Kürzung von IV-Renten amtl. bew.
Die Revision der Invalidenversicherung bringt die von den Behindertenverbänden geforderte Dreiviertelsrente. Nachteil: Etliche Invalide erhalten weniger Geld.
Inhalt
K-Tipp 19/2003
12.11.2003
Ernst Meierhofer - emeierhofer@ktipp.ch
Falls eine behinderte Person nur von der Rente der Invalidenversicherung (IV) leben muss, ist sie arm dran; die gegenwärtig maximale Rente liegt bei 2110 Franken pro Monat.
Etliche dieser Rentenbezüger müssen ab nächstem Jahr den Gürtel noch enger schnallen: Sie erhalten nur noch 1583 Franken.
Schuld ist die Dreiviertelsrente. Im Januar 2004 tritt die 4. Revision des IV-Gesetzes in Kraft - und die bringt eine Änderung der Rentenabstufung (siehe Kasten Seite 33...
Falls eine behinderte Person nur von der Rente der Invalidenversicherung (IV) leben muss, ist sie arm dran; die gegenwärtig maximale Rente liegt bei 2110 Franken pro Monat.
Etliche dieser Rentenbezüger müssen ab nächstem Jahr den Gürtel noch enger schnallen: Sie erhalten nur noch 1583 Franken.
Schuld ist die Dreiviertelsrente. Im Januar 2004 tritt die 4. Revision des IV-Gesetzes in Kraft - und die bringt eine Änderung der Rentenabstufung (siehe Kasten Seite 33, oben):
- Für eine ganze Rente braucht es künftig einen Invaliditätsgrad von mindes-tens 70 Prozent; bis anhin genügten 662/3 Prozent. Der Invaliditätsgrad einer teilweise erwerbsunfähigen Person ergibt sich aus dem Einkommensvergleich (siehe Kasten unten).
- Mit einem Invaliditätsgrad zwischen 60 und 70 Prozent erhalten Betroffene künftig eine Dreiviertelsrente. Das ist neu.
Die Verschiebung schafft einerseits Verlierer: Behinderte mit einem Invaliditätsgrad zwischen 662/3 und 69,9 Prozent erhalten künftig - wie geschildert - statt einer ganzen Rente nur noch eine Dreiviertelsrente. Betroffen sind gemäss Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) schweizweit 3722 Personen.
Die Behindertenverbände, die die Dreiviertelsrente befürwortet hatten, waren sich dieses Nachteils bewusst. Sie haben deshalb das Parlament aufgefordert, den Betroffenen den vollen Besitzstand zu gewähren. Die Änderung hätte also nach ihrem Willen nur künftige «neue» IV-Rentner betroffen, die jetzigen Bezüger hingegen nicht.
Übergangsregelung blieb auf der Strecke
Doch das Parlament verlegte sich aufs Sparen und sicherte diesen Besitzstand nur den über 50-jährigen Bezügern einer ganzen IV-Rente zu. Auch der Wunsch nach einer verlängerten Übergangszeit blieb in Bern unerfüllt.
Folge: Die Betroffenen werden irgendwann im Verlauf des Jahres 2004 von ihrer IV-Stelle eine neue Rentenverfügung erhalten. Die gekürzte Rente gilt dann ab dem 1. des übernächsten Monats. Kommt also der Bescheid beispielsweise im Mai, gilt er ab Juli.
Ärgerlich ist die Rentenreduktion auch für Unfallopfer, die zu einem früheren Zeitpunkt eine einmalige Schadenersatzzahlung von einem haftpflichtigen Unfallverursacher erhalten haben. Solche Entschädigungen sollen zusammen mit den Sozialversicherungen den Erwerbsausfall ersetzen. Sinkt aber die IV-Rente später, müssen sich die Geschädigten jetzt unter Umständen damit abfinden, dass sie damals zu wenig erhalten haben - und dass ihnen keine Chance bleibt, diesen Fehlbetrag im Nachhinein einzufordern.
Die höhere Rente kommt rückwirkend
Auf der anderen Seite gibt es Gewinner: Heutige Bezüger einer halben Rente, deren Invaliditätsgrad zwischen 60 und 662/3 Prozent liegt, erhalten künftig eine Dreiviertelsrente. Das sind gemäss BSV 9018 Personen.
Ein Beispiel: Hatte die Person vor ihrer Invalidität im Jahresdurchschnitt mindestens 75960 Franken verdient, steigt ihre Rente von 1055 (50 Prozent der Maximalrente von 2110 Franken) auf 1583 Franken (75 Prozent). Betrug das massgebende durchschnittliche Einkommen früher nur 40 000 Franken, steigt die Rente von 819 auf 1229 Franken (immer unter der Voraussetzung, dass bis zum Eintritt der Erwerbsunfähigkeit keine Beitragsjahre fehlen).
