Männliche Verhütung - Hodenbaden statt Hormone
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Gesundheitstipp 3/2001
01.03.2001
Stefan und Beat, zwei Verhütungs-Pioniere, entwickelten einen heissen Stuhl für Männer
Wenn es nach der Pharmaindustrie ginge, wäre Verhüten Frauensache. Das passt vielen Männern nicht. Auch sie wollen Verantwortung übernehmen. Einige erprobten eine ungewöhnliche Methode: Das Hodenbaden.
Stephan Pfäffli redaktion@pulstipp.ch
Die Szene erinnert an ein Kuriositätenkabinett: Beat und Stefan sitzen halb nackt auf einer eigenartigen Stuhlkonstruk...
Stefan und Beat, zwei Verhütungs-Pioniere, entwickelten einen heissen Stuhl für Männer
Wenn es nach der Pharmaindustrie ginge, wäre Verhüten Frauensache. Das passt vielen Männern nicht. Auch sie wollen Verantwortung übernehmen. Einige erprobten eine ungewöhnliche Methode: Das Hodenbaden.
Stephan Pfäffli redaktion@pulstipp.ch
Die Szene erinnert an ein Kuriositätenkabinett: Beat und Stefan sitzen halb nackt auf einer eigenartigen Stuhlkonstruktion. In der Sitzfläche ist ein Becken mit Wasser eingelassen, mit schaltbarem Tauchsieder und eingebautem Wärme-Regler. Vorsichtig tauchen die beiden ihren Hodensack ins heisse Wasser. Sie haben ein kleines Gewicht daran befestigt, damit die Hoden nicht an der Oberfläche schwimmen.
Beat und Stefan müssen aufpassen. Trotz Regler schwankt die Temperatur. Und zu heisses Wasser tut weh. Um die empfindliche Haut zu schützen, trägt Beat eine Unterhose mit einem Loch für die Hoden.
Stefan und Beat sind Verhütungspioniere. Sie gehören zu einer politisch motivierten Gruppe von sechs Männern. Diese setzt sich seit Ende der Achtzigerjahre mit dem Rollenverhalten der Geschlechter auseinander - und damit auch mit Verhütungsmethoden für Männer. Denn die gebräuchlichen Mittel kommen für sie nicht in Frage. Gemeinsam entwickeln sie das Hodenbaden. Drei Wochen lang baden die Männer ihre Hoden täglich während 45 Minuten bei 45 Grad. Denn Wärme unterdrückt die Spermien-Produktion.
Dem Mann bleibt nur Unterbindung oder Kondom
Aufs Hodenbaden sind sie gekommen, weil es keine teure Technik ist und ohne Hormone auskommt. Zudem müssen sich Männer bei dieser Art des Verhütens mit ihrem Körper auseinander setzen, mit der eigenen Fruchtbarkeit und Sexualität.
Auch heute - zehn Jahre später - existieren für den Mann gerade mal zwei ernst zu nehmende Methoden: das Kondom und die Unterbindung. Das Kondom steht im Ruf eines Lust-Killers. Und die Sterilisation ist in der Regel nicht mehr rückgängig zu machen. Christian Rüedi von der Urologischen Abteilung des Unispitals Zürich empfiehlt sie nur, wenn «der Mann den Kinderwunsch begraben hat». So bleibt noch der Rückzieher, der so genannte Koitus interruptus. Aber ihn kann man kaum als Verhütungsmethode bezeichnen, denn jeder fünfte hat Folgen: Die Frau wird schwanger.
Trotz dieses Notstands geht die Suche nach neuen Verhütungsmitteln für Männer nur im Schneckentempo voran. Eine deutsche Firma pröbelt schon seit Jahrzehnten an einer Männerpille. Aber unlängst vertröstete ihr Forschungsleiter die Männer, sie müssten sich noch fünf bis zehn Jahre gedulden. Beat: «Die Pharmaindustrie entwickelt fast ausschliesslich Verhütungsprodukte für die Frau und bürdet ihr einseitig die Last der Verhütung auf. Alles geht immer um Profit und Kontrolle.» Für ihn und Stefan ist das «ein Ausdruck des Patriarchats».
Auch Puls-Tipp-Arzt Thomas Walser setzt sich für das Hodenbaden ein: «Es gibt für den Mann ja fast keine Alternativen.» Walser hat die Hodenbader in die medizinische Labortechnik eingeführt. In aufwändiger Kleinarbeit haben diese eigenständig ein Labor aufgebaut, um die regelmässigen Fruchtbarkeitsanalysen selber machen zu können. Jeden dritten Tag überprüfen sie unter dem Mikroskop ihre Spermien.
