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K-Tipp 16/2002
02.10.2002
Ein Kind gerät unter den Schulbus. Die Eltern vereinbaren mit der Versicherung, dass die Unfallentschädigung erst im Erwachsenenalter ausbezahlt wird. Doch als es so weit ist, kneift die Versicherung.
Thomas Müller tmueller@ktipp.ch
Eigentlich bin ich ein Bewegungsmensch», sagt Priska Müller aus Hochdorf LU. Doch mit dem Bewegen sei es so eine Sache seit ihrem Unfall vor gut 16 Jahren.
Damals, am 3. März 1986, wollte sie als Letzte in den Schulb...
Ein Kind gerät unter den Schulbus. Die Eltern vereinbaren mit der Versicherung, dass die Unfallentschädigung erst im Erwachsenenalter ausbezahlt wird. Doch als es so weit ist, kneift die Versicherung.
Thomas Müller tmueller@ktipp.ch
Eigentlich bin ich ein Bewegungsmensch», sagt Priska Müller aus Hochdorf LU. Doch mit dem Bewegen sei es so eine Sache seit ihrem Unfall vor gut 16 Jahren.
Damals, am 3. März 1986, wollte sie als Letzte in den Schulbus einsteigen. Doch der Chauffeur übersah sie, schloss die Tür und fuhr los. Priska Müller stürzte unter den anfahrenden Schulbus. Der kam erst zum Stillstand, nachdem er den linken Unterschenkel des 10-jährigen Mädchens überrollt hatte.
Priska Müller wurde sechsmal operiert; drei Monate musste sie im Spital bleiben. «Vielleicht kam ich dank der Winterstiefel, die ich beim Unfall trug, um eine Amputation herum», sagt sie.
Die Folgen des Unfalls sind aber auch so gravierend: Das Bein blutet schon bei leichtem Anstossen - und heilt dann schlecht. Das linke Fussgelenk kann sie nicht mehr ganz beugen. «Dies führt beim Gehen zu ganz neuen Belastungen des Bewegungsapparats», erklärt Müller. «Schmerzen in Knie und Hüfte sind die Folge.»
Unfallfolge: Nur zu 80 % arbeitsfähig
Beeinträchtigt ist die heute 27-Jährige deshalb auch beim Sport: «Zum Beispiel komme ich auf Wanderungen oder Skitouren schnell an meine Grenzen.» Auch sei sie nur zu 80 Prozent arbeitsfähig.
Doch die junge Frau mag nicht klagen. Oder wenn, dann über die Basler Versicherung. Dort hatten ihre Eltern im Jahr 1983 eine Kinder-Unfallversicherung abgeschlossen. Eine solche Versicherung zahlt eine Invaliditätsentschädigung, wenn ein Kind bei einem Unfall bleibende Schäden erleidet.
Geld von der Basler haben Müllers aber bis heute nicht erhalten. «Wir haben nach dem Unfall mit der Versicherung abgemacht, dass mit dem Auszahlen gewartet wird, bis Priska erwachsen ist», erzählt Mutter Alice Müller.
Solche Vereinbarungen sind nach Unfällen von Kindern üblich, weil sich meist erst im Erwachsenenalter zeigt, wie stark jemand durch die Folgen beeinträchtigt ist. Über diese Praxis hat seinerzeit auch der Aussendienstmitarbeiter der Basler die Eltern Müller informiert, wie er dem K-Tipp bestätigt.
Trotzdem erhielt Müllers Anwalt, der Berner Fürsprecher Peter Kaufmann, von der Basler eine abschlägige Antwort, als er sich vor zwei Jahren nach der Invaliditätsentschädigung erkundigte: Die Sache sei «seit längerer Zeit verjährt», der Fall damit «endgültig erledigt».
Auch dem K-Tipp gegenüber verschanzt sich die Basler hinter ihren Allgemeinen Versicherungsbedingungen. «Darin steht eindeutig, dass der Invaliditätsgrad spätestens fünf Jahre nach dem Unfall festgelegt werden muss», schreibt der Leiter Leistungsdienst, Thomas Fischer. «Weder der Anwalt noch die Eltern haben seit dem Unfall Ansprüche geltend gemacht.»
Verhalten der Basler «ist unerhört stossend»
Fürsprecher Kaufmann findet es «unerhört stossend und kundenfeindlich, wenn die Basler mündlich ein Zuwarten bis zum Erwachsenenalter zusichert und später nichts mehr davon wissen will». Widersprüchlich sei auch, dass die Versicherung noch im Jahr 2000 medizinische Unterlagen verlangt habe, um eine Invaliditätsentschädigung zu prüfen.
Dass es überhaupt so weit kommen konnte, haben Müllers nicht Kaufmann, sondern ihrem ersten Anwalt zu «verdanken». Dieser hatte nicht nur bei der Unfallversicherung geschlampt, sondern wollte von der Haftpflichtversicherung des Schulbusses eine Entschädigung von 70 000 Franken akzeptieren. Peter Kaufmann, der den Fall Ende 1999 übernahm, holte einen wesentlich höheren Betrag heraus.
Kommentar von Alice Müller: «Wer sich nicht wehrt, wird von den Versicherungen hereingelegt.»
Bestehen Sie auf Verjährungsverzicht
Falls Ihr Kind schwer verunfallt, sollten Sie folgende Tipps beachten:
- Fragen Sie den Arzt, ob Spätfolgen zu befürchten sind. Wenn ja: Wenden Sie sich an die Rechtsberatungsstelle für Unfallopfer und Patienten U. P. (Tel. 0800 707 277, www.rechts beratung-up.ch). Eine Beratung von 45 Minuten kostet Fr. 80.-. Die U.P. vermittelt auch spezialisierte Anwälte.
- Bei der Suche nach einem spezialisierten Anwalt hilft auch der Schweizerische Anwaltsverband (Tel. 031 313 06 06, www.swiss lawyers.com).
- Falls Sie selber mit der Versicherung abmachen, dass mit der Festlegung des Schadens zugewartet wird, bis Ihr Kind erwachsen ist, verlangen Sie von der Versicherung einen schriftlichen Verzicht auf die Verjährungseinrede.