«Mit meinen Hunden arbeite ich direkt auf Mann»
Inhalt
K-Tipp 19/2000
15.11.2000
Noris Diethelm bildet Tiere seiner Kunden zu Kampfhunden aus
Scharfer Hund gefällig? Hundezüchter Noris Diethelm aus Mettlen TG bietet einen Hund an, der «rauft wie eine Sau». Oder «richtig böse» Rüden aus Deutschland.
Thomas Vonarburg thvonarburg@k-tip.ch
Anfang Jahr beisst ein Rottweiler die vierjährige Kathi aus Tann ZH mitten ins Gesicht. Im Oktober attackiert ein Pitbull in Bevaix NE eine Mutter und ihren kleinen Sohn. Wenig später grei...
Noris Diethelm bildet Tiere seiner Kunden zu Kampfhunden aus
Scharfer Hund gefällig? Hundezüchter Noris Diethelm aus Mettlen TG bietet einen Hund an, der «rauft wie eine Sau». Oder «richtig böse» Rüden aus Deutschland.
Thomas Vonarburg thvonarburg@k-tip.ch
Anfang Jahr beisst ein Rottweiler die vierjährige Kathi aus Tann ZH mitten ins Gesicht. Im Oktober attackiert ein Pitbull in Bevaix NE eine Mutter und ihren kleinen Sohn. Wenig später greift ein Rottweiler in Uttwil TG an; der sechsjährige Urs überlebt den Genickbiss nur knapp. Das ist die eine, tragische Seite.
Die andere: Immer mehr Menschen in der Schweiz wollen einen scharfen Hund. «Wie es Waffenfans gibt, gibt es vermehrt Leute, die sich einen imposanten Hund anschaffen», sagt etwa Ulrich Berger, Tierarzt und Sekretär der Arbeitsgruppe Gefährliche Hunde.
Harry Meister, Schweizer Zuchtwart der Rottweiler, zählt bis vier entsprechende Anfragen pro Woche «querbeet durch alle Schichten». Hauptanliegen: Die Hunde sollten das Einfamilienhaus, die Wohnung, das Geschäft möglichst wirkungsvoll verteidigen.
Solche Anfragen weist der Rottweiler-Experte jeweils dezidiert zurück und rät zu einer Alarmanlage, «die man weder füttern noch ausführen, geschweige denn erziehen muss».
Kürzlich jedoch habe alles Argumentieren nichts genützt: Eine 23-jährige Frau, Hausbesitzerin und Mutter, sei wutentbrannt vom Trainingsplatz gelaufen, nachdem er es abgelehnt habe, ihrem gutmütigen Rottweiler mehr Aggressivität beizubringen. Zum Abschied habe sie gerufen: Dann suche sie halt jemand anderen.
«Einer der Rüden geht ab und zu auch auf mich los»
Das dürfte ihr nicht schwer fallen. Noris Diethelm in Mettlen TG zum Beispiel ist gerne bereit zu helfen.
Sein Angebot ist breit, wie die Tierschutzgruppe Salez in monatelangen Recherchen herausgefunden hat. Der K-Tip hat mit zwei Personen gesprochen, die sich bei Noris Diethelm per Telefon als Kaufinteressenten ausgegeben haben.
Ihre Bilanz: Scharfe Hunde verkauft Diethelm aus eigenem Bestand - Ehefrau Irene führt eine der grössten Rottweiler-Zuchten der Schweiz. Zweifellos aber versteht Diethelm sein Handwerk. Einer seiner Rüden sei so scharf, dass der Hund «auch ab und zu auf mich losgeht». Was, wenn der Hund zu wenig spritzig ist? «Dann nehme ich ihn zurück und platziere ihn bei einer guten Familie», antwortet Diethelm.
Zweite Möglichkeit: Diethelm bildet bei sich zu Hause die Hunde seiner Kunden aus - «ein-, zweimal im Monat, damit der Hund in Übung bleibt». Wie er ein Tier genau trainiert, will er am Telefon nicht preisgeben. So viel aber ist klar: «Ich arbeite nicht nur auf Schutzärmel, sondern direkt auf Mann.» Sonst sei das Tier lediglich auf den Ärmel konditioniert und beisse im Ernstfall nicht.
