Klar unterschätzte Gefahr
Radon ist gefährlich. Das radioaktive Gas verursacht Lungenkrebs. Doch in der Schweiz gilt für Wohnräume ein längst überholter, viel zu hoher Grenzwert.
Inhalt
K-Tipp 06/2011
20.03.2011
Letzte Aktualisierung:
22.03.2011
Gery Schwager
Exakt 25 Jahre nach Tschernobyl wird der Weltöffentlichkeit das riesige Gefahrenpotenzial der Atomenergie erneut vor Augen geführt. Die durch Erdbeben und Tsunami ausser Kontrolle geratenen japanischen AKW machen Angst – auch in der weit entfernten Schweiz.
Dabei besteht die Gefahr, dass vor lauter AKW-Risiken das Bewusstsein für die Risiken radioaktiver Strahlung aus natürlicher Quelle abnimmt: Radon aus dem Boden. Und das ist problematisch, wie Lung...
Exakt 25 Jahre nach Tschernobyl wird der Weltöffentlichkeit das riesige Gefahrenpotenzial der Atomenergie erneut vor Augen geführt. Die durch Erdbeben und Tsunami ausser Kontrolle geratenen japanischen AKW machen Angst – auch in der weit entfernten Schweiz.
Dabei besteht die Gefahr, dass vor lauter AKW-Risiken das Bewusstsein für die Risiken radioaktiver Strahlung aus natürlicher Quelle abnimmt: Radon aus dem Boden. Und das ist problematisch, wie Lungenspezialist Otto Brändli, Präsident von Lunge Zürich, deutlich macht:
«Mindestens 100 000 Menschen sind in der Schweiz dauernd Radonkonzentrationen von über 400 Becquerel pro Kubikmeter (Bq/m3) ausgesetzt. Das ist klar mehr als das, was nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl bloss während einiger Tage in gewissen Schweizer Gebieten aufgetreten ist.»
In der Schweiz sterben laut Bundesamt für Gesundheit jährlich 200 bis 300 Menschen an Lungenkrebs, der durch Radon verursacht wurde. Nur Rauchen ist für noch mehr Opfer verantwortlich.
Das Gas gelangt durch natürliche Kellerböden und undichte Stellen – Ritzen, Fugen, Rohröffnungen usw. – ins Haus und wird mit der aufsteigenden Luft in Wohnräume transportiert. Die radioaktiven Zerfallsprodukte von Radon lagern sich an Schwebeteilchen in der Raumluft ab und gelangen so in die Lunge. Dort bestrahlen sie das Gewebe.
Hohes Risiko für Lungenkrebs
Je nach Region ist die Radonkonzentration im Boden unterschiedlich. Aber auch wenn sie gering ist, kann die Anreicherung in Innenräumen gefährliche Werte erreichen.
Schon vor elf Jahren hat das Bundesamt über die Risiken des Gases festgehalten: «Radon belastet unsere Gesundheit mehr als der Reaktorunfall von Tschernobyl und alle bisher durchgeführten Atomwaffentests.»
Umso unverständlicher ist deshalb, dass in der Schweiz der Grenzwert für die Radonkonzentration in Wohn- und Aufenthaltsräumen nach wie vor 1000 Bq/m3 beträgt. Bei Neu- und Umbauten sowie Sanierungen gilt ein Richtwert von 400 Bq/m3, «soweit dies mit einfachen baulichen Massnahmen erreicht werden kann».
Dass diese 1994 festgelegten Werte viel zu hoch sind, ist aufgrund internationaler Studien seit Jahren bekannt. Demnach ist das radonbedingte Krebsrisiko rund doppelt so gross wie in den frühen 90er-Jahren angenommen.
Die Weltgesundheitsorganisation rät seit 2009 dezidiert, den Grenzwert auf 300 Bq/m3 und den Richtwert auf 100 Bq/m3 zu senken. 300 Bq/m3 in Wohnräumen nicht zu überschreiten, rät inzwischen auch das Bundesamt für Gesundheit.
Ob der Rat zur Vorschrift wird, ist aber offen: «Im Rahmen der Revision der Strahlenschutzverordnung wird die Reduktion des Grenzwertes mit den Interessenvertretern diskutiert», so das Amt, und: «Die Vernehmlassungsvorlage ist für 2012 geplant.»
Auf welchem Niveau Grenz- und Richtwert neu liegen werden, könne man jetzt noch nicht sagen. Arzt Otto Brändli findet das unhaltbar – zumal in Neubauten und energetisch sanierten Häusern wegen der besseren Isolation mit stark steigender Radonkonzentration zu rechnen sei.
«Es ist dringend nötig und technisch machbar, den Richtwert auf 100 und den viel entscheidenderen Grenzwert auf 300 Bq/m3 zu senken», hält er fest. «Das wäre, zusammen mit den Massnahmen zum Schutz vor Passivrauch, die wirkungsvollste Lungenkrebs-Prävention.»
Klarheit für wenig Geld
Die Radonkonzentration lässt sich einfach messen: Für ein Einfamilienhaus brauchts ein bis zwei Dosimeter, die bei anerkannten Messstellen erhältlich sind. Preis pro Stück inkl. Auswertung: 70 bis 100 Franken.
Eine Liste der Messstellen gibts unter www.ktipp.ch. Auf der Website des Bundes finden sich zudem Verzeichnisse der schweizerischen Radonfachleute und der kantonalen Radonkontaktstellen, eine Karte und eine Suchmaschine zu Radongebieten sowie viele Infos über bauliche Massnahmen – auch im Zusammenhang mit energetischen Gebäudesanierungen.