Kein Strahlen-Schutz auf dem Balkon
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K-Tipp 15/2001
19.09.2001
Mobilfunk-Antennen Grenzwert gilt nur im Innern von Gebäuden
Sollen Menschen auch in Gärten und auf Balkonen vor Antennen-Strahlung geschützt sein? Die Basler Baurekurskommission meint Ja - und stoppt zwei Antennen-Projekte von Orange.
Thomas Müller tmueller@ktipp.ch
Auch hier: Bester Empfang, höchste Tonqualität». Mit dieser Aussage wirbt die Telefongesellschaft Orange auf Plakaten und in Inseraten für ihr immer dichteres Handy-Netz. Mittlerw...
Mobilfunk-Antennen Grenzwert gilt nur im Innern von Gebäuden
Sollen Menschen auch in Gärten und auf Balkonen vor Antennen-Strahlung geschützt sein? Die Basler Baurekurskommission meint Ja - und stoppt zwei Antennen-Projekte von Orange.
Thomas Müller tmueller@ktipp.ch
Auch hier: Bester Empfang, höchste Tonqualität». Mit dieser Aussage wirbt die Telefongesellschaft Orange auf Plakaten und in Inseraten für ihr immer dichteres Handy-Netz. Mittlerweile über 2100 Antennen machens möglich.
Doch der Ausbau des Mobilfunk-Netzes ist jetzt ins Stocken geraten. In Basel haben Anwohner erreicht, dass Orange geplante Antennen auf den Dächern der Liegenschaften Engelgasse 81 und Hegenheimerstrasse 43-49 einstweilen nicht aufstellen darf. Die Baurekurskommission des Kantons Basel-Stadt unter dem Präsidium von Regierungsrätin Barbara Schneider (SP) hat diesen Frühling so entschieden. Die Urteile sind allerdings noch nicht rechtskräftig.
Grenzwert gilt nicht für Terrassen und Gärten
Hintergrund des Streits ist in beiden Fällen die Frage, ob Balkone und Terrassen «Orte mit empfindlicher Nutzung» sind. Für solche Orte schreibt die Verordnung über den Schutz vor nichtionisierender Strahlung (Nis-Verordnung) vor, dass ein Anlagegrenzwert einzuhalten ist.
Dieser Grenzwert soll die Bevölkerung vor Strahlung schützen, deren schädliche Wirkung vermutet wird, aber noch nicht wissenschaftlich belegt ist. Er gilt laut der bundesrätlichen Nis-Verordnung für folgende Örtlichkeiten:
- «Räume in Gebäuden, in denen sich Personen regelmässig während längerer Zeit aufhalten.» Darunter fallen laut Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft (Buwal) etwa Zimmer in Wohnungen und Bürogebäuden, Schulen, Spitälern und Altersheimen.
- Öffentliche und private Spielplätze, die raumplanungsrechtlich festgesetzt sind.
Nicht aufgeführt sind hingegen private Gärten, Balkone und Dachterrassen. Hier müssen die Antennen-Betreiber Swisscom, Sunrise und Orange also den Anlagegrenzwert nicht einhalten.
Für Heidi Soltermann, die zusammen mit 39 weiteren Anwohnern gegen die geplante Orange-Antenne an der Basler Engelgasse kämpft, ist das «ein Witz». «Weshalb sollten Kinder nur auf offiziellen Spielplätzen vor Strahlung geschützt sein, aber nicht, wenn sie zu Hause im Garten spielen?»
«Gravierender Mangel» der Nis-Verordnung
Das versteht auch Armin Braunwalder nicht. Der Geschäftsführer der Schweizerischen Energie-Stiftung spricht von einem «gravierenden Mangel» der Nis-Verordnung. «Auch in Gärten und auf Balkonen halten sich Personen doch längere Zeit auf - zumindest von Frühling bis Herbst.» Dem widerspricht Jürg Baumann, Sektionschef beim Buwal: «Übers Jahr gesehen verbringen die Leute nur einen kleinen Teil ihrer Zeit auf dem Balkon oder im Garten. Deshalb hat der Bundesrat darauf verzichtet, diese Orte als empfindlich einzustufen.»
Für Mieter und Eigentümer von Wohnungen in der Nähe von Natel-Antennen bedeutet das: Der Aufenthalt auf dem Balkon oder im Garten ist aus gesundheitlicher Sicht nicht unbedenklich. «Ich würde meine beiden Balkone nicht mehr benützen, falls die Antenne kommt», sagt Dieter Holzer (Name geändert), der mit seiner Familie in einer Attikawohnung an der Basler Hegenheimerstrasse wohnt - direkt unter einer geplanten Orange-Antenne.
Bereits vorübergehend ausgezogen ist sein Nachbar und Mitstreiter Albrecht Habegger. «Seit im Umkreis von 500 Metern neun Mobilfunk-Antennen stehen, leide ich an Verspannungen, Kopfweh und Schlafstörungen.» Trotzdem sei er froh, dass die Rekurskommission die zehnte Antenne verhindert habe.
Die Kommission kam in beiden Basler Fällen zum Schluss, dass das Weglassen von Balkonen und Terrassen in der Nis-Verordnung mit dem Umweltschutzgesetz nicht vereinbar sei. Orange müsse auch für diese Orte die voraussichtliche Strahlung berechnen und den Anlagegrenzwert einhalten.