Dies aber ist das Ziel, wenn Kunden das wünschen. Diethelm erzählt dem ersten Anrufer von Arbeiten vor Ort, «in Deutschland, bei Leuten, die ein Studio besitzen und mit Freiern immer Theater hatten».
Auch die Polizei gehört zu Diethelms Kunden - die Kapo Solothurn zum Beispiel, mit der er «gewisse Arbeiten» gemacht habe. Polizeisprecher Urs Eggenschwiler bestätigt die Kontakte: «Zwei unserer Leute besitzen je einen Polizeihund von Noris Diethelm.» Auf weitere Fragen will der Polizeisprecher aber nicht antworten.
Diethelm ist gesprächiger. «Heute sind die Polizisten einfach nicht mehr hart genug. Die wollen einen Hund, auf dem ihre Kinder reiten können und der gleichzeitig einen Ausländer attackieren kann. So läuft das natürlich nicht», erzählt er dem zweiten Anrufer.
Dieser gehört weder zum Milieu noch zur Polizei, hat auch sonst wenig Kenntnisse über Hunde. Er fragt schlicht und einfach für seine Familie nach einem guten Wächter, «der weiss, was Sache ist».
Und dann unvermittelt dies: Noris Diethelm offeriert einen 13-monatigen Rüden für den Welpenpreis von 1600 Franken. «Der rauft wie eine Sau. Wenn man den beissen lässt, kann man mit dem Stock so richtig draufhauen - der nimmt grausam etwas entgegen.» Im Moment sei der Hund bei einem Kollegen zur Probe, der ihn aber nicht behalten könne. «Der Hund ist ihm für den Hundesport zu aggressiv.»
«Was ist mit Frau und Kindern; können die mit einem solchen Hund überhaupt umgehen?», fragt der Interessent. Diethelm kennt weder den Anrufer noch dessen Frau und sagt: «Sicher hat sie den im Griff. Aber bei Kindern muss man schon aufpassen.»
Ebenso beim nächsten Angebot. Diethelm könnte auch zwei Rüden aus Deutschland vermitteln, «richtig böse - der eine hat seinen Besitzer schon zweimal spitalreif gebissen».
Der K-Tip hat Noris Diethelm mit seinen Aussagen konfrontiert. Diethelm hält an den Kernaussagen fest, will zum Beispiel aber nicht gesagt haben «spitalreif gebissen», sondern: «Der Besitzer ist auch schon gebissen worden.» Weiter teilt er schriftlich mit: «Richtig ist, dass wir nicht primär Hunde anbieten, die einen besonderen Spieltrieb haben, sondern Hunde, deren Wesen als ernsthaft bezeichnet werden kann.» Und: «Wir achten bei unserer Kundschaft darauf, dass sie verantwortungsvoll und fachgerecht mit dem Tier umzugehen weiss.»
Zu seinen Kunden gehörten denn auch «Kantonspolizei, Festungswache und private Sicherheitsdienste». Bedenklich aber: Diethelm hat in keinem der Telefongespräche gefragt, ob der Interessent denn überhaupt über Hundekenntnisse verfüge. Die Tierschutzgruppe Salez hat nun Anzeige wegen Tierquälerei, gewerbsmässigem Hundehandel und Hundezucht ohne Bewilligung erstattet.
Irene Diethelm hat letztes Jahr laut Stammbaum-Buch der Kynologischen Gesellschaft SKG 32 Welpen ausgewiesen. Ab 20 Hunden gilt Meldepflicht, doch das Thurgauer Veterinäramt hat nie eine Meldung erhalten.
Ob Noris oder Irene Diethelm dies nachholen, ist fraglich. Untersuchungsrichter Heinz Dubach hat ein Strafverfahren eingeleitet und eine Hausdurchsuchung vorgenommen. Und Diethelm sagt dem K-Tip: «Ich werde unsere zwei Würfe noch aufziehen. Dann werde ich wahrscheinlich aufhören zu züchten. Ich hab die Schnauze voll.»
