Nach zwei Monaten hat Herrchen keine Rechte mehr
Seit 1. April haben Tierhalter nur noch zwei Monate Zeit, um ihren verlorenen Liebling wiederzufinden. Offizielle Meldestellen würden die Suche erleichtern. Doch der Bundesrat hat ihre Einführung verschoben.
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K-Tipp 7/2003
09.04.2003
Thomas Müller - tmueller@ktipp.ch
Wenn die Katze entläuft oder der Kanarienvogel entflattert, bringt das für den Tierhalter nicht nur viel Leid, sondern auch grosse Umtriebe. «Die Leute müssen von Pontius zu Pilatus rennen, um ihr Tier wiederzufinden», klagt die aus Radio und TV bekannte Tierschützerin Susy Utzinger.
Der Grund: In der Schweiz gibt es derzeit rund 260 Stellen, die Informationen über entlaufene oder zugelaufene Tiere entgegennehmen - von Fundbüros über Tierschutzvereine bis zur Polizei. All...
Wenn die Katze entläuft oder der Kanarienvogel entflattert, bringt das für den Tierhalter nicht nur viel Leid, sondern auch grosse Umtriebe. «Die Leute müssen von Pontius zu Pilatus rennen, um ihr Tier wiederzufinden», klagt die aus Radio und TV bekannte Tierschützerin Susy Utzinger.
Der Grund: In der Schweiz gibt es derzeit rund 260 Stellen, die Informationen über entlaufene oder zugelaufene Tiere entgegennehmen - von Fundbüros über Tierschutzvereine bis zur Polizei. Alle arbeiten für sich, ein Abgleich der Daten findet nicht statt.
Um diesen Wildwuchs zu beseitigen, sprachen sich schon die Rechtskommissionen von National- und Ständerat in ihren Berichten zur parlamentarischen Initiative «Tiere sind keine Sache» für offizielle Meldestellen aus. Denn: «Weiss man, wo ein Findeltier anzuzeigen ist, wird die Wahrscheinlichkeit, dass es von seinem Besitzer gefunden wird, wesentlich erhöht.»
Offizielle Meldestellen erst in einem Jahr
Inzwischen sind die Meldestellen zwar beschlossene Sache. Der Bundesrat hat aber entschieden, die entsprechende Vorschrift erst ein Jahr nach allen anderen neuen Bestimmungen über die Rechtsstellung der Tiere in Kraft zu setzen. Die Kantone müssen also erst ab 1. April 2004 je eine offizielle Stelle bestimmen, die alle Daten über verlorene oder gefundene Tiere sammelt.
Pikant ist diese Verzögerung angesichts einer anderen Neuerung, die bereits seit dem 1. April dieses Jahres gilt. Demnach wird der Finder eines Haustieres schon nach zwei Monaten - statt wie bisher nach fünf Jahren - dessen neuer Eigentümer. Voraussetzung ist einzig, dass er seinen Fund bei der Polizei angezeigt hat.
Gibt der Finder das zugelaufene Tier in ein Heim, kann dieses ebenfalls schon zwei Monate später frei darüber verfügen. Für die Tierheime ist das eine grosse Erleichterung: «Bisher konnten die Heime Findeltiere während fünf Jahren nur provisorisch platzieren, weil sie damit rechnen mussten, dass der Eigentümer auch nach Jahren wieder auftaucht und sein Tier zurückverlangt», sagt die Juristin Sibylle Horanyi vom Schweizer Tierschutz.
Weniger erfreulich ist die kurze Frist für Tierhalter, denen beispielsweise die Katze davonläuft. Sie müssen sofort alle Hebel in Bewegung setzen, um den verlorenen Liebling innert zweier Monate zu finden - angesichts der vorläufig fehlenden offiziellen Meldestellen kein leichtes Unterfangen (siehe Kasten).
Tierschützer sind enttäuscht
«Nicht glücklich» über die zeitlich verschobene Inkraftsetzung der beiden Neuerungen ist denn auch deren geistiger Vater, der Zürcher Tierrechtler Antoine Goetschel. «Die Meldestellen sollten dem Tierhalter ja gerade ermöglichen, sein Tier innert der verkürzten Frist zu finden», kritisiert der Geschäftsführer der Stiftung für das Tier im Recht.
Enttäuscht zeigt sich auch Iris Fankhauser vom Tierschutz beider Basel: «Die Tierheime wären dringend auf einheitliche Meldestellen angewiesen.» Sowohl Fankhauser als auch Goetschel wollen die Zeit nun aber nutzen, um an einer grenzüberschreitenden Lösung zu arbeiten. «Denn», so Fankhauser, «ausgerissene Tiere machen an Kantonsgrenzen nicht Halt.»
Schmerzensgeld für Tierhalter
Bereits am 1. April in Kraft getreten sind nebst der erwähnten Zweimonatsfrist die folgenden Änderungen. Sie gelten für alle Haustiere, die nicht zu Vermögens- oder Erwerbszwecken gehalten werden. Das sind in der Schweiz unter anderem rund 500 000 Hunde und 1,3 Millionen Katzen.
