Im Kaufpreis ist der Sturzflug inklusive
Was sind Billigvelos wert? Das wollte der K-Tipp wissen. Die Antwort: Wenig. Sie sind schwergängig, gefährlich und sie rosten.
Inhalt
K-Tipp 12/2003
18.06.2003
Marco Diener - mdiener@ktipp.ch
Fast möchte man lachen. Wer den Lenker des nigelnagelneuen Bikes bewegt, schaltet damit automatisch: bei einer Drehung nach rechts springt die Kette auf einen kleineren Gang, bei einer Drehung nach links steigt sie auf einen grösseren Gang.
Der Grund für diese Macke: Die Kabelhülle des Mountainbikes wird beim Lenken gestreckt und setzt so den Schalthebel in Bewegung - denn er ist zu leichtgängig.
«Solche Velos sind richtige Lustkiller»
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Fast möchte man lachen. Wer den Lenker des nigelnagelneuen Bikes bewegt, schaltet damit automatisch: bei einer Drehung nach rechts springt die Kette auf einen kleineren Gang, bei einer Drehung nach links steigt sie auf einen grösseren Gang.
Der Grund für diese Macke: Die Kabelhülle des Mountainbikes wird beim Lenken gestreckt und setzt so den Schalthebel in Bewegung - denn er ist zu leichtgängig.
«Solche Velos sind richtige Lustkiller»
Der K-Tipp hat zwei fertig montierte Billigvelos untersuchen lassen: das erwähnte Velo für 190 Franken vom Brocki Fantasy in Münchenbuchsee BE sowie ein weiteres Mountainbike für 260 Franken, gekauft an der Migrol-Tankstelle an der Mittelstrasse in Bern. Dessen Preis ist noch erstaunlicher, denn es verfügt vorne und hinten über eine Federung.
Die Liste der gefundenen Mängel ist lang. Der Schlimmste: Beim Velo von der Migrol-Tankstelle war der Lenkervorbau vier Zentimeter über die Maximum-Marke herausgezogen. Nur die untersten drei Zentimeter steckten noch im Rahmen. «Bei einer Vollbremsung oder einem starken Schlag könnte der Lenkervorbau herausrutschen oder abbrechen», erklärt Marius Graber, Technikexperte bei der Zeitschrift «Velojournal». Die Folge wäre ein Sturzflug.
Ebenfalls gefährlich: Die Bremsen waren bei beiden Velos ganz schlecht eingestellt. Bereits bei geringen Geschwindigkeiten dauerte es zu lange, bis die Velos stillstanden.
Zudem schleifte beim Tankstellenvelo ein Bremsklotz permanent an der Pneuflanke. Die Folge: Der Bremsklotz schleift die Pneuflanke ab, das Gewebe reisst auf, und dann platzt der Schlauch.
Das Brockivelo liess sich nicht richtig schalten. Der Grund: Die Distanz zwischen den Kettengliedern stimmt nicht mit derjenigen zwischen den Zähnen der Kettenblätter überein. Die Folge: Zeitweise rutscht die Kette auf den Zähnen. «Selbst ein Fachmann wäre nicht in der Lage, diese Schaltung richtig einzustellen», sagt Marius Graber.
«Andere Mängel sind weniger gravierend», erklärt er, «aber in der Summe führen sie dazu, dass einem das Velofahren verleidet. Solche Velos sind richtige Lustkiller.»
Doch warum sind diese Fahrräder in der Schweiz überhaupt erhältlich? Das Strassenverkehrsgesetz hält fest, dass «Fahrzeuge so beschaffen sein müssen, dass Führer, Mitfahrende und andere Strassenbenützer nicht gefährdet werden». Doch niemand kontrolliert das.
«Fahrräder unterstehen keiner amtlichen Zulassungsprüfung, und es wird auch kein Fahrzeugausweis ausgestellt», bestätigt Daniel Schneider, Sprecher des Bundesamts für Strassen. Für die Sicherheit ihrer Fahrzeuge sind die Velofahrer selber verantwortlich.
Schrottvelo ist nicht mehr im Sortiment
Large ist auch die Verordnung über die technischen Anforderungen an Strassenfahrzeuge. Seitenweise enthält sie Vorschriften für Motorfahrzeuge. Diejenigen für Fahrräder finden in sechs Artikeln Platz.
«Strengere technische Vorschriften für Velos könnten das Unfallgeschehen nicht wesentlich beeinflussen», sagt Daniel Schneider. Die BfU-Statistik zeige, «dass nur 3,7 Prozent der Velounfälle auf technische Mängel zurückzuführen sind».
Die Migrol hat inzwischen reagiert. Sie schreibt dem K-Tipp zwar, sie habe aufs Sortiment der Tankstelle keinen Einfluss. Trotzdem hat sie den Tankwart gebeten, «er möge den Verkauf der erwähnten "Schrottvelos" einstellen». Offenbar mit Erfolg. Die Velos sind an der Tankstelle nicht mehr erhältlich. Das Brocki Fantasy ist mit der Qualität seiner Velos nach eigenen Angaben ebenfalls unzufrieden.
Veloexperte Marius Graber rät generell von Velos ab, die nebenher an Tankstellen, in Coiffeursalons, Malerwerkstätten oder an Kebabständen verkauft werden. «Sie sehen zwar oft eindrücklich aus», sagt er, «aber sie sind gefährlich. Wer ein im Fachgeschäft gut unterhaltenes Occasionsvelo kauft, zahlt nicht unbedingt mehr, erhält aber ein Velo, das noch lange Freude machen kann.»
Mit ein paar Handgriffen können übrigens auch Laien herausfinden, ob ein Velo etwas taugt:
- Achten Sie darauf, ob die verschiedenen Komponenten Markennamen tragen, die Sie kennen. Fehlen Markennamen, kann es sich um minderwertige Ware handeln. Vorsicht beim Namen Shimano: Dieser ist oft gross angeschrieben, obwohl nur der Kettenwechsel von Shimano stammt.
- Vergewissern Sie sich, dass das Velo auf Ihre Körpergrösse einstellbar ist. Sitzend sollten Sie das Bein bis aufs Pedal fast strecken können. Zudem sollte sich der Lenker bis auf die Höhe des Sattels herausziehen lassen. Gute Fahrräder gibt es in mehreren Rahmengrössen.
- Felgen sollten aus Alu sein, Speichen und Schrauben aus rostfreiem Stahl. Nehmen Sie einen Magneten und halten Sie ihn an die entsprechenden Stellen. Wenn er stark angezogen wird, sind die Teile aus billigem Stahl.
- Fahren Sie mit den Fingern über die Felgenflanke. Dort, wo sie zusammengefügt ist, darf keine Unebenheit sein.
- Heben Sie das Vorderrad an und drehen Sie daran. Es soll leicht laufen, darf weder knacken noch klopfen oder seitliches Spiel aufweisen. Wiederholen Sie das auch mit dem Hinterrad.
- Achten Sie darauf, ob die Felgen schön zentriert sind. Am besten schauen Sie, ob der Abstand zwischen Felge und Bremsklötzen immer gleich bleibt. Die Toleranz beträgt hier maximal einen halben Millimeter.
- Bremsen Sie. Gute Bremsen lassen sich mit einem Finger betätigen. Kontrollieren Sie auch die Bremsklötze. Die ganze Fläche muss auf die Felge treffen.
- Machen Sie eine Probefahrt. Ist das Velo bequem? Lässt es sich gut steuern, schalten und bremsen?