«Nach Vorschrift» genügt nicht
Inhalt
K-Tipp 20/2000
29.11.2000
Haftpflicht-Forderungen nach einem Unfall Schweizer Seilbahnen sind schlecht versichert
«Seilbahnen krass unterversichert» titelte der K-Tip im Februar 1997. Obwohl die Branche damals Besserung versprach, ist die Situation heute nicht viel besser.
Pirmin Schilliger redaktion@k-tip.ch
Der tragische Unfall im österreichischen Kaprun hat es in Erinnerung gerufen: Bahnunglücke sind jederzeit möglich.
Und: Nach einem solchen Vorfall m...
Haftpflicht-Forderungen nach einem Unfall Schweizer Seilbahnen sind schlecht versichert
«Seilbahnen krass unterversichert» titelte der K-Tip im Februar 1997. Obwohl die Branche damals Besserung versprach, ist die Situation heute nicht viel besser.
Pirmin Schilliger redaktion@k-tip.ch
Der tragische Unfall im österreichischen Kaprun hat es in Erinnerung gerufen: Bahnunglücke sind jederzeit möglich.
Und: Nach einem solchen Vorfall müssen die Betreiber unweigerlich mit HaftpflichtForderungen rechnen.
Victor Schulthess von der Suva: «Ein junger Familienvater, der invalid wird, kostet allein schon 3 bis 5 Millionen Franken.» Dabei sind nicht etwa die Heilungskosten der grosse Posten; viel stärker fällt finanziell der ganze künftige Lohnausfall bis zur Pensionierung ins Gewicht.
Bahnen wiegen sich in falscher Sicherheit
Bei einer Katastrophe müssten also grössere Seilbahnen in der Schweiz mit dreistelligen Millionenforderungen rechnen.
Sind die rund 600 Schweizer Bergbahnen für solche Ansprüche gewappnet?
Kaum. Das Bundesamt für Verkehr (BAV) verlangt von den Seilbahnen eine minimale Deckungssumme von 10 Millionen - doch das ist bei einem grösseren Unglück mit vielen Opfern bei weitem nicht ausreichend.
Viele kleinere Bahnen verlassen sich auf die BAV-Vorschriften und meinen, diese Deckung genüge. «Auf unserer Sesselbahn sind maximal 30 Personen gleichzeitig unterwegs. Mit der Haftpflichtsumme von 10 Millionen wären wir auf das Schlimmste vorbereitet», sagt Alfred Frischknecht von den Feldis-Bahnen in Graubünden.
Damit wiegt er sich - wie andere Betreiber von kleinen und mittleren Seilbahnen auch - in falscher Sicherheit. Denn grosse Forderungen würden ein solches Unternehmen in den Ruin treiben - und die Opfer letzten Endes leer ausgehen lassen.
Vor allem bei mittelgrossen Bahnen wären Korrekturen notwendig. Viele weisen bloss eine Deckungssumme zwischen 10 und 25 Millionen auf. Die Luftseilbahn Weggis-Rigi Kaltbad mit zwei 50-Personen-Kabinen zum Beispiel ist nur für 20 Millionen haftpflichtversichert. «Korrekt nach Vorschriften», betont Direktor Kandid Hofstetter.
Etwas höher ist die Deckung bei den beiden Standseilbahnen Interlaken-Harder (60 Personen) und Lauterbrunnen-Grütschalp (80 Personen): 50 Millionen Franken pro Schadenereignis. «Die Deckung ist selbst für den schlimmsten Unfall genügend», glaubt Christoph Schläppi von der Geschäftsleitung.
Damit sich die Seilbahnen zu erträglichen Konditionen gegen Haftpflicht-Forderungen nach einer ganz grossen Katastrophe vorbereiten können, hat der Versicherungsverband der Schweizerischen Seilbahnen (Unifun) im November 1998 eine Branchenlösung ins Leben gerufen - «als Reaktion auf das Unglück auf der Riederalp von 1996 und auf den Artikel im K-Tip», wie Unifun-Direktor Peter Vetter erklärt.
Die Deckungssumme für Haftpflicht-Schäden beträgt hier 100 Millionen Franken.
Kollektiv-Police: Viele Bahnen stehen abseits
Bisher haben aber nur rund 30 grössere Seilbahnen von dieser Versicherungsmöglich-keit Gebrauch gemacht. Die Parsenn-Bahn in Davos zum Beispiel hat damit vor zwei Jahren die Deckungssumme auf einen Schlag auf 100 Millionen erhöht.
Nach Kaprun setzen die Experten selbst hinter die Summe von 100 Millionen ein Fragezeichen. «Im Prinzip müsste jetzt jede Seilbahnunternehmung eine neue Risikoanalyse vornehmen», sagt Paul Christen, Geschäftsleiter der Säntisbahnen, die mit ihren 80-Personen-Kabinen eine Deckungssumme von 70 Millionen Franken haben. Das kostet sie jährlich rund 80000 Franken.
Eine Diskussion über die angemessene Deckungssumme drängt sich umso mehr auf, als bei modernen Bahnen mehrere hundert Personen gleichzeitig am Seil hängen.
Besorgte Branchenvertreter sind sich deshalb einig: «Die Frage der genügenden Deckungssumme muss nach dem Unfall in Kaprun neu aufgerollt werden.»
Brandgefährlich: Skibekleidung aus Kunstfasern
Das Unglück im österreichischen Kaprun wirft nicht nur die Frage nach der Sicherheit und Versicherung der Bergbahnen auf. Der Kassensturz wollte auch wissen, wie schnell moderne Hightech-Anzüge brennen, mit denen viele Wintersportler bekleidet sind. Fazit einer Brandprobe bei fünf neuen Skikleidern aus Kunstfaserstoffen (Jacke, Pulli, Faserpelz, Hose), die laut geltenden Vorschriften «nicht leicht entflammbar» sein dürfen: Sie fingen alle mehr oder weniger schnell Feuer. Das Problem: Kunstfaserstoffe brennen sich stärker in die Haut ein als natürliche Materialien. Der Kassensturz-Vorwurf: «Die Industrie hat die Erforschung brennsicherer Materialien vernachlässigt.»