«Nasdrovje» auch für Sechzehnjährige
Inhalt
K-Tipp 4/2002
20.02.2002
Schnaps-Mixgetränke: «Smirnoff Ice» und Co. sind immer be liebter - auch bei Kindern und Jugendlichen
Zwei von drei Läden verkauften in einer K-Tipp-Stichprobe den Alcopop «Smirnoff Ice» unerlaubterweise an einen 16-Jährigen. Doch erst Spar und Coop programmieren ihre Kassen mit Warnhinweisen.
Pieter Poldervaart redaktion@ktipp.ch
Die zwei Mädchen rasteten buchstäblich aus. Sie griffen zu Holzlatten und Steinen, demolierten Dutzende von Autos...
Schnaps-Mixgetränke: «Smirnoff Ice» und Co. sind immer be liebter - auch bei Kindern und Jugendlichen
Zwei von drei Läden verkauften in einer K-Tipp-Stichprobe den Alcopop «Smirnoff Ice» unerlaubterweise an einen 16-Jährigen. Doch erst Spar und Coop programmieren ihre Kassen mit Warnhinweisen.
Pieter Poldervaart redaktion@ktipp.ch
Die zwei Mädchen rasteten buchstäblich aus. Sie griffen zu Holzlatten und Steinen, demolierten Dutzende von Autos, stiessen Motorräder um und schlugen über 100 Neonröhren von der Decke. «Ein seltener Fall», betont Christoph Bürgin, Leiter der Jugendanwaltschaft Basel-Stadt, der sich mit der 14- und der 15-Jährigen befassen muss, die Anfang Februar in einer Basler Tiefgarage wüteten.
Klar ist: Die beiden hatten ordentlich vom Gemisch «Vodka-Redbull» gebechert, das sie sich zuvor im nahen Quartierladen beschafft hatten. Mit 24 Vol.-% Alkohol heizt der Drink zwar ordentlich ein. Doch weil der Zucker den Alkohol überdeckt, spürt man den Suff erst, wenn er schon da ist.
Der Basler Fall könnte erst der Anfang sein, befürchtet Dieter Dosoni von der Eidgenössischen Alkoholverwaltung. Seit letztem Jahr kumulieren sich alkoholische Mixgetränke zu einer neuen Welle, der Absatz hat sich innert Jahresfrist mehr als verdoppelt.
Im April 2001 wurde «Smirnoff Ice» lanciert, eine Zitronenlimonade mit Wodka und viel Zucker. Die Importeurin, die United Distillers Vinters SA in Renens VD, überzieht derzeit die Schweizer Plakatflächen mit einer Werbelawine. Vor drei Monaten kam «Breezer» dazu, ein in den Niederlanden gebrautes Zuckergetränk auf der Basis von Rum aus dem Haus Baccardi. «Im Ausland liefern sich die beiden Marken ein Kopfan-Kopf-Rennen. Bei uns dürfte eine ähnliche Schlacht um die Gunst junger Konsumenten anstehen», prognostiziert Dosoni.
Auch Schweizer Traditionshäuser lassen sich nicht lumpen: Haecky in Reinach BL importiert aus Österreich «XTC», ein Orangengetränk mit Wodka, Guarana und Koffein. Und die Divisa in Willisau LU füllt 24-prozentigen «Trojka-Likör» ab.
Dass die Zitronenlimonaden mit einem Schuss gebranntem Wasser eine neue Blüte erleben, hat mehrere Gründe.
Zum einen wurde Mitte 1999 der Zoll auf ausländischen Schnaps auf das Niveau von Kirsch und Pflümli gesenkt, was die Preise um bis zu 40 Prozent purzeln liess. «Seither werden deutlich mehr Spirituosen konsumiert, wobei junge Konsumenten überdurchschnittlich zugelegt haben», berichtet Janine Messerli von der Schweizerischen Fachstelle für Alkohol- und andere Drogenprobleme (SFA).
Vermarktung und Design fördern Absatz
Kommt dazu, dass die «Ready-to-drink»-Flaschen äusserst raffiniert vermarktet werden. Messerli: «Sie sind in schreienden Farben, trendig designed und gleichen eher Limonaden.» Darüber hinaus würden gezielt Events, Konzerte und andere hippe Grossanlässe als Werbevehikel benutzt.
«Die süssen Alcopops können gerade für junge Frauen, denen Wein und Bier nicht zusagt, der Einstieg in den Alkohol sein», warnt Messerli. Als Gegenmassnahmen empfiehlt sie unter anderem, die Werbung einzuschränken. Doch der Trend läuft in die entgegengesetzte Richtung: «So hat der Bundesrat im Januar vorgeschlagen, bei TV-Privatsendern die Werbung für Bier und Wein zuzulassen.»