Für die Telefongesellschaft ist das ein harter Schlag. Denn im Freien lässt sich der Grenzwert nicht so leicht einhalten wie in Gebäuden, wo Dach und Wände die Strahlen dämmen. Orange hat deshalb das renommierte Basler Anwaltsbüro Vischer beauftragt, die Entscheide beim Verwaltungsgericht anzufechten. In seinen Eingaben schreibt das Büro, das Bundesgericht habe die Nis-Verordnung als «abschliessend» bezeichnet. «Dies hat die Baurekurskommission verkannt, als sie Balkone und Terrassen als Orte mit empfindlicher Nutzung definierte.»
Abschliessend oder nicht? Das kümmert den Kanton Genf wenig. Als einziger Kanton schreibt er vor, dass der Anlagegrenzwert auch auf privaten Balkonen und Terrassen einzuhalten ist.
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So machen Sie eine Baueinsprache
5000 Mobilfunk-Antennen stehen bereits, 4000 weitere werden mit der Umstellung auf UMTS noch dazukommen. Der K-Tipp sagt, wie sich Anwohner wehren können.
Etwas Wichtiges vorweg: Das Baurecht ist kantonal und kommunal unterschiedlich geregelt. Wenden Sie sich deshalb im Zweifel an das Bauamt der Gemeinde, in der die Antenne geplant ist. In den meisten Kantonen gilt:
- Einsprache gegen ein Baugesuch Gegen ein im Amtsblatt publiziertes Baugesuch für eine Natel-Antenne können Sie innert 30 Tagen schriftlich Einsprache erheben. Dazu berechtigt sind Sie allerdings nur, wenn Sie Mieter oder Eigentümerin einer Liegenschaft in der Nähe sind. Ausserdem müssen Sie von den zu erwartenden Immissionen tatsächlich betroffen sein.
Ein Spezialfall ist der Kanton Zürich. Hier können Sie keine Einsprache gegen das Baugesuch erheben, sondern lediglich den Entscheid der Bewilligungsbehörde schriftlich bestellen. Achtung: Es gilt eine Frist von 20 Tagen ab Publikation des Gesuchs. Wer den Entscheid nicht bestellt hat, kann später nicht gegen die Baubewilligung rekurrieren.
- Begründung der Einsprache Falls die im Voraus berechnete Strahlung die Grenzwerte der Nis-Verordnung übersteigt, können Sie sich darauf berufen. Als Einsprachegründe kommen aber auch Verletzungen kantonaler und kommunaler Bau- und Planungsvorschriften in Frage (Zonenkonformität, Ortsbildschutz).
- Rekurs gegen die Baubewilligung Erteilt die zuständige Behörde die Baubewilligung, können Sie in der Regel innert 30 Tagen Rekurs einreichen. Beachten Sie die Rechtsmittelbelehrung!
Spätestens für einen Rekurs sollten Sie einen Anwalt beiziehen. Angesichts der damit verbundenen Kosten ist es sinnvoll, wenn Sie sich mit anderen Betroffenen zusammenschliessen.
- Tipp: Sie können sich vorgängig auch bei der Schweizerischen Energie-Stiftung beraten lassen (Tel. 01 271 54 64). Die Stiftung vermittelt auch Anwälte.
Strahlenmessung - Mobilfunk-Anbieter wehren sich
Dank einheitlicher Messmethoden sollen die Grenzwerte überall sicher eingehalten werden. Doch die Antennen-Betreiber opponieren.
Die Strahlung von Natel-Antennen soll in der ganzen Schweiz einheitlich berechnet und gemessen werden. Zu diesem Zweck hatte das Buwal eine detaillierte Anleitung in die Vernehmlassung geschickt. Der Entwurf stiess auf breite Zustimmung.
Doch kurz vor Ablauf der Vernehmlassungsfrist reichten die Mobilfunk-Betreiber Swisscom, Sunrise und Orange einen eigenen Vorschlag ein, der nun zu einer Verzögerung führt: Die Anleitung kann frühestens Anfang 2002 in Kraft treten.
Die Betreiber schlagen vor:
- Antennen mehrerer Anbieter auf dem gleichen Mast oder dem gleichen Dach sollen nicht mehr gesamthaft beurteilt werden. Jeder Betreiber soll den Grenzwert für sich allein voll ausschöpfen können.
Die Folge laut Buwal: Eine Vervielfachung der Strahlung, welche der Nis-Verordnung widerspricht.
- Die Messunsicherheit, die je nach Messgerät und -zeitpunkt zwischen 25 und 40 Prozent betragen kann, soll vom Messergebnis abgezogen werden.
Die Folge laut Buwal: Der Grenzwert würde in 95 Prozent aller Fälle überschritten. Das Buwal will die Unsicherheit zum gemessenen Wert hinzuzählen, damit der Grenzwert in jedem Fall eingehalten wird.
- Schliesslich wollen die Antennen-Betreiber die durchschnittliche Belastung - und nicht wie das Bundesamt die Höchstbelastung - messen.
Die Folge laut Buwal: Der Grenzwert würde in Wohn- und Schlafräumen lokal massiv überschritten.
Für Buwal-Sektionschef Jürg Baumann steht deshalb fest, dass die Vorschläge der Industrie «zum Teil rechtswidrig sind und den vorsorglichen Schutz der Bevölkerung empfindlich schmälern». Er will sie nun genau analysieren.