- Verletzt jemand ein Tier, muss er respektive seine Haftpflichtversicherung die ganzen Heilungskosten übernehmen. Bisher lag die Grenze beim Wert des Tieres. Wurde also etwa ein Hund im Wert von 200 Franken angefahren, hatte der Besitzer vom Täter nur diesen Betrag zugut, auch bei viel höheren Tierarztkosten.
Allerdings: Auch nach neuem Recht muss der Haftpflichtige nicht für eine Luxus-Operation aufkommen, sondern nur für einen «angemessenen» Heilungsaufwand. Das ist jener Aufwand, den ein vernünftiger Tierhalter betreiben würde, wenn er ihn selber berappen müsste. Wie hoch dieser Betrag ist, müsste im Streitfall der Richter festlegen.
- Wer ein Haustier schwer verletzt oder tötet, muss dem Halter ein Schmerzensgeld zahlen. Tierrechtler Goetschel rechnet damit, dass die Gerichte in solchen Fällen «ein paar hundert Franken» zusprechen werden.
Die höheren Schadenkosten führen im Moment noch nicht zu höheren Prämien bei den Auto- und Privathaftpflicht-Versicherungen. Dies ergab eine K-Tipp-Umfrage bei fünf grossen Gesellschaften. «Wir werden jedoch den Schadenverlauf beobachten und bei Bedarf notwendige Anpassungen vornehmen», fasst eine Sprecherin der Basler Versicherung die Branchen-Haltung zusammen.
- Gibts bei einer Scheidung, Trennung oder Konkubinats-Auflösung Streit ums Haustier, muss der Richter das Tier jener Partei zusprechen, «die in tierschützerischer Hinsicht die bessere Unterbringung gewährleistet». Das gilt aber nur für Tiere, die mit gemeinsamem Geld angeschafft wurden. Gehört das Tier einem Partner allein, kann der Richter es ihm nicht wegnehmen.
Bei einer Erbteilung muss der Richter ebenfalls mit Blick auf das Tierwohl entscheiden, wer den Vierbeiner erhält.
Wenn das Tier ein Vermögen «erbt»...
- Es kommt immer wieder vor, dass Erblasser ihrem Schosshündchen einen bestimmten Betrag vermachen. Solche Zuwendungen sind rechtlich problematisch, weil Tiere gar nicht erben können.
Deshalb gilt neu: Vermacht jemand seinem Haustier beispielsweise 10 000 Franken, so gilt dies als Auflage für die Erben, mit dieser Summe für das Tier «tiergerecht» zu sorgen. Sie müssen damit also dessen Unterhalt bestreiten - sei es bei sich zu Hause oder in einem Tierheim. Die Erfüllung dieser Auflage kann von jedermann, der daran interessiert ist, gerichtlich durchgesetzt werden. Klageberechtigt sind auch Tierschutz-Organisationen.
- Haustiere dürfen im Fall einer Betreibung des Eigentümers nicht gepfändet werden - aus sozialen Gründen. Schon bisher waren Tier-Pfändungen selten, weil sie sich in der Regel nicht lohnten. «Nur junge Rassetiere haben einen Wert», bestätigt die Tierschützerin Susy Utzinger, «Mischlinge nicht.»
So findet das Tier den Weg zurück
Tierhalter können einiges tun, um ihren Liebling nicht zu verlieren.
- Sein Haustier «chippen» lassen. Das bedeutet, dass der Tierarzt dem Tier mit einer Spezialspritze einen Mikrochip von der Grösse eines Reiskorns einpflanzt. Der Zahlencode auf dem Chip ist bei der Firma Anis (Animal Identity Service) registriert; diese Institution arbeitet nicht gewinnorientiert.
- Geht ein Tier, das mit einem Chip versehen ist, verloren, kann es mittels eines Lesegeräts, wie es etwa bei Tierärzten, Tierheimen und Polizeiposten zu finden ist, identifiziert und seinem Eigentümer zurückgegeben werden. Das Chippen kostet rund 70 Franken. Für Hunde soll es bald obligatorisch werden. Der Ständerat hat bereits zugestimmt; der Nationalrat wird voraussichtlich in der Juni-Session folgen.
- Tierhalter können ihrer Katze oder ihrem Hund auch ein Halsband anlegen, auf dem ihre Telefonnummer steht.
- Wenn der Vierbeiner einmal ausreisst, sollte der Halter sofort die Polizei, den kantonalen Tierschutzverein und die Tierärzte in seiner Umgebung informieren. In den Kantonen Basel-Stadt und Baselland genügt ein Anruf beim Tierschutz beider Basel, der alles Weitere veranlasst (Tel. 061 378 78 78). Auch das Aufhängen von Vermisstmeldungen im Wohnquartier kann nützlich sein.
- Wem ein Tier zuläuft oder wer eines findet, muss dies der Polizei melden. Sonst riskiert er eine Busse.
www.ktipp.ch
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