Auf Gesetzesebene ist die Abgabe von Gebranntem an Personen unter 18 Jahren untersagt. Doch mit der Umsetzung hapert es. Als der 16-jährige Simon am 12. Februar in Basel für den K-Tipp auf Einkaufstour ging, gab es nur in jedem dritten Fall ein «Njet» zum «Smirnoff Ice». Das Piktogramm «18» auf dem Flaschenhals ist offensichtlich wertlos. Besonders Warenhäuser wie Epa und Manor, aber auch ein Esso-Tankstellenshop sowie eine Denner-Filiale ignorieren den Jugendschutz.
Direkt verantwortlich für die illegale Alkohol-Abgabe ist zwar das Verkaufspersonal, «doch man muss den Kassiererinnen gegenüber fair sein», sagt Hans-Caspar Ryser von der Spar-Gruppe Schweiz. Seit einigen Jahren sind deshalb sämtliche 141 Spar-Märkte und die angeschlossenen unabhängigen Detaillisten mit einem System ausgerüstet, das beim Scannen von Alkoholika automatisch die Kasse blockiert und eine Mahnung auf dem Display aufleuchten lässt, die Kundschaft auf ihr Alter zu kontrollieren.
Seit zwei Monaten läuft das gleiche System auch in den Coop-Läden. Dass Coop in der K-Tipp-Stichprobe nicht auftaucht, hat einen einfachen Grund: «Alcopops kommen bei uns erst Mitte April ins Regal, das gehört zu einem abgerundeten Angebot», meint Coop-Sprecher Jörg Birnstiel.
Epa: Verantwortung liegt beim Personal
Noch nichts gehört von «alkoholsensiblen» Kassen haben Maurice Calanca, Marketing-Direktor bei der Manor AG, und Sylvère Berney, Verkaufsleiter der Epa AG. Dieser pocht vielmehr auf die Selbstverantwortung seiner Kassiererinnen: «Unser Personal muss eine Erklärung abgeben, dass es die gesetzlichen Vorschriften einhält.» Illusorisch, wie die Testkäufe zeigen.
«In den letzten zwei Jahren hat die Zahl von Jugendlichen mit einer psychosozialen Krise deutlich zugenommen. Suchtmittelmissbrauch ist oft eine Begleiterscheinung davon», erzählt Josef Laimbacher, leitender Arzt am Ostschweizer Kinderspital in St. Gallen. Als Grund nennt er, dass immer mehr junge Erwachsene verunsichert seien und ihre Wertvorstellungen zerbrechen.
Zusätzlich gerät oft das Selbstwertgefühl der jungen Leute aus den Fugen und wird möglicherweise durch Alkoholexzesse übertüncht.
«Bei den zwei Mädchen in Basel war Alkohol möglicherweise der Auslöser, aber es steckt mehr dahinter: ein totaler Frust etwa oder ein Hilferuf», meint Christoph Bürgin von der Jugendanwaltschaft. Der Basler Quartierladen, der die «Vodka-Redbull»-Drinks verkauft hatte, muss jetzt mit einer Verzeigung rechnen.
Stichprobe: Das sind die Resultate
Diese Basler Läden und Stände verkauften «Smirnoff Ice» an den 16-jährigen Simon:
- City Liner, Take-Away
- Denner, Kleinhüningerstrasse
- Epa, Gerbergasse
- Epa Soussol, Untere Rebgasse
- Epa, Take-Away, Untere Rebgasse
- Manor, Greifengasse
- Sam's Pizza Land, Take-Away, Greifengasse
- Shell-Shop, Hiltalingerstrasse
Diese Geschäfte verkauften Simon keinen Schnaps:
- Sofra-Fine Food, Take-Away, Gerbergasse
- Denner, Kornhausgasse
- Paul Ullrich, Rümelinsplatz
- Paul Ullrich, Untere Rebgasse
Das sagt das Gesetz - Alcopop ab 18, Vergorenes ab 16
Vor gut 100 Jahren herrschte in der Schweiz ein ziemlich starkes Schnaps-Elend.
Dem wollte der Gesetzgeber beikommen, indem er die Altersgrenze für Schnapsverkäufe auf 18 Jahre festsetzte.
Diese gilt seither für alle gebrannten Wasser, also Wodka, Pflümli, Kirsch und Ähnliches. Seit 1997 eindeutig in die «Kategorie 18» platziert sind Alcopops wie «Smirnoff Ice».
Die Abgabelimite für vergorene Alkoholika (Wein, Bier, Apfelwein) ist kantonal geregelt und liegt meist bei 16, im Tessin bei 18 Jahren.
Das sagt das Gesetz - Keine Alterslimite bei den Zigaretten
Anders als bei Alkohol gibt es für Rauchwaren keine Alterslimite.
Zwar haben Tabakindustrie und Handel eine Kampagne lanciert, laut der sie freiwillig auf den Verkauf an Jugendliche unter 16 verzichten. In der Praxis können aber auch jüngere Raucher problemlos an Zigaretten kommen, wie verschiedene Testkäufe gezeigt haben. Die Entwicklung ist dramatisch: Der Anteil der regelmässig rauchenden 15-Jährigen ist von unter 15 Prozent im Jahr 1986 auf über 25 Prozent 1998 angestiegen. In unserem Land fordert die Nikotinsucht jährlich 8000 Tote.