieren zum Kauf
Speziell tief liegt die Hemmschwelle zum Alkoholkonsum bei «MiXery». Dieses 3,1-prozentige Cola-Bier-Mischgetränk ist beispielsweise in der Denner-Filiale in der Basler Güterstrasse erhältlich. Nach den gesetzlich vorgeschriebenen Warnschildern hielt K-Tipp hier vergebens Ausschau. Vielmehr wurden die «MiXery»-Sixpacks in unmittelbarer Gesellschaft mit Limonaden, Eistee und Bier angeboten. Aus dieser Anordnung wird kaum auf den ersten Blick ersichtlich, ob man ein Alkoholgetränk oder eine neue Limonade vor sich hat.
«Werden die alkoholischen Süssgetränke in den Geschäften wie Limonaden präsentiert, täuscht dies den Jugendlichen Harmlosigkeit vor und animiert zum Kauf», sagt Janine Messerli von der Schweizerischen Fachstelle für Alkohol- und andere Drogenprobleme. Das passt bestens zur «MiXery»-Werbung, die sich laut Hersteller Carlsberg an eine junge Kundschaft richtet und auf Techno, Fun und Trendsport wie Beachvolleyball oder Inline-Skating setzt.
Für Messerli ist klar, dass hier ein neuer Markt erschlossen wird: «Die süssen Premixes und Bier-Mischgetränke sprechen auch junge Menschen an, die sonst keinen Alkohol konsumieren würden. Vor allem Mädchen finden hier ihr Einstiegsgetränk.» Genau dies soll sich nun ändern. So will die neue Verordnung laut BAG die Verfügbarkeit der Alcopops für Jugendliche einschränken und den Anreiz zu Spontankäufen verringern.
Doch viele Detaillisten scheinen auf das lieb gewordene Geschäft nicht verzichten zu wollen. Klar wurde dies bei der K-Tipp-Stichprobe - etwa in der Epa-Filiale am Zürcher Bellevue. Dort weist zwar ein Schild darauf hin, dass gebrannte Wasser nicht an Personen unter 18 Jahren abgegeben werden. Doch hängt das Täfelchen bei den Schnäpsen, zu denen Jugendliche eher selten greifen. Die Alcopops hingegen findet man gemeinsam mit Limonaden und Fruchtsäften im Kühlgestell - ohne Warnschild.
Eulenspiegelei mit der neuen Verordnung betreibt auch der Coop im Zürcher Bahnhof Stadelhofen. Hier klingeln die Kassen 365 Tage im Jahr. So wird die Filiale am Wochenende zur Anlaufstelle für tausende von Kids, die sich billig mit Getränken eindecken.
Zwar versichert Coop-Sprecher Karl Weisskopf, dass man «mit Personalschulung und einem alkoholsensiblen Kassensystem» versuche, die Verantwortung wahrzunehmen. Doch werden die Smirnoff- und Baccardi-Premixes in der Filiale am Stadelhofen nicht in der Alkoholika-Abteilung, sondern zusammen mit Isostar und anderen Limonaden in der so genannten Spontankauf-Zone im Kassenbereich angeboten.
Kinder und Alkohol - Das sind die neuen Regeln
Das revidierte Lebensmittelrecht regelt den Alkoholverkauf in der Schweiz ab 1. Mai 2002 unter anderem wie folgt:
- Alkoholische Getränke müssen deutlich unterscheidbar von alkoholfreien Getränken zum Verkauf angeboten werden.
- Es müssen Hinweisschilder angebracht werden, die auf Abgabebeschränkungen (Alterslimiten) aufmerksam machen.
- Verboten sind Angaben und Abbildungen auf alkoholischen Getränken sowie eine Aufmachung, die sich gezielt an Kinder und Jugendliche richten.
Nach Auskunft von Dieter Tosoni von der Eidgenössischen Alkoholverwaltung (EAV) zeigt die Erfahrung, «dass systematisches Verzeigen den gesetzlichen Alterslimiten Nachdruck verschafft».
Wer mit seiner Anzeige bei den zuständigen Behörden auf kein Verständnis stosse, könne sich mit seinem Problem auch an die EAV wenden, so Tosoni (Tel. 031 309 12 11).
Dazu braucht es: Namen und Geburtsdatum des/der Jugendlichen; Namen und Menge des Getränks (Flasche und Kassenzettel nach Möglichkeit aufbewahren); Geschäftslokal und Datum des Verkaufs; falls vorhanden: Namen von Zeugen.