Mit 400 PS ausser Kontrolle
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K-Tipp 16/2000
04.10.2000
Die Lust an starken Sportwagen erhöht die Zahl der Unfälle
Das Geschäft mit superschnellen Autos blüht. Gekauft, geleast oder gemietet bieten sie «Fahrspass pur». Das Problem: Besonders junge Kunden sind von den Boliden überfordert. Der Branche ist das egal.
Markus Kellenberger mkellenberger@k-tip.ch
Das Geschenk wurde dem Bräutigam zum Verhängnis: An einem Sonntag Ende August - wenige Wochen nach der Hochzeit - durfte der 25-jährige Antonio...
Die Lust an starken Sportwagen erhöht die Zahl der Unfälle
Das Geschäft mit superschnellen Autos blüht. Gekauft, geleast oder gemietet bieten sie «Fahrspass pur». Das Problem: Besonders junge Kunden sind von den Boliden überfordert. Der Branche ist das egal.
Markus Kellenberger mkellenberger@k-tip.ch
Das Geschenk wurde dem Bräutigam zum Verhängnis: An einem Sonntag Ende August - wenige Wochen nach der Hochzeit - durfte der 25-jährige Antonio Tirenzi aus Muttenz BL auf Kosten seines Schwiegervaters einen Miet-Ferrari pilotieren. Doch auf der Fahrt geriet der 400 PS starke Sportwagen bei überhöhter Geschwindigkeit ausser Kontrolle, schleuderte und knallte gegen einen Baum. Tirenzi verbrannte im Wagen. Er könnte noch leben, wenn sich die Vermieter derartiger Boliden an die Empfehlung von Verkehrsspezialisten hielten.
«Solche Autos sollten Leuten unter 30 Jahren nicht anvertraut werden», predigt etwa Alfred Trachsler vom Schweizerischen Verkehrssicherheitsrat. Seine Bibel: die Statistik! Schwarz auf weiss belegt sie Jahr für Jahr, dass 18- bis 25-jährige Autofahrer doppelt so viele Unfälle verursachen wie alle anderen Versicherten. Hauptursache: Nichtbeherrschen des Wagens und zu schnelles Fahren.
Keine Vorschriften für Vermieter von Sportwagen
Trotz dieser Binsenwahrheit schreibt der Autovermieter-Verband seinen Mitgliedern keine Alterslimite für Mieter potenter Sportwagen vor.
«Unsere Mitglieder entscheiden das selber», sagt Verbands-Geschäftsführer Jürg Eckstein. Eine K-Tip-Stichprobe zeigte: Die Mehrheit der Vermieter drückt die Zündschlüssel für Renner wie Audi TT, Porsche oder Ferrari nur Leuten ab 25 in die Hände. Aber nicht ganz freiwillig, sondern weil sie sonst extrem hohe Versicherungsprämien für die Miet-Flitzer zahlen müssten. Trachsler: «Es geht ihnen nur ums Geld, nicht um die Verantwortung.»
«Die Autobranche tut sich gesamthaft schwer mit der Verantwortung», klagt auch Roland Wiederkehr, EVP-Nationalrat und Präsident der Vereinigung der Familien von Strassenopfern.
Er verlangt keine Altersbeschränkung für Sportwagenmieter, sondern eine Leistungsbegrenzung. «Im Interesse der Sicherheit», findet er, «sind PS-Stärke und Höchstgeschwindigkeit den gesetzlich vorgeschriebenen Limiten anzupassen.» Bisher hat er es aber nicht geschafft, den Autoherstellern Sand ins Getriebe zu streuen. Vor zwei Wochen erst hat die Autolobby im Nationalrat sein entsprechendes Postulat gebodigt.
Aus gutem Grund. Regelmässig bringen Autohersteller schnellere und kräftigere Wagen auf den Markt. Von 0 auf 100 in null Komma nichts und Pferdestärken bis zum Abwinken sind - besonders bei jungen Menschen - zugkräftige Verkaufsargumente.
Die Beratungsstelle für Unfallverhütung BfU hat vor zwei Jahren in einer Studie nachgewiesen, dass die Autowerbung lieber mit Angaben zu Geschwindigkeit, Sportlichkeit und Motorenstärke glänzt als mit Schlagworten zur Sicherheit ihrer Produkte. «Unsere Kunden wollen das», rechtfertigen sich die Autohersteller unisono.
