Irrweg zum Schutzraum
Der Zivilschutz kostet die Steuerzahler 200 Millionen Franken pro Jahr. Doch kaum jemand erfährt noch automatisch, wo er im Notfall hin muss. Nun soll die Informationspflicht der Gemeinden offiziell wegfallen.
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K-Tipp 6/2003
26.03.2003
Thomas Müller - tmueller@ktipp.ch
Bei den Zivilschutzämtern laufen derzeit die Telefone heiss. «Wir erhalten täglich Anrufe von Leuten, die sich erkundigen, wo sich ihr Schutzplatz befindet», sagt Adrian Kleiner, oberster Zivilschützer im Kanton Glarus. Andernorts tönt es ähnlich. Der Irak-Krieg und die Angst vor Terroranschlägen mit Atom-, Bio- oder Chemiewaffen lassen besorgte Bürger zum Telefon greifen.
Früher war das nicht nötig. Denn bis Mitte der 90er-Jahre informierten die meisten Gemeinden von s...
Bei den Zivilschutzämtern laufen derzeit die Telefone heiss. «Wir erhalten täglich Anrufe von Leuten, die sich erkundigen, wo sich ihr Schutzplatz befindet», sagt Adrian Kleiner, oberster Zivilschützer im Kanton Glarus. Andernorts tönt es ähnlich. Der Irak-Krieg und die Angst vor Terroranschlägen mit Atom-, Bio- oder Chemiewaffen lassen besorgte Bürger zum Telefon greifen.
Früher war das nicht nötig. Denn bis Mitte der 90er-Jahre informierten die meisten Gemeinden von sich aus, wo Einwohnerinnen und Einwohner, die in ihrem Wohnhaus keinen Schutzraum haben, notfalls Unterschlupf finden. Zu diesem Zweck wurden in zigtausend Häusern farbige - meist gelbe - Informationstafeln aufgehängt.
Viele dieser Tafeln hängen noch heute. Doch sie stimmen meist nicht mehr. Denn während die Gemeinden ihre Zuweisungsplanung - im Militärjargon «Zupla» - wegen Wohnungswechseln, Hausabbrüchen und -neubauten laufend ändern müssen, aktualisiert niemand die farbigen Tafeln. Für Bruno Zeyer, Chef der Zivilschutzorganisation Pilatus (Luzern, Kriens, Horw), ist deshalb klar: «Mit den Tafeln hat man der Bevölkerung etwas vorgegaukelt.»
Das ist umso gravierender, als die Gemeinden eigentlich verpflichtet wären, ihre Einwohnerinnen und Einwohner «periodisch über die Zuweisung zu den Schutzräumen zu informieren». So stehts in der eidgenössischen Zivilschutz-Verordnung.
Die Verantwortlichen wissen das - und drücken beide Augen zu. «Im Kanton Zürich ist es den Gemeinden aus Spargründen freigestellt, auf die periodische Bekanntgabe der Zuweisungsplanung zu verzichten», gibt etwa Karl Schürpf, Zivilschutzchef des Kantons Zürich, freimütig zu. So werden etwa die Stadtzürcherinnen und Stadtzürcher erst im Ernstfall informiert, wo sich ihr Schutzplatz befindet.
Mehr noch: Manche Gemeinden verzichten nicht nur auf die Information der Bevölkerung, sondern führen die Zuweisungsplanung auch gar nicht mehr regelmässig nach. «Viele Aargauer Gemeinden sind mit den Planungen alles andere als à jour», klagt Martin Zulauf, Zivilschutzchef der Region Baden AG. Und Ueli Schär von der Zivilschutzorganisation Aare (Aarau und Umgebung) bestätigt: «Es wäre übertrieben zu sagen, unsere Zuweisungsplanung sei auf dem neusten Stand.»
Für Boris Banga, SP-Nationalrat und Mitglied der sicherheitspolitischen Kommission seines Rats, ist das unverständlich: «Wenn die Leute nicht mehr wissen, wo sie im Fall einer zivilen Katastrophe hingehen müssen, kann man den ganzen Beton-Irrsinn gleich vergessen.»