Vor und nach dem Hundekauf
Rottweiler-Zuchtwart Harry Meister sagt, was angehende Hundebesitzer erst abklären sollten:
- Sind Sie charakterlich geeignet, Rudelführer Ihres Hundes zu sein - und dies während Jahren?
- Nehmen Sie sich Zeit, einen seriösen Züchter zu finden. Können Sie von ihm bei Problemen Hilfe erwarten?
- Kaufen Sie nicht den erstbesten Hund. Informieren Sie sich über die Vorgeschichte des Vierbeiners.
Woran sich Hundebesitzer halten sollten:
- Setzen Sie sich intensiv mit dem Wesen des Hundes auseinander.
- Besuchen Sie Welpenschule und Erziehungskurs.
- Respektieren Sie, wenn jemand Angst hat - nehmen Sie Ihren Hund an die kurze Leine. Nehmen Sie das Tier grundsätzlich an die Leine, wenn Sie unter Leuten sind.
Was Sie tun sollten, wenn Sie auf einen aggressiven Hund treffen:
- Sagen Sie dem Halter laut und deutlich: «Ich habe Angst, nehmen Sie den Hund an die Leine.»
- Wenn der Hund trotzdem auf Sie zukommt: Bleiben Sie ruhig stehen, atmen Sie durch, versuchen Sie, den Hund zu ignorieren.
Interview - «Von der Hundehütte nahtlos ins Ehebett - das darf nicht sein»
Ob Dackel oder Pitbull, Berner Sennenhund oder Rottweiler: 1998 haben Schweizer Hunde 13440 Menschen gebissen - 700 davon spitalreif.
In der Schweiz fehlen Erhebungen, welcher Hund der gefährlichste Gefährte ist. Verbindliche Aussagen dazu gibt es auch in anderen Ländern nicht. Einen Anhaltspunkt bietet die Statistik der registrierten Vorfälle in Deutschland: Dort beisst der deutsche Schäfer viermal öfter zu als der Rottweiler und achtmal öfter als der Pitbull.
«Ein Verbot von ?Kampfhunden? wie Pitbull und Bullterrier bringt deshalb nichts», sagt Ulrich Berger, Sekretär der Arbeitsgruppe Gefährliche Hunde. «Fast jeden Hund kann man zu einem scharfen Hund erziehen.»
Die Schlupflöcher für unseriöse Züchter sind dabei gross. Erstens ist das Tier in der Schweiz immer noch eine Sache, für die nicht einmal eine Haftpflichtversicherung abgeschlossen werden muss. Zweitens fehlt ein nationales Hundegesetz, das unter anderem auch die Zucht und Ausbildung auf Aggression verbietet.
«Dazu braucht es aber einen konkreten politischen Willen, eine Verfassungsänderung, eine Volksabstimmung», sagt Heinz K. Müller, Pressesprecher im Bundesamt für Veterinärwesen. Und verhehlt nicht, dass sich sein Amt «ohnmächtig» fühlt. Müllers Team fordert nun: Hunde sollen einen reiskorngrossen Chip mit Angaben über Halter und Tier unter der Haut tragen. Zudem hat das Bundesamt für Veterinärwesen eine Hotline eingerichtet (Tel. 031 322 22 99).
Eine grosse Verantwortung tragen auch die Standes-Organisationen der Züchter - zum Beispiel der Schweizer Rottweiler-Club. Der K-Tip befragte dazu Harry Meister, seit elf Jahren Obmann der Schweizer Rottweiler-Zuchtwarte.
Warum stoppen Sie Züchter wie Noris Diethelm nicht?
Das haben wir versucht. Bei einer Kontrolle vor zwei Jahren haben wir einen Alano bei ihm vorgefunden - einen asiatischen, auf Kampf abgerichteten Hund. Zudem vermuten wir Kontakte zum Milieu. Wir haben Diethelm mehrmals schriftlich mitgeteilt, dass wir beides nicht tolerieren, worauf er aus unserem Rottweiler-Club austrat.