Dabei sind es nicht einmal die Bubenträume wie Ferrari, Lamborghini oder Cobra, die auf unseren Strassen ein grosses Gefahrenpotenzial darstellen. Es sind, so die Verkehrsexperten, die übermotorisierten und - besonders als Occasion - für fast jedermann erschwinglichen Kleinwagen mit den verheissungsvollen Kürzeln GTI, Turbo oder 16V.
Autofahrer sind in der Regel schlecht ausgebildet
«Ich fluche jedes Mal, wenn wieder so eine kleine Bombe auf den Markt kommt», sagt TCS-Fahrtrainer Alex Da-Rin. Er weiss, dass die schnellen Statussymbole ihre Besitzer oft überfordern. «Autofahrer sind in der Regel viel zu schlecht ausgebildet - auch wenn sie das selber nicht so sehen.» Deutliches Indiz dafür: Gesamtschweizerisch treten rund 25 Prozent aller Neulenker bedenkenlos ohne eine einzige professionelle Fahrstunde zur Autoprüfung an.
Das wird sich auch mit dem geplanten Zwei-Phasen-Modell für die Ausbildung von Fahrschülern nicht ändern. «Leider besteht auch im neuen Lehrplan kein Obligatorium für Fahrstunden», bedauert Da-Rin.
Beim neuen Ausbildungsmodell hätten die Interessen der Autolobby, Wirtschaftsdenken und Politik wieder einmal über die Verkehrssicherheit gesiegt.
Fahrkurse bringen Autofahrern Sicherheit
Eine Fahrt im Ferrari zum Geburtstag: ein schönes und teures Geschenk. Fast ebenso schön, sinnvoller und erst noch billiger (zwischen 100 und 500 Franken) ist hingegen ein Fahrkurs mit dem eigenen Fahrzeug.
In den eintägigen Fortbildungs- und Spezialkursen schärfen die Teilnehmenden ihren Verkehrssinn, lernen, sich selbst richtig einzuschätzen und den Wagen besser zu beherrschen.
Der Schweizerische Verkehrssicherheitsrat empfiehlt Autofahrerinnen und Autofahrern folgende Kurse und Veranstalter:
Grund- und Fortbildungskurse
- AFV Verkehrsschule, 6300 Zug, Tel. 041 711 40 10
- Istituto RASS, Bellinzona, Tel. 091 825 99 54
- OFV Ostschweizerischer Fahrlehrer-Verband, Niederuzwil, Tel. 071 951 33 11
- Scuola Guida Sicura Barenco, Faido, Tel. 091 866 11 45
- TCS, Auskunft über einen Kurs in Ihrer Nähe über Tel. 0900 599 099
- Verkehrs-Sicherheitszentrum, Veltheim, Tel. 062 887 70 00
Fahrtechnikkurse
- Schweiz. Autorennsport-Club SAR/ACS, Herzogenbuchsee, Tel. 062 961 18 10
- Verkehrs-Sicherheitszentrum, Veltheim, Tel. 062 887 70 00 Fahren auf Eis und Schnee
- Istituto RASS, Bellinzona, Tel. 091 825 99 54
- TCS, Auskunft über Tel. 0900 599 099
- Top Conduite, Gérard Houlmann, Saignelégier, Tel. 032 951 10 03
- Verkehrs-Sicherheitszentrum, Veltheim, Tel. 062 887 70 00
Antischleuderkurs
- ASSR Antischleuderschule, Regensdorf, Tel. 01 840 15 82
- Save-Driving, Scuola anti-sbandamento, Osogna, Tel. 091 863 18 78
- Verkehrs-Sicherheitszentrum, Veltheim, Tel. 062 887 70 00
Motorrad- und Rollerkurse
- AMS Arbeitskreis Motorrad Sicherheit, Zürich, Tel. 01 313 13 33
- ASSR Antischleuderschule, Regensdorf, Tel. 01 840 15 82
- C & C Moto Plus, Wettingen, Tel. 056 426 34 34
- Cornu Master School, Enges, Telefon 032 757 20 72
- Moto-Trainingskurse Leuenberger, Steffisburg, Tel. 033 437 67 00
- Moto-Team ZO, Wetzikon, Tel. 01 932 42 10
- Motorradkurse Betzholz, Uster, Tel. 01 940 74 43
- TCS, Auskunft über Tel. 0900 599 099
- Verkehrs-Sicherheitszentrum, Veltheim, Tel. 062 887 70 00
Der Fonds für Verkehrssicherheit zahlt bis zu 60 Franken an die Kurskosten - mittels Rückerstattungsbeleg.