Kommt eine Fräse geflogen...
Für die Wohngebiete bei Flughäfen gelten in der Schweiz Alarmwerte zwischen 60 und 65 Dezibel. K-Tipp-Messungen ergeben jedoch Spitzenwerte, die viel höher liegen.
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K-Tipp 17/2003
15.10.2003
Georges Müller - gmueller@ktipp.ch
Die Geissbergstrasse liegt in einem Wohngebiet der Zürcher Vorortsgemeinde Kloten, eines der dem Flughafen am nächsten liegenden Quartiere. Kurz nach 21 Uhr macht sich weit hinten im Dunkeln ein entferntes Brummen bemerkbar, das rasch näher kommt, lauter wird und in ein schrilles Kreischen übergeht. Jetzt schiessen Positionslichter und Landescheinwerfer eines Flugzeugs über einem Mehrfamilienhaus ins Blickfeld. Der Lärm ist ohrenbetäubend. Doch so schnell wie der Jumbolino gekommen ist, v...
Die Geissbergstrasse liegt in einem Wohngebiet der Zürcher Vorortsgemeinde Kloten, eines der dem Flughafen am nächsten liegenden Quartiere. Kurz nach 21 Uhr macht sich weit hinten im Dunkeln ein entferntes Brummen bemerkbar, das rasch näher kommt, lauter wird und in ein schrilles Kreischen übergeht. Jetzt schiessen Positionslichter und Landescheinwerfer eines Flugzeugs über einem Mehrfamilienhaus ins Blickfeld. Der Lärm ist ohrenbetäubend. Doch so schnell wie der Jumbolino gekommen ist, verschwindet er wieder und mit ihm der Lärm. Wenige Sekunden später setzt die Maschine auf der Westpiste des Zürcher Airports auf.
Fluglärm doppelt so laut wie Autoverkehr
Der K-Tipp hat diesen Vorgang mit einem geeichten Lärmmessgerät mitverfolgt. Beim Überflug der Passagiermaschine registrierte es einen Maximalwert von 87 Dezibel. Fünf Minuten später der nächste Überflug. Diesmal stehen 84 Dezibel auf der Anzeige. Auch die weiteren Landungen in Kloten führen an der Geissbergstrasse zu ähnlichen Lärmwerten.
Gemäss der Suva-Lärmtabelle entsprechen die gemessenen Fluglärm-Spitzenwerte dem Krach, dem man ausgesetzt ist, wenn man neben einer Fräsmaschine steht (siehe Grafik). Der Lärm einer überfliegenden Verkehrsmaschine ist doppelt so laut wie durchschnittlicher Strassenverkehr. Denn ein Anstieg des Lärmpegels um 10 Dezibel bedeutet eine Verdoppelung der Lautstärke.
Die K-Tipp-Werte von 87 Dezibel liegen also deutlich über den Alarmwerten, die die Eidgenössische Lärmschutzverordnung für Wohnzonen wie jene in Kloten festlegt: 60 (nachts) bis 65 Dezibel. Diese Zahl wird unter Einbezug des Faktors Zeit berechnet und reduziert sich immer mehr, je weniger Überflüge in einer Stunde stattfinden.
Die offiziellen Grenzwerte sind also nicht aussagekräftig, wenn es darum geht aufzuzeigen, wie stark die Menschen in unmittelbarer Flughafennähe effektiv unter dem Lärm zu leiden haben. Fakt aber ist: Bei 80 Dezibel und mehr müssen im Freien geführte Gespräche unterbrochen werden, an Schlafen bei offenem Fenster ist nicht zu denken.
Daran wird sich ab Ende Oktober nur beschränkt etwas ändern. Ab diesem Termin sollen die Anwohnerinnen und Anwohner in Kloten «nur» noch die Hälfte der insgesamt 28 000 Anflüge pro Jahr ertragen - vor allem abends und bei starkem Westwind auch tagsüber. Die andere Hälfte der Landungen soll von Süden her erfolgen, insbesondere jene am frühen Morgen.
Gestörter Schlaf ist keine Lappalie
Die Vereinigung der Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz verlangt eine Ausweitung des strikten Nachtflugverbots von 6 auf 8 Stunden. Mit gutem Grund: Gestörter Schlaf, so betont Bernhard Aufdereggen von der Vereinigung, sei keine Lappalie: Menschen, deren Nachtruhe eingeschränkt wird, seien nur vermindert leistungsfähig und krankheitsanfälliger. Chronische Schlaflosigkeit könne schwer wiegende gesundheitliche Folgen haben. Mit der ständigen Einnahme von Schlaf- und Schmerzmitteln sei das Problem auch nicht gelöst. Zudem zeigten Kinder laut Aufdereggen verminderte Konzentrationsfähigkeit und seien in ihrer Lesefähigkeit eingeschränkt.