Die grosse Mehrheit der Konsumenten kauft Wein fast ausschliesslich mit dem Auge», sagt Chandra Kurt, die in ihrem Einkaufsführer «Weinseller» jährlich über 700 Weine aus den Regalen der Grossverteiler benotet. «Was genau auf der Etikette steht, interessiert nur wenige.»
Produzenten, Importeure, Verkäufer - alle wissen das und nützen es auch aus. Selbstverständlich nicht bei Markenwein wie einem spanischen Faustino oder bei einem teuren Château Lafitte, sondern bei industriell und in grossen Mengen hergestellten Weinen. Das betrifft weit über die Hälfte des Gesamtangebots, und dem Kunden werden Vielfalt und Exklusivität vorgegaukelt, die nicht vorhanden sind.
Und so geht das Verwirrspiel: «Im einfachsten Fall liefert ein Produzent oder Händler einen Wein mit einer roten Etikette an Ladenkette A und mit einer blauen an Ladenkette B», erklärt Jean-Pierre Mürset von der Weinhandels-Firma Garnier in Münchenbuchsee BE.
Das ist legal, solange alle Etiketten die gesetzlich vorgeschriebenen Mindestangaben enthalten wie Name und Adresse des Produzenten oder Abfüllers, Herkunftsland und eine Sachbezeichnung im Sinne von Rot- oder Weisswein.
Ganz Raffinierte ändern je nach Verkaufsgeschäft jedoch nicht nur die Farbe der Etikette, sondern auch das Sujet und eventuell sogar die Form der Flasche. Auch mit den Namen wird gespielt.
Zwei Beispiele: Im Mai verkaufte Carrefour einen Cabernet Sauvignon 2001 aus Frankreich unter dem Namen Cépage de Prestige VdP, bei Pick Pay heisst derselbe Wein Cabernet Sauvignon Fleurville und ist 70 Rappen günstiger.
Oder der Dôle Gloire du Rhône 2001. Der stand im Mai auch bei Carrefour im Regal - und nur wenige Zentimeter daneben und Fr. 1.60 günstiger sein Doppelgänger, schlicht Dôle genannt. Statt einem Zapfen hat er einen Drehverschluss. Beide Weine wurden von der Walliser Weingenossenschaft Provins abgefüllt.
Auf Anfrage bestätigt Mürset, dass es sich bei den Beispielen je zweimal um denselben Roten handelt. «Für den Laien, der das Kleingedruckte auf den Etiketten nicht liest und vergleicht, sind das zwei verschiedene Weine», sagt er. Im Falle des Dôle bestreitet Provins dies jedoch. Aber Mürset bleibt bei seiner Meinung und erklärt: «Werden Produzenten und Verkäufer ertappt, brauchen sie jeweils Ausreden, wie der eine Wein stamme aus dem linken, der andere aus dem rechten Tank.» Diese Praxis bestätigt auch Christoph Ritter von der Weinhandelsfirma Divo in Penthalaz VD. «Wir alle in der Branche wissen, dass es so läuft, aber wir hängen es nicht an die grosse Glocke.»
Egal, ob es sich um Rebensaft aus Afrika, Übersee, den Nachbarländern oder aus heimischer Produktion handelt: Dank solchen Tricks können Winzer und Importeure ihre Ware ohne Imageverlust günstig beim Discounter und etwas teurer in Fachgeschäften absetzen.
Zum Teil verlangt der Endverkäufer selber spezielle Etiketten- und Flaschenkreationen, um sich von der Konkurrenz abzuheben. Hat ein Wein dem Kunden gemundet, soll er ihn zumindest optisch ausschliesslich in seinem Laden wieder finden. «Das ist Marketing», sagt stellvertretend für andere Weineinkäufer Thomas Dürlewanger vom Grossverteiler Spar.
Viel weiter lässt man sich in der Branche aber nicht auf das Thema ein. Kein Händler oder Verkäufer hausiert mit der Tatsache, dass sein als «exklusiv» angepriesener Tropfen bei näherer Betrachtung vielleicht doch nur ein Massenprodukt ist.
Das gilt erst recht für die Gastronomie, in der nebst Spezialitäten auch ganz gewöhnlicher Wein ausgeschenkt wird. Eigene Etiketten sind für die meisten Wirte ein Muss, denn kaum ein Gast hat Freude, wenn er den teuren Tropfen später für einen Spottpreis im Laden nebenan entdeckt.
Das Geschäft mit der Etikettenkosmetik ist so erfolgreich, dass häufig «nicht einmal spezialisierte Weinhändler wissen, welcher ihrer Weine wo und mit welcher Etikette auch noch verkauft wird», sagt Barbara Meier von der Weinzeitschrift «Vinum». Das wüssten nur Produzenten und Importeure.
Die aber hüllen sich in Schweigen, denn «niemand will seine Abnehmer verärgern oder verlieren», meint Jean-Pierre Mürset.
Der Garnier-Mann gibt Weinkäufern den folgenden Tipp: «Je goldener die Etikette und je spezieller die Flasche, desto gewöhnlicher ist meist der Wein.»