Justitia freut sich überdrei Grossfirmen
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K-Tipp 8/2001
25.04.2001
Gerichtsstand Von 30 Betrieben halten sich nur Post, Zürich und Mobiliar an neues Gesetz
Unzufrieden mit dem neuen Auto oder der gebuchten Reise? Konsumenten können neu an ihrem Wohnort die Garage oder das Reisebüro einklagen - auch wenns im Vertrag anders steht.
Thomas Müller tmueller@ktipp.ch
Anfang Jahr schickte die Cornèr Bank ihren Kreditkarten-Kunden die neuen «Allgemeinen Geschäftsbedingungen, gültig ab 1. Januar 2001». Darin heisst es...
Gerichtsstand Von 30 Betrieben halten sich nur Post, Zürich und Mobiliar an neues Gesetz
Unzufrieden mit dem neuen Auto oder der gebuchten Reise? Konsumenten können neu an ihrem Wohnort die Garage oder das Reisebüro einklagen - auch wenns im Vertrag anders steht.
Thomas Müller tmueller@ktipp.ch
Anfang Jahr schickte die Cornèr Bank ihren Kreditkarten-Kunden die neuen «Allgemeinen Geschäftsbedingungen, gültig ab 1. Januar 2001». Darin heisst es, wie schon in früheren Ausgaben: «Gerichtsstand für alle Verfahren ist Lugano.»
Für Cornèr-Bank-Kunden bedeutet das, dass sie eine gerichtliche Auseinandersetzung im Tessin austragen müssten - in italienischer Sprache notabene. Lust zum Streiten dürfte da bei den meisten Kunden gar nicht erst aufkommen.
Solchem Missbrauch der Vertragsfreiheit soll das seit dem 1. Januar 2001 geltende Gerichtsstandsgesetz einen Riegel schieben. Es schreibt für alle Verträge, die ab diesem Jahr abgeschlossen werden, Folgendes vor:
- Konsumentinnen und Konsumenten (nicht aber Gewerbetreibende) können Firmen, mit denen sie einen Vertrag haben, entweder am eigenen Wohnort oder am Sitz der Firma einklagen.
- Unternehmen hingegen können nur am Wohnort des Kunden klagen.
- Vertragsklauseln, welche diese Regeln unterlaufen, sind ungültig.
Der K-Tipp hat die Probe aufs Exempel gemacht und die aktuellen Vertragsformulare von 30 Grossunternehmen unter die Lupe genommen. Und siehe da: Gerade mal drei halten sich ans Gesetz. Es sind dies die beiden Versicherungen Zürich und Mobiliar sowie die Post (für Brief- und Paketsendungen).
Hochkant durchgefallen sind die Grossbanken UBS und CS sowie die Kantonalbanken der Kantone AI, FR, GL, LU, NW, OW, SG, TG und ZH. Sie alle bestimmen im klein Gedruckten als «ausschliesslichen Gerichtsstand» ihren eigenen Sitz. Sich selber gestatten sie jedoch, den Kunden auch «bei jedem anderen zuständigen Gericht zu belangen».
Auch die Autohändler Amag und Emil Frey sind beim Klageort nur mit sich selber grosszügig.
Das gleich triste Bild bieten die Kreditkarten-Verträge von UBS, CS, American Express, Diners Club und Viseca. Die Post mutet Besitzern einer Postcard-Visa sogar den Klageort Lugano zu - gleich wie die Cornèr Bank.
Die Kunst, sich selber mehr und dem Kunden weniger Rechte einzuräumen, als das Gesetz erlaubt, beherrschen auch die Telefongesellschaften Diax, Orange und Swisscom sowie die Reiseveranstalter Kuoni, Tui Suisse und Hotelplan.
Für den Berner Rechtsprofessor Thomas Koller ist das Ergebnis der Stichprobe «bedenklich». Vom Gesetz abweichende Gerichtsstandsklauseln seien zwar unwirksam, aber das Problem sei, dass die meisten Kunden das nicht wüssten. «Ein Walliser, der glaubt, er müsse in Zürich klagen, wird vielleicht auf rechtliche Schritte verzichten», vermutet Koller.
Auch der Jurist Dominik Gasser vom Bundesamt für Justiz kritisiert die säumigen Unternehmen als «nicht gerade kundenfreundlich».
Die meisten der angefragten Firmensprecher geben sich denn auch einsichtig. Typisch etwa die Reaktion von Felix Oeschger vom UBS Card Center: «Wir werden das neue Gesetz bei der nächsten Änderung unserer Geschäftsbedingungen berücksichtigen.»
Der Gerätehändler Fust hat bereits neue Verträge gedruckt, will aber laut Finanzchef Manfred Staub «zuerst noch 64000 alte Exemplare aufbrauchen». Emil Frey hat seine Verkäufer angewiesen, die Gerichtsstandsklausel auf den alten Formularen zu streichen.
Keine Änderungen plant hingegen Cornèr-Bank-Chef Peter Brem. Er betont, dass die fragliche Klausel im klein Gedruckten für die Kunden kein Nachteil sei, weil «Richter unrechtmässige Gerichtsstandsbestimmungen von Amtes wegen ausser Acht lassen».
Ausserdem schreibt Brem dem K-Tipp, dass «die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Banken und Kreditkarten-Organisationen der ganzen Schweiz als ausschliesslichen Gerichtsstand den Ort ihres Sitzes vorsehen». Oder anders gesagt: Warum soll ich mich ans Gesetz halten, wenns die anderen auch nicht tun?
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Wo Privatpersonen klagen können
Seit Anfang 2001 muss man Klagen grundsätzlich dort einleiten, wo die Gegenpartei wohnt oder ihren Sitz hat. Das neue Gerichtsstandsgesetz sieht aber Ausnahmen vor, und zwar nicht nur für Konsumentinnen und Konsumenten - wie im Artikel erwähnt -, sondern auch für Mieter und Arbeitnehmer:
- Wohnungsmieter: Sie müssen die Schlichtungsstelle dort anrufen, wo sich das Mietobjekt befindet.
- Arbeitnehmer: Für sie ist das Gericht am Sitz des Arbeitgebers zuständig oder jenes am Ort, wo sie gewöhnlich ihre Arbeit verrichten.
Anderslautende Vertragsbestimmungen sind ungültig. Beachten Sie aber: Falls ein Vertrag vor dem 1. Januar 2001 abgeschlossen wurde und er punkto Gerichtsstand etwas anderes sagt, gilt der vertragliche Klageort.
Tipp: Wenn Sie nicht wissen, zu welchem Gerichtskreis ein bestimmter Ort gehört, fragen Sie bei der dortigen Gemeindeverwaltung nach.