«Kriminelle Nachlässigkeit»
Inhalt
K-Tipp 15/2000
20.09.2000
Antiraucher-Lobby kritisiert die Zigarettenindustrie
Verbesserte Filter könnten das Gesundheitsrisiko beim Rauchen markant senken. Doch die Tabakindustrie halte solche Pläne unter Verschluss. Das behauptet die Antiraucher-Lobby.
Thomas Vonarburg thvonarburg@k-tip.ch
Die Verbindung der Schweizer Ärzte schlägt Alarm: «10 000 vorzeitige Todesfälle und mehrere 100 000 Krankheitsfälle könnten in der Schweiz vermieden werden, die auf den Tabakkonsum...
Antiraucher-Lobby kritisiert die Zigarettenindustrie
Verbesserte Filter könnten das Gesundheitsrisiko beim Rauchen markant senken. Doch die Tabakindustrie halte solche Pläne unter Verschluss. Das behauptet die Antiraucher-Lobby.
Thomas Vonarburg thvonarburg@k-tip.ch
Die Verbindung der Schweizer Ärzte schlägt Alarm: «10 000 vorzeitige Todesfälle und mehrere 100 000 Krankheitsfälle könnten in der Schweiz vermieden werden, die auf den Tabakkonsum zurückzuführen sind.» Und die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass allein in den Entwicklungsländern seit 1950 mehr als 60 Millionen Menschen an den Folgen des Rauchens gestorben sind - dies sind mehr Tote als während des ganzen Zweiten Weltkrieges.
Auch das Bundesamt für Gesundheit kommt zu alarmierenden Schlüssen: Das Rauchen verursache soziale Kosten von jährlich gegen 10 Milliarden Franken. Das entspricht rund 2,7 Prozent des Bruttoinlandproduktes (siehe auch K-Tip 13 und 14/00).
So müsste eigentlich von der Zigarettenindustrie zu erwarten sein, dass sie nichts unterlässt, um das Gesundheitsrisiko mit effizienten Filtern möglichst klein zu halten. Doch dem ist nicht so.
Gemäss einer Studie der britischen Organisationen Action on Smoking and Health (ASH) und Imperial Cancer Research Fund (ICRF) liess zwar die Tabakindustrie in den letzten 35 Jahren weltweit 58 Systeme patentieren, mit denen das Gesundheitsrisiko markant herabgesetzt werden könnte. Doch keine dieser Methoden sei bis heute verwendet worden. Nach Angaben der Studien-Autoren besitzt der Konzern British American Tobacco (BAT) seit 18 Jahren ein Patent auf ein Verfahren, mit dem das hochgiftige Kohlenmonoxid vollständig ausgefiltert werden könnte. Und Philip Morris habe bereits 1981 herausgefunden, wie sich mit einem modifizierten Filter der Blausäure-Gehalt im Zigarettenrauch deutlich senken liesse.
Yves Romanens, Pressesprecher der Vereinigung der schweizerischen Zigarettenindustrie - sie produzierte 1999 32 Milliarden Glimmstengel -, erklärt, die Produzenten hätten «keinen Grund, solche produktionsreifen Verfahren zur Schadstoffreduktion zu ignorieren». Romanens: «Die Fabrikanten produzieren, was die Konsumenten wünschen, und unternehmen in der Schweiz sehr vieles im Bereich der Filtertechnologie.» Bei einem Anteil von 98,6 Prozent Filterrauchern sei die Tabakindustrie «sehr an optimierten Filterzigaretten interessiert».
Peter Fumagalli, Laborleiter bei der Camel Zigaretten Reynolds Tobacco AG in Dagmersellen LU, sind die Vorwürfe von ASH und ICRF neu: «Produktionsmethoden für wesentlich schadstoffärmere Zigaretten sind mir nicht bekannt. Wir unternehmen bereits heute alles, um den Kohlenmonoxid-Gehalt in den Zigaretten möglichst tief zu halten.»
Doch weshalb sollte die Tabakindustrie ihre Forschungsergebnisse nicht umsetzen? Einerseits wird vermutet, dass die Herstellung von Zigaretten, die wesentlich weniger Schadstoffe enthalten, aufwändig und entsprechend teuer ist.
Laut ASH und ICRF stecken dahinter auch «psychologische Gründe». Sie verweisen auf ein vertrauliches Schreiben der BAT-Geschäftsleitung aus dem Jahr 1986. Darin heisst es: «Wenn wir ausdrücklich "sichere" Zigaretten entwickeln, unterstreichen wir doch nur, dass wir bisher gefährliche Zigaretten herstellten - und das ist ein Eindruck, den wir nicht vermitteln sollten.»
In der Zeitschrift New Scientist zeigte sich der britische Rechtswissenschaftler Richard Danyard empört über diese Haltung: «Obwohl die Tabakfirmen längst wissen, was zu tun wäre, damit es weniger Tote gibt, produzieren sie unverdrossen Zigaretten wie bis anhin. Diese Nachlässigkeit ist schlicht kriminell!»