Jagd auf Erstklässler
Die Mobiliar schickt PR-Broschüren in Schulen - «zur Auflockerung des Unterrichts».<br />
Erstklässler sollen Strichmännchen ausmalen - und die Werbebotschaft nach Hause tragen.
Inhalt
K-Tipp 16/2006
04.10.2006
Otto Hostettler - otto.hostettler@ktipp.ch
Der Kurierdienst lieferte den Stapel PR-Broschüren der Mobiliar-Versicherung direkt ins Klassenzimmer von Lehrer Claudio Bischoff im Dorfschulhaus Kloten ZH. Im Begleitbrief stand der Rat, die von Werbeplakaten bekannten Strichmännchen-Skizzen «zur Auflockerung des Unterrichts» einzusetzen. Dazu hiess es: «Ihre frisch eingeschulten Erstklässler haben sicher Freude an den Bildern.»
Lehrer retournierte die PR-Broschüren
Lehrer Bischoff hatte überhaupt...
Der Kurierdienst lieferte den Stapel PR-Broschüren der Mobiliar-Versicherung direkt ins Klassenzimmer von Lehrer Claudio Bischoff im Dorfschulhaus Kloten ZH. Im Begleitbrief stand der Rat, die von Werbeplakaten bekannten Strichmännchen-Skizzen «zur Auflockerung des Unterrichts» einzusetzen. Dazu hiess es: «Ihre frisch eingeschulten Erstklässler haben sicher Freude an den Bildern.»
Lehrer retournierte die PR-Broschüren
Lehrer Bischoff hatte überhaupt keine Freude. Die Werbeaktion der Mobiliar sei eine «plumpe Art, Kinder für Werbezwecke zu missbrauchen». Er schrieb auf das Paket «Annahme verweigert» und sandte es an die Mobiliar zurück.
Bei der Gewerkschaft VPOD ist klar, dass die Werbeaktion der Mobiliar kein Einzelfall ist. Firmen «drängten» in die öffentliche Schule, hält der für die Lehrerschaft zuständige Sekretär Urs Loppacher fest. Aber: «Werbung hat in der Schule nichts zu suchen.»
Er bezeichnet die Mobiliar-Werbung als «dümmlich». Die Strichmännchen-Skizzen seien «nicht kindergerecht und für die gestalterische Erziehung sogar ausgesprochen ungeeignet». Die Mobiliar-PR-Broschüren gehören laut Loppacher nicht ins Schulzimmer, sondern in den Abfall.
Mobiliar wollte Kids «eine Freude machen»
Bei der Mobiliar beschwichtigt Firmensprecher Kurt Messerli: Es gehe darum, «den Erstklässlern eine Freude zu machen». Die Schadenskizzen-Kampagne löse immer wieder «positive Reaktionen» aus. Zudem entscheide jede Lehrperson selbst, ob er oder sie die Schadenskizze im Unterricht einsetzen wolle.
Letztlich liegt es tatsächlich an der Lehrerschaft, ob die Firmen im Schulhaus Zugang zur potenziellen künftigen Kundschaft erhalten. Beat W. Zemp vom Dachverband Schweizer Lehrerinnen und Lehrer erinnert an jene Aktion, als in verschiedenen Regionen Schüleragenden verteilt wurden. Der Clou damals: Die Agenden enthielten Gutscheine von Modeboutiquen und einer Fastfood-Kette, um die Jugendlichen als künftige Kunden zu ködern.
Längst wird aber an Schulen nicht nur Werbung, sondern auch Sponsoring betrieben: So konnte das Gymnasium in Liestal BL seine Mensa einzig dank Sponsoren finanzieren.
Ein Sponsoring des Unterrichts lehnt der Dachverband der Lehrer aber strikt ab: «Das öffentliche Bildungswesen ist grundsätzlich über den öffentlichen Staatshaushalt zu finanzieren.» In Frage komme allenfalls, dass Firmen für Wettbewerbe oder Schulfeste Preise spenden.
Swisscom sorgte für Kritik an Schulen
Das wohl umfangreichste Sponsoring in Klassenzimmern realisierte die Swisscom mit dem Projekt «Schulen ans Netz». Entsprechend sorgte das Vorhaben damals auch für Diskussionen. Die Swisscom liess sich den Zugang zu den Schulhäusern rund 100 Millionen Franken kosten -inzwischen sind die kritischen Stimmen verstummt. Und Lehrerverbands-Präsident Zemp bezeichnet es sogar als «sehr gutes Projekt».
Allerdings ist auch das 100 Millionen Franken teure Engagement des einstigen Monopolisten Swisscom alles andere als uneigennützig: «In der Schule erreichen wir die Kunden und Mitarbeiter der Zukunft», sagte Swisscom-Projektleiter Marc Pfister bei der Lancierung ganz offen.