Nicht so dramatisch sieht man das beim Kanton Aargau. Schutzbauten und Zuweisungsplanung seien nicht für zivile Katastrophen, sondern für den Kriegsfall gedacht, bei dem eine gewisse Vorwarnzeit bestehe, sagt Abteilungschef Martin Widmer.
Dem widerspricht der Sekretär des Schweizerischen Zivilschutzverbands, Hans Jürg Münger: «Ein Schutzraumbezug kann vor allem bei natur- oder technisch bedingten Notlagen wie Erdbeben, akuter Lawinengefahr und Chemieunfall nötig werden. Schutz bieten diese Bauten auch gegen terroristische Angriffe und bei erhöhter Radioaktivität.» Ähnliches ist auf der Homepage des Bundesamts für Bevölkerungsschutz zu lesen.
Münger schlägt deshalb vor, dass die Gemeinden ihre Einwohner mindestens alle zwei Jahre über die Schutzraumzuweisung informieren. In grösseren Orten wie der Stadt Zürich, die pro Jahr über 100 000 Umzüge zu verarbeiten hat, würde es seiner Ansicht nach genügen, im Amtsblatt periodisch die Telefonnummer anzugeben, unter der sich die Bevölkerung erkundigen kann.
Doch selbst die kleinen Atomkraftwerk-Gemeinden Leibstadt AG und Däniken SO (Gösgen) sagen den Einwohnern nicht von sich aus, wo sie bei einem AKW-Unfall hin müssten. Man sei manchmal mit einem Info-Stand an der Gewerbeausstellung vertreten, wo die Leute fragen könnten, sagt der Däniker Zivilschutzkommandant Roger Voney.
Er und sein Leibstädter Kollege Ernst Käser haben noch eine andere Begründung parat: Eine Vorab-Information könnte da und dort einen Quartierkrach auslösen. Nämlich dann, wenn Leute erfahren, dass sie mit dem ungeliebten Nachbarn in den Bunker müssten.
Jetzt sollen solche Ausreden auch noch amtlich abgesegnet werden. Im Verordnungsentwurf zum Bevölkerungsschutzgesetz, über das am 18. Mai abgestimmt wird, ist eine Informationspflicht der Gemeinden nicht mehr vorgesehen. Das Anbringen von Anschlägen in den Häusern sei «zur Zeit nicht zweckdienlich», heisst es beim zuständigen Bundesamt.
Wenig Verständnis für diesen Abbau hat der Badener Zivilschutzchef Martin Zulauf: «Es darf nicht sein, dass die Steuerzahler, die für Schutzbauten jedes Jahr Millionen ausgeben, nicht einmal erfahren, wo im Notfall ihr Schutzplatz ist.»
Nun regt sich auch auf höchster politischer Ebene Widerstand gegen die geplante Verordnung des Bundesrats. «Mit dem Wegfallen der Informationspflicht würde das Kind mit dem Bad ausgeschüttet und eine langjährige Aufbauarbeit zunichte gemacht», sagt der Präsident der sicherheitspolitischen Kommission des Ständerats, der Obwaldner FDP-Vertreter Hans Hess. Er will das Thema in seiner Kommission aufs Tapet bringen.
Sollen die Gemeinden verpflichtet bleiben, Einwohnerinnen und Einwohner von sich aus über den Ort ihres Schutzplatzes zu informieren? Der K-Tipp freut sich auf Ihre Antwort unter www.ktipp.ch
Wenn die Alarm-Sirene ertönt
Für den Notfall kann man einiges vorkehren.
- In der Schweiz existieren mehr als 270 000 Schutzräume. Sie bieten Platz für über 95 Prozent der Bevölkerung. Wer nicht weiss, wo sein Schutzplatz ist, kann sich beim Zivilschutzamt seiner Gemeinde erkundigen.
- Verhaltensanweisungen für den Notfall stehen auf den hintersten Seiten jedes Telefonbuchs.
- Das Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung empfiehlt, einen Haushaltvorrat anzulegen. Dieser reicht von Zucker über Trinkwasser bis zu Kerzen und Zündhölzern. Wers genau wissen will, kann unter www.bwl.admin.ch (Rubrik «Kiosk») kostenlos die Broschüre «Haushaltvorrat» bestellen. Für telefonische Bestellungen: 031 322 21 36.