Stossend ist nur: Das BSV hat - gestützt auf die Übergangsbestimmungen des neuen Gesetzes - gefordert, dass die Renten dieser Gewinner zwar ebenfalls noch im Jahr 2004 anzupassen sind, aber erst in zweiter Priorität; diejenigen der Verlierer hingegen seien «in erster Priorität» zu revidieren.
Das heisst: Viele Betroffene werden die höhere Rente vielleicht erst gegen Ende 2004 erhalten - dann allerdings rückwirkend auf den 1. Januar 2004.
Das sind die wichtigsten Tipps für Betroffene:
- Die Revisionen der IV-Renten erfolgen von Amtes wegen. Im Prinzip muss sich niemand selber melden.
- «Verlierer» mit einem Invaliditätsgrad zwischen 662/3 und 69,9 Prozent sollten fachkundige Beratung suchen (siehe Kasten unten). Es könnte durchaus sein, dass geänderte persönliche Umstände einen neu berechneten Invaliditätsgrad von 70 Prozent oder mehr ergeben. Dann hätten sie auch künftig eine ganze Rente zugut. Nicht vergessen: Alle IV-Rentner mit sehr niedrigem Einkommen haben Ergänzungsleistungen zugut.
- Auch Invalide, die von der Unfallversicherung Leistungen beziehen, sollten ihren Fall prüfen lassen. Es ist denkbar, dass sie von der Unfallversicherung künftig mehr Geld erhalten, falls die IV weniger zahlt.
- Bezüger einer halben IV-Rente mit einem Invaliditätsgrad knapp unter 60 Prozent sollten sich ebenfalls beraten lassen. Vielleicht schaffen sie den Sprung auf die Dreiviertelsrente.
- «Gewinner» können sich bei ihrer IV-Stelle melden und bitten, ihre Revision schneller voranzutreiben. Dann erhalten sie die höhere Rente unter Umständen schneller.
So wird der Invaliditätsgrad bestimmt
Der Grad der Invalidität richtet sich nicht nach dem Gesundheitsschaden, sondern nach der dadurch bewirkten Erwerbseinbusse, die mit dem so genannten Einkommensvergleich bestimmt wird.
Zu ermitteln ist einerseits das Valideneinkommen; das ist das Einkommen, das die Person ohne Invalidität voraussichtlich verdienen würde.
Die zweite Bestimmungsgrösse ist das Invaliden-einkommen, also das, was die Person angesichts ihrer gesundheitlichen Behinderung jetzt noch verdienen könnte. Dabei wird einerseits auf die medizinische Beurteilung abgestellt, andererseits entweder auf das effektiv noch erzielte Einkommen oder auf statistische Lohnerhebungen.
Beispiel: Ein Arzt attestiert einer Person, sie könne nur noch vier Stunden am Tag arbeiten, und zwar abwechslungsweise sitzend/stehend/gehend, und sie dürfe nicht mehr als fünf Kilo heben. Darauf gestützt muss die IV festlegen, wie viel diese Person unter diesen Umständen noch verdienen kann.
Ein Rechenbeispiel: Bei einem Valideneinkommen von 46405 Franken und einem Invalideneinkommen von 21107 Franken beträgt der Invaliditätsgrad 54,5 Prozent.
Beratung für Invalide
- Rechtsberatungsstelle für Unfallopfer und Patienten U.P. - Werdstrasse 36 - 8004 Zürich - Tel. 0800 707 277 (gratis) - www.rechtsberatung-up.ch
Juristinnen und Juristen prüfen Ihre Anliegen, zeigen Ihnen, wie Sie zu Ihrem Recht kommen, und vermitteln Ihnen kompetente Anwältinnen und Anwälte in der ganzen Deutschschweiz. Das Sekretariat reserviert Ihnen einen Termin. Eine Beratung von rund 45 Minuten kostet 80 Franken.
- Procap Schweizerischer Invaliden-Verband - Froburgstrasse 4 - Postfach, 4601 Olten - Tel. 062 206 88 77 - www.procap.ch
Procap, der Schweizerische Invaliden-Verband, ist die grösste Selbsthilfeorganisation für Menschen mit Handicap. Er bietet seinen Mitgliedern unter anderem Kontakte, Beratung, Rechtsschutz in sämtlichen Fragen der Sozialversicherung, Kurse in allen Belangen der Selbsthilfe und Ferienangebote.