Seine Frau Irene aber macht in Ihrem Club frisch-fröhlich weiter.
Nur noch sie ist registrierte Züchterin. Und ich muss betonen: Bei unseren Kontrollen war immer alles einwandfrei. Uns ist aber nicht klar, wie sie sich von ihrem Ehemann abgrenzt. Deshalb ist ein Antrag hängig, sie vom Rottweiler-Club auszuschliessen.
Warum aber erstatten Sie keine Anzeige gegen solche Züchter?
Das ist sehr schwierig. Uns fehlen die Beweise zum Hunde-Handel von Noris Diethelm. Und solange seine Frau Tierschutzgesetz und Zuchtregeln einhält, haben wir keine Handhabe. Uns liegen auch keine Klagen von Kunden vor.
Wie kontrollieren Sie die Rottweiler-Zuchten?
Unser Club prüft bei jedem Zuchtantrag: Hat es genügend Platz, haben die Betreuer die nötigen Fachkenntnisse, ist es sauber? Später kontrollieren wir die Zucht ein-, zweimal im Jahr - unangemeldet.
Das Hauptproblem aber ist: Jeder kann züchten und im Stammbuch der SKG einen Zwingernamen beantragen. Niemand kontrolliert, ob der Züchter die Hunde im 15. Stock hält. Hauptsache, er bezahlt.
Entscheidend ist doch: Überprüfen Sie das Aggressions-Verhalten der Hunde?
Selbstverständlich, bei der Wesensprüfung und bei der Zuchttauglichkeits-Prüfung. Das sind strenge Charakter-Tests, die auf friedliche Situationen ausgerichtet sind.
Wie testen Sie den Hund - geben Sie ihm einen Hieb und schauen, ob er zuschnappt?
Nein, sicher nicht. Bedrängnis-Situationen testen wir anders. Wir führen den Hund in enge Räume wie Telefonkabinen, laufen mit einer Menschenwand auf ihn zu, berühren ihn. Das muss er sich ohne Probleme gefallen lassen.
Diese Prüfungen sind freiwillig. Wie viele Rottweiler gehen Ihnen durch die Latten?
Der Rottweiler-Club verzeichnet rund 100 Welpen pro Jahr - 35 Prozent erscheinen zu unseren Prüfungen. Wir haben leider nur beschränkte Möglichkeiten zu bestimmen, wer zu uns kommt und unsere Erziehungskurse besucht. Was ein krankes Hirn sonst noch vor hat mit seinem Hund - das entzieht sich unserem Einfluss.
Haben Sie auch schon Rottweiler aus Diethelms Zucht zurückgewiesen?
Nein. Die Hunde von Diethelm, die wir zu sehen bekamen, bestanden die Prüfungen.
Bei den letzten beiden Zwischenfällen mit Hunden haben jeweils Rottweiler zugebissen. Erklären Sie uns das.
Vielen Haltern ist nicht bewusst, was sie da am Bändel haben. Der Rottweiler ist ein kräftiger, nervenstarker Hund, der Rüde neigt zur Dominanz - sehr ähnlich wie Schäfer, Riesenschnauzer, Boxer, Dobermann, Hovawart, auch Golden Retriever, die vermehrt für Zwischenfälle sorgen. Da braucht es eine starke Erzieher-Hand.
Sie geben alle Schuld den Haltern?
Viele versäumen es, ihrem herzigen «Bubeli» in der Pubertät den Meister zu zeigen. Dalmatiner- und Kommissar-Rex-Filme tragen dazu bei, dass der Hund nahtlos von der Hundehütte ins Ehebett schlüpft. Das darf nicht sein. In der Tierwelt gibt es keine Gleichberechtigung. An erster Stelle muss der Leitwolf, also der Mensch stehen.
Wie sieht Ihre Lösung aus?
In der Aufklärung und Ausbildung der Hundehalter. Ich denke, auch die Bewilligungspflicht bringt uns weiter. Wer einen potenten Hund will, muss Strafregisterauszug, Versicherungsschutz, feste Wohnadresse und kynologische Kenntnisse vorweisen.