Nach drei Wochen kaum mehr Spermien
Und diese Art der thermischen Verhütung funktioniert: Analysen unter dem Mikroskop zeigen, dass die Produktion und Beweglichkeit der Spermien erheblich abnehmen. Ihre Menge reduziert sich nach der dritten bis vierten Woche am stärksten. Teilweise können die Hodenbader unter dem Mikroskop gar keine Spermien mehr sehen. Zudem kann sich auch die Spermienform verändern. Sie bekommen plötzlich zwei Schwänze oder unförmige Köpfe. So können sie nicht mehr mit der Eizelle verschmelzen.
Wenn die Temperatur etwa 2 Grad unter jener des Körpers ist, produzieren die Hoden am meisten Spermien - bei rund 35 Grad. Deshalb liegen die Hoden ausserhalb des Körpers im Hodensack. Die besonders gefaltete Haut des Beutels und speziell angeordneten Blutgefässe sorgen für eine gleich bleibende Temperatur.
Natürliches Kühlsystem sorgt für Idealtemperatur
Für den Temperaturausgleich sorgt vor allem das «Hoden-Jo-Jo»: Wenn es kalt ist, zieht sich der Hodensack zusammen und bringt damit die Hoden näher zum wärmenden Körper. Ist es zu warm, erschlafft der Hodensack und die Hoden rutschen vom Körper weg. Schon wenig Hitze oder lang anhaltende Überwärmung kann aber das Kühlsystem über die Grenzen belasten. Fieber, regelmässiges Benützen der Sauna oder auch enge Hosen können genügen.
Die Methode funktioniert: Alle sechs Hodenbader bleiben zwischen vier und acht Wochen lang unfruchtbar. Unter dem Mikroskop sind keine Spermien mehr auffindbar. Denn ein Spermiumfaden kann ausreichen, um ein Ei zu befruchten. Zwar ist es unwahrscheinlich, Vater zu werden mit weniger als 10 Millionen Spermien pro Milliliter. Männer produzieren durchschnittlich zwischen 60 und 120 Millionen.
Nach zwei Monaten normalisieren sich die Werte wieder. Keiner der Hodenbader zeugte in der Versuchsphase ein Kind, obwohl die Frauen in dieser Zeit nicht verhüteten.
Trotz dieses erstaunlichen Erfolgs hat die Methode den Durchbruch nicht geschafft. Auch kann man die Ergebnisse aus einer solch kleinen Gruppe nicht verallgemeinern.
Für die Hodenbaden-Methode existiert bis heute kein so genannter Pearl-Index. Der Index ist ein Mass dafür, wie zuverlässig eine Verhütungsmethode wirkt. Der Puls-Tipp-Arzt Thomas Walser schätzt, dass der Index bei dieser Methode zwischen 1 und 10 liegt. Das heisst, bei 100 Paaren, von denen der Mann ein Jahr lang mit Hodenbaden verhütet, werden zwischen einer und zehn Frauen bei einem regen Liebesleben schwanger.
Trotz Erfolg - Aufwand ist für viele Männer zu gross
Die Gruppe will trotz des Erfolgs das Experiment - auch wegen der HIV-Problematik - nicht wiederholen. Stefan: «Der zeitliche und technische Aufwand ist letztlich sehr gross. Ich würde heute eine verfeinerte Wärmemethode anwenden.» Für Beat ist das Thema hingegen noch lange nicht vom Tisch. Er sammelt Informationen über Verhütungsmethoden für den Mann und vermittelt sein Wissen weiter: «Es gibt immer noch ein grosses Interesse an der Wärmemethode und an verantwortungsvollem Verhüten für Männer», ist er überzeugt.
Thermische Verhütung - Heisser Sand und Wärmehöschen
Thermische Verhütung war schon früher in verschiedenen Kulturkreisen bekannt. Afrikanische und arabische Männer sollen ihre Hoden in den warmen Sand gehalten oder gesonnt haben. In China soll es Thermosflaschen für die Hoden gegeben haben, um künstlich eine Überwärme zu schaffen.
In den Sechzigerjahren hielt der amerikanische Mediziner und Professor John Rock Studenten dazu an, isolierte Hodensackhalter zu tragen. Und in den Achtzigerjahren führte eine französische Männergruppe ebenfalls Experimente mit Wärmehöschen durch. Mitte der Neunziger- jahre entwickelte der französische Arzt Roger Miesset eine Methode zur milden Hodenerwärmung. Dabei müssen Männer die Hoden ins Körperinnere zurückschieben. Ein spezieller Gummiring hält die Hoden in dieser Position. Während des dreimonatigen Experiments nahm die Samenzahl um 80-95 Prozent ab.